Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

ten Gruppen hin und eine gütige Verbeugung gegen
Nolten sezte dessen Lebensgeister auf Einmal in
eine muntere, mit aller Welt ausgesöhnte Bewegung.
Der Graf kam indessen mit einer Rolle Papier her-
bei und flüsterte: "Hier meine Herren, -- wir könn-
ten später nicht mehr so leicht dazu kommen, -- eine
neue Zeichnung in Tusch von unserer eigensinnigen
Künstlerin, die uns gerne Alles versteckte und ver-
schöbe, -- aber dießmal hab' ich selbst einigen An-
theil an dem Lobe, das Sie ihr gönnen werden; die
Idee ist, so zu sagen, hälftig mein." Er wollte eben
das Blatt entrollen, als ihm von hinten eine zarte
Hand in die Finger griff -- "Erlauben meine Herren!"
sagte die herbeigeeilte Schwester, merklich erröthend,
"es ist billig, daß ich die Sache selbst vorzeige: -- zu
seiner Zeit, heißt das!" sezte sie lachend hinzu und
eilte mit dem Blatte nach dem Schrank, wo sie es
trotz aller Einsprache der Anwesenden rasch verschloß.
Sie verschwand in einem Kabinet, nach dem Thee zu
sehen.

Wenn sie so auf Augenblicke abwesend war, so
mochte Theobald gerne im ruhigsten Anschauen ihres
geistigen Bildes das Auge auf irgend einen der leblo-
sen Gegenstände heften, mit dem ihre Person noch so
eben in Berührung gekommen war. So stand auf
einem schmalen Mahagonipfeiler an der Wand eine
offene Kalla in buntgemaltem Topfe, der den goldenen
Buchstaben C. im blauen Schilde trug. Diese Pflanze,

ten Gruppen hin und eine gütige Verbeugung gegen
Nolten ſezte deſſen Lebensgeiſter auf Einmal in
eine muntere, mit aller Welt ausgeſöhnte Bewegung.
Der Graf kam indeſſen mit einer Rolle Papier her-
bei und flüſterte: „Hier meine Herren, — wir könn-
ten ſpäter nicht mehr ſo leicht dazu kommen, — eine
neue Zeichnung in Tuſch von unſerer eigenſinnigen
Künſtlerin, die uns gerne Alles verſteckte und ver-
ſchöbe, — aber dießmal hab’ ich ſelbſt einigen An-
theil an dem Lobe, das Sie ihr gönnen werden; die
Idee iſt, ſo zu ſagen, hälftig mein.“ Er wollte eben
das Blatt entrollen, als ihm von hinten eine zarte
Hand in die Finger griff — „Erlauben meine Herren!“
ſagte die herbeigeeilte Schweſter, merklich erröthend,
„es iſt billig, daß ich die Sache ſelbſt vorzeige: — zu
ſeiner Zeit, heißt das!“ ſezte ſie lachend hinzu und
eilte mit dem Blatte nach dem Schrank, wo ſie es
trotz aller Einſprache der Anweſenden raſch verſchloß.
Sie verſchwand in einem Kabinet, nach dem Thee zu
ſehen.

