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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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Theobald, nach einer sorgfältigen Beachtung der in
ihrer Art einzigen Skulpturen, redete den Fremden
italienisch an, und würde sich bei seiner Unterhaltung
hinlänglich interessirt gefunden haben, wäre das Be-
streben des Fremden, immer nur recht paradox zu seyn
und das Ernsthafte ins Lächerliche zu ziehen, nicht allzu
widrig aufgefallen. Ja, am Ende, als der künstlerische
Charakter Theobalds zur Sprache kam, konnte der
Mann eine gewisse tückische Neckerei nicht lassen. Halb
gekränkt und unwillig entzog sich unser Freund, um
auf die spätere Ankunft des Grafen ein fruga-
les Mittagsmahl in der Meierei zu bestellen.
Müssig wie er war, besah er sich sodann die Umgebun-
gen und die innere Einrichtung des fürstlichen Aufent-
halts. Mehrere Zimmer gewährten eine reiche und
belehrende Unterhaltung an ausgesuchten Malereien;
es war leicht, sich in diesen geschmackvollen Räumen
auf einige Zeit selber zu vergessen, und so stand er eben
betrachtend mit sich allein, als ihm der entfernte Spie-
gel eines dritten Zimmers zwei von der entgegengesezten
Seite herbeikommende Personen zeigte, in denen er bei
genauerem Hinblicken endlich den Grafen, und gegen
alle seine Erwartung, Constanzen selbst erkennen
konnte. Ganz außer Fassung gebracht schaute er un-
verrückt mit klopfendem Herzen noch immer auf die nah
und näher im Spiegel herbeischwebenden Gestalten, bis
die Tritte hinter ihm rauschten, und seinerseits ein
ziemlich verwirrtes, andererseits ein durchaus unbefan-

Theobald, nach einer ſorgfältigen Beachtung der in
ihrer Art einzigen Skulpturen, redete den Fremden
italieniſch an, und würde ſich bei ſeiner Unterhaltung
hinlänglich intereſſirt gefunden haben, wäre das Be-
ſtreben des Fremden, immer nur recht paradox zu ſeyn
und das Ernſthafte ins Lächerliche zu ziehen, nicht allzu
widrig aufgefallen. Ja, am Ende, als der künſtleriſche
Charakter Theobalds zur Sprache kam, konnte der
Mann eine gewiſſe tückiſche Neckerei nicht laſſen. Halb
gekränkt und unwillig entzog ſich unſer Freund, um
auf die ſpätere Ankunft des Grafen ein fruga-
les Mittagsmahl in der Meierei zu beſtellen.
Müſſig wie er war, beſah er ſich ſodann die Umgebun-
gen und die innere Einrichtung des fürſtlichen Aufent-
halts. Mehrere Zimmer gewährten eine reiche und
belehrende Unterhaltung an ausgeſuchten Malereien;
es war leicht, ſich in dieſen geſchmackvollen Räumen
auf einige Zeit ſelber zu vergeſſen, und ſo ſtand er eben
betrachtend mit ſich allein, als ihm der entfernte Spie-
gel eines dritten Zimmers zwei von der entgegengeſezten
Seite herbeikommende Perſonen zeigte, in denen er bei
genauerem Hinblicken endlich den Grafen, und gegen
alle ſeine Erwartung, Conſtanzen ſelbſt erkennen
konnte. Ganz außer Faſſung gebracht ſchaute er un-
verrückt mit klopfendem Herzen noch immer auf die nah
und näher im Spiegel herbeiſchwebenden Geſtalten, bis
die Tritte hinter ihm rauſchten, und ſeinerſeits ein
ziemlich verwirrtes, andererſeits ein durchaus unbefan-

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[111/0119] Theobald, nach einer ſorgfältigen Beachtung der in ihrer Art einzigen Skulpturen, redete den Fremden italieniſch an, und würde ſich bei ſeiner Unterhaltung hinlänglich intereſſirt gefunden haben, wäre das Be- ſtreben des Fremden, immer nur recht paradox zu ſeyn und das Ernſthafte ins Lächerliche zu ziehen, nicht allzu widrig aufgefallen. Ja, am Ende, als der künſtleriſche Charakter Theobalds zur Sprache kam, konnte der Mann eine gewiſſe tückiſche Neckerei nicht laſſen. Halb gekränkt und unwillig entzog ſich unſer Freund, um auf die ſpätere Ankunft des Grafen ein fruga- les Mittagsmahl in der Meierei zu beſtellen. Müſſig wie er war, beſah er ſich ſodann die Umgebun- gen und die innere Einrichtung des fürſtlichen Aufent- halts. Mehrere Zimmer gewährten eine reiche und belehrende Unterhaltung an ausgeſuchten Malereien; es war leicht, ſich in dieſen geſchmackvollen Räumen auf einige Zeit ſelber zu vergeſſen, und ſo ſtand er eben betrachtend mit ſich allein, als ihm der entfernte Spie- gel eines dritten Zimmers zwei von der entgegengeſezten Seite herbeikommende Perſonen zeigte, in denen er bei genauerem Hinblicken endlich den Grafen, und gegen alle ſeine Erwartung, Conſtanzen ſelbſt erkennen konnte. Ganz außer Faſſung gebracht ſchaute er un- verrückt mit klopfendem Herzen noch immer auf die nah und näher im Spiegel herbeiſchwebenden Geſtalten, bis die Tritte hinter ihm rauſchten, und ſeinerſeits ein ziemlich verwirrtes, andererſeits ein durchaus unbefan-

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/119>, abgerufen am 30.11.2024.