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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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holden Gegenwart zu wissen, deren Gottheit noch so
eben rings die Nacht purpurisch glühen machte! Hier
klang das Rufen der Geliebten, hier fiel der Tropfe aus
dem schönen Auge! O läßt kein leiser Geisterton sich
hören, der mir versichere: ja, hier war es, hier ge-
schah's! Begreife denn dein Glück, ungläubig Herz!
umfass', umspanne den vollen Gedanken, wenn du es
kannst, denn ohne Grenzen ist dein Glück, auch dann,
wenn du sie nimmer sehen solltest, wenn dich ihr Zorn,
ihr Stolz auch auf immer verbannte! War sie nicht
dein, dir hingegeben einen vollen, unerschöpflichen
Moment? O dieser Augenblick sollte eine bettelarme,
leere Ewigkeit reich machen können!

Glühend aufgeregt verließ der Freund den Ort,
und um sich, so gut es gehen mochte, noch zu sammeln,
nahm er absichtlich einen weiten Umweg nach dem
Saale, wo die Gesellschaft bei einander war.

"Sie bleiben lange aus!" rief ihm der Graf ent-
gegen, "und haben dadurch den Herzog versäumt, wel-
cher diesen Morgen auf eine Stunde hier gewesen, aber
bereits wieder weg ist."

Die Unbefangenheit dieses Empfangs, den er mit
einer leichten Entschuldigung erwiederte, und die Ruhe,
welche sich in Constanzens Benehmen aussprach,
überzeugte Theobald hinlänglich, daß ihre und seine
Abwesenheit nicht aufgefallen war. Dennoch wollte ihn
die Art, wie die schöne Frau sich anließ, befremden:
sie kam ihm beinahe wie ein anderes Wesen vor, ernst

holden Gegenwart zu wiſſen, deren Gottheit noch ſo
eben rings die Nacht purpuriſch glühen machte! Hier
klang das Rufen der Geliebten, hier fiel der Tropfe aus
dem ſchönen Auge! O läßt kein leiſer Geiſterton ſich
hören, der mir verſichere: ja, hier war es, hier ge-
ſchah’s! Begreife denn dein Glück, ungläubig Herz!
umfaſſ’, umſpanne den vollen Gedanken, wenn du es
kannſt, denn ohne Grenzen iſt dein Glück, auch dann,
wenn du ſie nimmer ſehen ſollteſt, wenn dich ihr Zorn,
ihr Stolz auch auf immer verbannte! War ſie nicht
dein, dir hingegeben einen vollen, unerſchöpflichen
Moment? O dieſer Augenblick ſollte eine bettelarme,
leere Ewigkeit reich machen können!

Glühend aufgeregt verließ der Freund den Ort,
und um ſich, ſo gut es gehen mochte, noch zu ſammeln,
nahm er abſichtlich einen weiten Umweg nach dem
Saale, wo die Geſellſchaft bei einander war.

„Sie bleiben lange aus!“ rief ihm der Graf ent-
gegen, „und haben dadurch den Herzog verſäumt, wel-
cher dieſen Morgen auf eine Stunde hier geweſen, aber
bereits wieder weg iſt.“

Die Unbefangenheit dieſes Empfangs, den er mit
einer leichten Entſchuldigung erwiederte, und die Ruhe,
welche ſich in Conſtanzens Benehmen ausſprach,
überzeugte Theobald hinlänglich, daß ihre und ſeine
Abweſenheit nicht aufgefallen war. Dennoch wollte ihn
die Art, wie die ſchöne Frau ſich anließ, befremden:
ſie kam ihm beinahe wie ein anderes Weſen vor, ernſt

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[123/0131] holden Gegenwart zu wiſſen, deren Gottheit noch ſo eben rings die Nacht purpuriſch glühen machte! Hier klang das Rufen der Geliebten, hier fiel der Tropfe aus dem ſchönen Auge! O läßt kein leiſer Geiſterton ſich hören, der mir verſichere: ja, hier war es, hier ge- ſchah’s! Begreife denn dein Glück, ungläubig Herz! umfaſſ’, umſpanne den vollen Gedanken, wenn du es kannſt, denn ohne Grenzen iſt dein Glück, auch dann, wenn du ſie nimmer ſehen ſollteſt, wenn dich ihr Zorn, ihr Stolz auch auf immer verbannte! War ſie nicht dein, dir hingegeben einen vollen, unerſchöpflichen Moment? O dieſer Augenblick ſollte eine bettelarme, leere Ewigkeit reich machen können! Glühend aufgeregt verließ der Freund den Ort, und um ſich, ſo gut es gehen mochte, noch zu ſammeln, nahm er abſichtlich einen weiten Umweg nach dem Saale, wo die Geſellſchaft bei einander war. „Sie bleiben lange aus!“ rief ihm der Graf ent- gegen, „und haben dadurch den Herzog verſäumt, wel- cher dieſen Morgen auf eine Stunde hier geweſen, aber bereits wieder weg iſt.“ Die Unbefangenheit dieſes Empfangs, den er mit einer leichten Entſchuldigung erwiederte, und die Ruhe, welche ſich in Conſtanzens Benehmen ausſprach, überzeugte Theobald hinlänglich, daß ihre und ſeine Abweſenheit nicht aufgefallen war. Dennoch wollte ihn die Art, wie die ſchöne Frau ſich anließ, befremden: ſie kam ihm beinahe wie ein anderes Weſen vor, ernſt

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/131>, abgerufen am 29.11.2024.