Wenn ſie ſo auf Augenblicke abweſend war, ſo
mochte Theobald gerne im ruhigſten Anſchauen ihres
geiſtigen Bildes das Auge auf irgend einen der leblo-
ſen Gegenſtände heften, mit dem ihre Perſon noch ſo
eben in Berührung gekommen war. So ſtand auf
einem ſchmalen Mahagonipfeiler an der Wand eine
offene Kalla in buntgemaltem Topfe, der den goldenen
Buchſtaben C. im blauen Schilde trug. Dieſe Pflanze,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0108" n="100"/>
ten Gruppen hin und eine gütige Verbeugung gegen<lb/><hi rendition="#g">Nolten</hi> &#x017F;ezte de&#x017F;&#x017F;en Lebensgei&#x017F;ter auf Einmal in<lb/>
eine muntere, mit aller Welt ausge&#x017F;öhnte Bewegung.<lb/>
Der Graf kam inde&#x017F;&#x017F;en mit einer Rolle Papier her-<lb/>
bei und flü&#x017F;terte: &#x201E;Hier meine Herren, &#x2014; wir könn-<lb/>
ten &#x017F;päter nicht mehr &#x017F;o leicht dazu kommen, &#x2014; eine<lb/>
neue Zeichnung in Tu&#x017F;ch von un&#x017F;erer eigen&#x017F;innigen<lb/>
Kün&#x017F;tlerin, die uns gerne Alles ver&#x017F;teckte und ver-<lb/>
&#x017F;chöbe, &#x2014; aber dießmal hab&#x2019; ich &#x017F;elb&#x017F;t einigen An-<lb/>
theil an dem Lobe, das Sie ihr gönnen werden; die<lb/>
Idee i&#x017F;t, &#x017F;o zu &#x017F;agen, hälftig mein.&#x201C; Er wollte eben<lb/>
das Blatt entrollen, als ihm von hinten eine zarte<lb/>
Hand in die Finger griff &#x2014; &#x201E;Erlauben meine Herren!&#x201C;<lb/>
&#x017F;agte die herbeigeeilte Schwe&#x017F;ter, merklich erröthend,<lb/>
&#x201E;es i&#x017F;t billig, daß ich die Sache &#x017F;elb&#x017F;t vorzeige: &#x2014; zu<lb/>
&#x017F;einer Zeit, heißt das!&#x201C; &#x017F;ezte &#x017F;ie lachend hinzu und<lb/>
eilte mit dem Blatte nach dem Schrank, wo &#x017F;ie es<lb/>
trotz aller Ein&#x017F;prache der Anwe&#x017F;enden ra&#x017F;ch ver&#x017F;chloß.<lb/>
Sie ver&#x017F;chwand in einem Kabinet, nach dem Thee zu<lb/>
&#x017F;ehen.</p><lb/>
          <p>Wenn &#x017F;ie &#x017F;o auf Augenblicke abwe&#x017F;end war, &#x017F;o<lb/>
mochte <hi rendition="#g">Theobald</hi> gerne im ruhig&#x017F;ten An&#x017F;chauen ihres<lb/>
gei&#x017F;tigen Bildes das Auge auf irgend einen der leblo-<lb/>
&#x017F;en Gegen&#x017F;tände heften, mit dem ihre Per&#x017F;on noch &#x017F;o<lb/>
eben in Berührung gekommen war. So &#x017F;tand auf<lb/>
einem &#x017F;chmalen Mahagonipfeiler an der Wand eine<lb/>
offene Kalla in buntgemaltem Topfe, der den goldenen<lb/>
Buch&#x017F;taben <hi rendition="#aq">C.</hi> im blauen Schilde trug. Die&#x017F;e Pflanze,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[100/0108] ten Gruppen hin und eine gütige Verbeugung gegen Nolten ſezte deſſen Lebensgeiſter auf Einmal in eine muntere, mit aller Welt ausgeſöhnte Bewegung. Der Graf kam indeſſen mit einer Rolle Papier her- bei und flüſterte: „Hier meine Herren, — wir könn- ten ſpäter nicht mehr ſo leicht dazu kommen, — eine neue Zeichnung in Tuſch von unſerer eigenſinnigen Künſtlerin, die uns gerne Alles verſteckte und ver- ſchöbe, — aber dießmal hab’ ich ſelbſt einigen An- theil an dem Lobe, das Sie ihr gönnen werden; die Idee iſt, ſo zu ſagen, hälftig mein.“ Er wollte eben das Blatt entrollen, als ihm von hinten eine zarte Hand in die Finger griff — „Erlauben meine Herren!“ ſagte die herbeigeeilte Schweſter, merklich erröthend, „es iſt billig, daß ich die Sache ſelbſt vorzeige: — zu ſeiner Zeit, heißt das!“ ſezte ſie lachend hinzu und eilte mit dem Blatte nach dem Schrank, wo ſie es trotz aller Einſprache der Anweſenden raſch verſchloß. Sie verſchwand in einem Kabinet, nach dem Thee zu ſehen. Wenn ſie ſo auf Augenblicke abweſend war, ſo mochte Theobald gerne im ruhigſten Anſchauen ihres geiſtigen Bildes das Auge auf irgend einen der leblo- ſen Gegenſtände heften, mit dem ihre Perſon noch ſo eben in Berührung gekommen war. So ſtand auf einem ſchmalen Mahagonipfeiler an der Wand eine offene Kalla in buntgemaltem Topfe, der den goldenen Buchſtaben C. im blauen Schilde trug. Dieſe Pflanze,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/108
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/108>, abgerufen am 29.11.2024.