redete dem Ausländer zu Liebe, der kein Deutsch ver- stand, und Constanzen, der das Italienische nicht geläufig war, französisch, und unser Freund fand in dieser fremden Sprache eine willkommene Art von Scheidewand zwischen sich selber und seinem gegenwär- tigen Gefühl; aber sonderbarer Weise rückte sich ihm auch die lebhafte Scene von heute Morgen nur um desto mehr in das Unglaubliche, ja Constanze selbst verschwand ihm in eine zweifelhafte Ferne, so nahe ihm ihre äußere Gestalt auch war. Er sah die jezt ver- flossenen Stunden, wenn er je sie wirklich verlebt haben sollte, wie eine längst entflohene Vergangenheit an, aber die Gegenwart däuchte ihm deßhalb um nichts wahrhafter und gegenwärtiger und die Zukunft völlig ein Unding.
So leidlich auf diese Art die Stimmung Theo- balds war, so bitter sollte sie bald gestört werden. Der fremde Künstler nahm nach und nach Anlaß, seine gute Laune an dem Manne zu üben, welchen er doch in keinem Betracht als Nebenbuhler ansehen konnte. Erst waren es leichte Spötteleien, dann höchst indiskrete Fragen, worauf Nolten Anfangs mit gutmüthigem Spaße, zulezt mit einiger Schärfe antwortete, ohne jedoch seinen Gegner zu dem Grade von Wuth reizen zu wollen, welcher sich alsbald sehr ungesittet hervor- that, so daß Nolten schnelle aufstand und dem Schreier den Vorschlag machte, den Streit außerhalb des Zim- mers mit ihm abzuthun, damit wenigstens das Ohr
redete dem Ausländer zu Liebe, der kein Deutſch ver- ſtand, und Conſtanzen, der das Italieniſche nicht geläufig war, franzöſiſch, und unſer Freund fand in dieſer fremden Sprache eine willkommene Art von Scheidewand zwiſchen ſich ſelber und ſeinem gegenwär- tigen Gefühl; aber ſonderbarer Weiſe rückte ſich ihm auch die lebhafte Scene von heute Morgen nur um deſto mehr in das Unglaubliche, ja Conſtanze ſelbſt verſchwand ihm in eine zweifelhafte Ferne, ſo nahe ihm ihre äußere Geſtalt auch war. Er ſah die jezt ver- floſſenen Stunden, wenn er je ſie wirklich verlebt haben ſollte, wie eine längſt entflohene Vergangenheit an, aber die Gegenwart däuchte ihm deßhalb um nichts wahrhafter und gegenwärtiger und die Zukunft völlig ein Unding.
So leidlich auf dieſe Art die Stimmung Theo- balds war, ſo bitter ſollte ſie bald geſtört werden. Der fremde Künſtler nahm nach und nach Anlaß, ſeine gute Laune an dem Manne zu üben, welchen er doch in keinem Betracht als Nebenbuhler anſehen konnte. Erſt waren es leichte Spötteleien, dann höchſt indiskrete Fragen, worauf Nolten Anfangs mit gutmüthigem Spaße, zulezt mit einiger Schärfe antwortete, ohne jedoch ſeinen Gegner zu dem Grade von Wuth reizen zu wollen, welcher ſich alsbald ſehr ungeſittet hervor- that, ſo daß Nolten ſchnelle aufſtand und dem Schreier den Vorſchlag machte, den Streit außerhalb des Zim- mers mit ihm abzuthun, damit wenigſtens das Ohr
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redete dem Ausländer zu Liebe, der kein Deutſch ver-
ſtand, und Conſtanzen, der das Italieniſche nicht
geläufig war, franzöſiſch, und unſer Freund fand in
dieſer fremden Sprache eine willkommene Art von
Scheidewand zwiſchen ſich ſelber und ſeinem gegenwär-
tigen Gefühl; aber ſonderbarer Weiſe rückte ſich ihm
auch die lebhafte Scene von heute Morgen nur um
deſto mehr in das Unglaubliche, ja Conſtanze ſelbſt
verſchwand ihm in eine zweifelhafte Ferne, ſo nahe ihm
ihre äußere Geſtalt auch war. Er ſah die jezt ver-
floſſenen Stunden, wenn er je ſie wirklich verlebt haben
ſollte, wie eine längſt entflohene Vergangenheit an,
aber die Gegenwart däuchte ihm deßhalb um nichts
wahrhafter und gegenwärtiger und die Zukunft völlig
ein Unding.
So leidlich auf dieſe Art die Stimmung Theo-
balds war, ſo bitter ſollte ſie bald geſtört werden.
Der fremde Künſtler nahm nach und nach Anlaß, ſeine
gute Laune an dem Manne zu üben, welchen er doch
in keinem Betracht als Nebenbuhler anſehen konnte.
Erſt waren es leichte Spötteleien, dann höchſt indiskrete
Fragen, worauf Nolten Anfangs mit gutmüthigem
Spaße, zulezt mit einiger Schärfe antwortete, ohne
jedoch ſeinen Gegner zu dem Grade von Wuth reizen
zu wollen, welcher ſich alsbald ſehr ungeſittet hervor-
that, ſo daß Nolten ſchnelle aufſtand und dem Schreier
den Vorſchlag machte, den Streit außerhalb des Zim-
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/133>, abgerufen am 29.11.2024.
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