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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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dachte er bei sich, nimmt sie nicht in meiner Einbildung
einen Theil von Constanzens eigenem Wesen an?
Ja, dieser herrliche Kelch, der aus seiner schneeigen
Tiefe die mildesten Geister entläßt, diese dunkeln Blät-
ter, die sich schützend und geschüzt unter das stille Hei-
ligthum der Blume breiten, wie schön wird durch das
Alles die Geliebte bezeichnet und was sie umgibt! wie
vertritt die Pflanze mir durch ihre ahnungsvolle Ge-
genwart die himmlische Gestalt!

Unversehens war Constanze wieder da, die Ge-
sellschaft dießmal allein bedienend. Sie brachte endlich
Theobalden die Tasse, und indeß Larkens eine neue
Anekdote zu allgemeiner Belustigung Preis gab, nahm je-
ner Anlaß, sich scherzhaft gegen Constanze wegen der
vorenthaltenen Tuscharbeit zu beschweren.

"Ei," war die Antwort, "Sie haben's nicht um
mich verdient, Sie haben mir neulich einen übeln
Schrecken zugefügt, der mir wohl das Leben hätte
kosten können, zwar bloß im Traume."

"Wie? meine Gnädige, ich wäre so unglücklich
gewesen? und so glücklich doch, daß mein Bild im
kleinsten Ihrer Träume --?"

"Das eben nicht, -- doch ja, Ihr Bild, ein Bild
aus Ihrer Phantasie."

"Wie so, wenn ich fragen darf?"

"So hören Sie und lachen mich aus! Vorige
Nacht beliebte es Ihrer gespensterhaften Orgelspielerin,
ungebührlicherweise aus dem Rahmen des schauer-

dachte er bei ſich, nimmt ſie nicht in meiner Einbildung
einen Theil von Conſtanzens eigenem Weſen an?
Ja, dieſer herrliche Kelch, der aus ſeiner ſchneeigen
Tiefe die mildeſten Geiſter entläßt, dieſe dunkeln Blät-
ter, die ſich ſchützend und geſchüzt unter das ſtille Hei-
ligthum der Blume breiten, wie ſchön wird durch das
Alles die Geliebte bezeichnet und was ſie umgibt! wie
vertritt die Pflanze mir durch ihre ahnungsvolle Ge-
genwart die himmliſche Geſtalt!

Unverſehens war Conſtanze wieder da, die Ge-
ſellſchaft dießmal allein bedienend. Sie brachte endlich
Theobalden die Taſſe, und indeß Larkens eine neue
Anekdote zu allgemeiner Beluſtigung Preis gab, nahm je-
ner Anlaß, ſich ſcherzhaft gegen Conſtanze wegen der
vorenthaltenen Tuſcharbeit zu beſchweren.

„Ei,“ war die Antwort, „Sie haben’s nicht um
mich verdient, Sie haben mir neulich einen übeln
Schrecken zugefügt, der mir wohl das Leben hätte
koſten können, zwar bloß im Traume.“

„Wie? meine Gnädige, ich wäre ſo unglücklich
geweſen? und ſo glücklich doch, daß mein Bild im
kleinſten Ihrer Träume —?“

„Das eben nicht, — doch ja, Ihr Bild, ein Bild
aus Ihrer Phantaſie.“

„Wie ſo, wenn ich fragen darf?“

„So hören Sie und lachen mich aus! Vorige
Nacht beliebte es Ihrer geſpenſterhaften Orgelſpielerin,
ungebührlicherweiſe aus dem Rahmen des ſchauer-

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[101/0109] dachte er bei ſich, nimmt ſie nicht in meiner Einbildung einen Theil von Conſtanzens eigenem Weſen an? Ja, dieſer herrliche Kelch, der aus ſeiner ſchneeigen Tiefe die mildeſten Geiſter entläßt, dieſe dunkeln Blät- ter, die ſich ſchützend und geſchüzt unter das ſtille Hei- ligthum der Blume breiten, wie ſchön wird durch das Alles die Geliebte bezeichnet und was ſie umgibt! wie vertritt die Pflanze mir durch ihre ahnungsvolle Ge- genwart die himmliſche Geſtalt! Unverſehens war Conſtanze wieder da, die Ge- ſellſchaft dießmal allein bedienend. Sie brachte endlich Theobalden die Taſſe, und indeß Larkens eine neue Anekdote zu allgemeiner Beluſtigung Preis gab, nahm je- ner Anlaß, ſich ſcherzhaft gegen Conſtanze wegen der vorenthaltenen Tuſcharbeit zu beſchweren. „Ei,“ war die Antwort, „Sie haben’s nicht um mich verdient, Sie haben mir neulich einen übeln Schrecken zugefügt, der mir wohl das Leben hätte koſten können, zwar bloß im Traume.“ „Wie? meine Gnädige, ich wäre ſo unglücklich geweſen? und ſo glücklich doch, daß mein Bild im kleinſten Ihrer Träume —?“ „Das eben nicht, — doch ja, Ihr Bild, ein Bild aus Ihrer Phantaſie.“ „Wie ſo, wenn ich fragen darf?“ „So hören Sie und lachen mich aus! Vorige Nacht beliebte es Ihrer geſpenſterhaften Orgelſpielerin, ungebührlicherweiſe aus dem Rahmen des ſchauer-

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/109>, abgerufen am 29.11.2024.