beträchtliche Länge unter einem reichbewachsenen Felsen fort und führte unmittelbar in den großen Saal der Orangerie. Nicht ohne vielen Sinn war die Sache so angelegt worden, um dem Spaziergänger eine höchst überraschende Szene zu bereiten, wenn man, besonders zu dieser Jahreszeit, aus dem todten Wintergarten in eine schauerliche Nacht eingetreten, nach etlichen hun- dert Schritten mit Einem Male einen hellgrünen, warmen Frühling zauberhaft aus breiten Glasthüren sich entgegenleuchten sah.
Theobald forderte zu einem Gang durch die Höhle auf, und die Gräfin, die den Ort noch nicht kannte, nahm nach kurzem Zaudern den Arm ihres Begleiters an. Ein eisernes Geländer, woran man fortlief, leitete sicher an den Wänden hin, und so waren Beide mit vorsichtigen Tritten eine Strecke weit gewandert, als Constanze, das Ende des dun- keln Ganges vergeblich erwartend, bereits ängstlich die Umkehr verlangte. Nolten bat dringend, vollends auszuhalten und überredete sie endlich. Aber in steter Furcht, einen Mißtritt zu thun, oder gegen einen Vorsprung des Felsen zu stoßen, hielt sich die zarte Frau fest und fester an ihren Führer, und indeß Beide schweigend und sachte neben einander gingen, wie seltsam war es unserem Freunde, so viel Schön- heit und Jugend in voller und doch unsichtbarer Ge- genwart leis athmend an seiner Seite! Sein Herz pochte gewaltsamer, und wie schon das Wunderbare
beträchtliche Länge unter einem reichbewachſenen Felſen fort und führte unmittelbar in den großen Saal der Orangerie. Nicht ohne vielen Sinn war die Sache ſo angelegt worden, um dem Spaziergänger eine höchſt überraſchende Szene zu bereiten, wenn man, beſonders zu dieſer Jahreszeit, aus dem todten Wintergarten in eine ſchauerliche Nacht eingetreten, nach etlichen hun- dert Schritten mit Einem Male einen hellgrünen, warmen Frühling zauberhaft aus breiten Glasthüren ſich entgegenleuchten ſah.
Theobald forderte zu einem Gang durch die Höhle auf, und die Gräfin, die den Ort noch nicht kannte, nahm nach kurzem Zaudern den Arm ihres Begleiters an. Ein eiſernes Geländer, woran man fortlief, leitete ſicher an den Wänden hin, und ſo waren Beide mit vorſichtigen Tritten eine Strecke weit gewandert, als Conſtanze, das Ende des dun- keln Ganges vergeblich erwartend, bereits ängſtlich die Umkehr verlangte. Nolten bat dringend, vollends auszuhalten und überredete ſie endlich. Aber in ſteter Furcht, einen Mißtritt zu thun, oder gegen einen Vorſprung des Felſen zu ſtoßen, hielt ſich die zarte Frau feſt und feſter an ihren Führer, und indeß Beide ſchweigend und ſachte neben einander gingen, wie ſeltſam war es unſerem Freunde, ſo viel Schön- heit und Jugend in voller und doch unſichtbarer Ge- genwart leis athmend an ſeiner Seite! Sein Herz pochte gewaltſamer, und wie ſchon das Wunderbare
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beträchtliche Länge unter einem reichbewachſenen Felſen
fort und führte unmittelbar in den großen Saal der
Orangerie. Nicht ohne vielen Sinn war die Sache
ſo angelegt worden, um dem Spaziergänger eine höchſt
überraſchende Szene zu bereiten, wenn man, beſonders
zu dieſer Jahreszeit, aus dem todten Wintergarten in
eine ſchauerliche Nacht eingetreten, nach etlichen hun-
dert Schritten mit Einem Male einen hellgrünen,
warmen Frühling zauberhaft aus breiten Glasthüren
ſich entgegenleuchten ſah.
Theobald forderte zu einem Gang durch die
Höhle auf, und die Gräfin, die den Ort noch nicht
kannte, nahm nach kurzem Zaudern den Arm ihres
Begleiters an. Ein eiſernes Geländer, woran man
fortlief, leitete ſicher an den Wänden hin, und ſo
waren Beide mit vorſichtigen Tritten eine Strecke
weit gewandert, als Conſtanze, das Ende des dun-
keln Ganges vergeblich erwartend, bereits ängſtlich die
Umkehr verlangte. Nolten bat dringend, vollends
auszuhalten und überredete ſie endlich. Aber in ſteter
Furcht, einen Mißtritt zu thun, oder gegen einen
Vorſprung des Felſen zu ſtoßen, hielt ſich die zarte
Frau feſt und feſter an ihren Führer, und indeß
Beide ſchweigend und ſachte neben einander gingen,
wie ſeltſam war es unſerem Freunde, ſo viel Schön-
heit und Jugend in voller und doch unſichtbarer Ge-
genwart leis athmend an ſeiner Seite! Sein Herz
pochte gewaltſamer, und wie ſchon das Wunderbare
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/126>, abgerufen am 30.11.2024.
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