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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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derbaren Vorfall in jener Ballnacht gedeutet haben
konnte. Daß Constanze unlängst in seiner und an-
derer Freunde Gegenwart, als eben von der Blumen-
sprache die Rede war, aus Gelegenheit eines blühen-
den Granatbaums das feurige Roth desselben für das
Symbol lebhafter Neigung erklärt hatte, indem sie
sich dabei schalkhaft geheimnißvoll auf das Urtheil
Noltens als "besonders passionirten Kenners" vor-
zugsweise berief, und daß ihm eine Woche später von
unbekannter Hand ein solcher Strauß war angeheftet
worden, konnte sehr leicht bloße Neckerei des Zufalls
seyn, oder wohl gar, -- und dieser Meinung sind
wir selbst, -- der Schelmstreich einer lustigen Person,
welche nicht nur jenen Ausdruck der Gräfin mit an-
gehört, sondern auch dem Maler seine schwache Seite
längst mochte abgelauscht haben. Er befand sich deß-
halb in der größten Ungewißheit; nur so viel schien ihm
bisher ausgemacht, daß die Gräfin damals auf dem Balle
gewesen, und jezt erst fiel ihm ein, sich näher zu erkundigen.
Aber auch wenn er manchmal sich selbst geflissentlich die
vielverheißende Bedeutung jenes Zeichens ausredete,
wenn er Alles verwarf, was er sich sonst zu seinem Vor-
theil ausgelegt, so konnte er am Ende bei jedem Blick
in sein Inneres bemerken, daß ein unerklärlicher
Glaube, eine stille Zuversicht in ihm zurückgeblieben
war, und er nahm sodann diese wundersame Hoffnung
gleichsam wieder als ein neues Orakel, dem er unbe-
dingt zu vertrauen habe. So eigen pflegt der Geist

derbaren Vorfall in jener Ballnacht gedeutet haben
konnte. Daß Conſtanze unlängſt in ſeiner und an-
derer Freunde Gegenwart, als eben von der Blumen-
ſprache die Rede war, aus Gelegenheit eines blühen-
den Granatbaums das feurige Roth deſſelben für das
Symbol lebhafter Neigung erklärt hatte, indem ſie
ſich dabei ſchalkhaft geheimnißvoll auf das Urtheil
Noltens als „beſonders paſſionirten Kenners“ vor-
zugsweiſe berief, und daß ihm eine Woche ſpäter von
unbekannter Hand ein ſolcher Strauß war angeheftet
worden, konnte ſehr leicht bloße Neckerei des Zufalls
ſeyn, oder wohl gar, — und dieſer Meinung ſind
wir ſelbſt, — der Schelmſtreich einer luſtigen Perſon,
welche nicht nur jenen Ausdruck der Gräfin mit an-
gehört, ſondern auch dem Maler ſeine ſchwache Seite
längſt mochte abgelauſcht haben. Er befand ſich deß-
halb in der größten Ungewißheit; nur ſo viel ſchien ihm
bisher ausgemacht, daß die Gräfin damals auf dem Balle
geweſen, und jezt erſt fiel ihm ein, ſich näher zu erkundigen.
Aber auch wenn er manchmal ſich ſelbſt gefliſſentlich die
vielverheißende Bedeutung jenes Zeichens ausredete,
wenn er Alles verwarf, was er ſich ſonſt zu ſeinem Vor-
theil ausgelegt, ſo konnte er am Ende bei jedem Blick
in ſein Inneres bemerken, daß ein unerklärlicher
Glaube, eine ſtille Zuverſicht in ihm zurückgeblieben
war, und er nahm ſodann dieſe wunderſame Hoffnung
gleichſam wieder als ein neues Orakel, dem er unbe-
dingt zu vertrauen habe. So eigen pflegt der Geiſt

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[98/0106] derbaren Vorfall in jener Ballnacht gedeutet haben konnte. Daß Conſtanze unlängſt in ſeiner und an- derer Freunde Gegenwart, als eben von der Blumen- ſprache die Rede war, aus Gelegenheit eines blühen- den Granatbaums das feurige Roth deſſelben für das Symbol lebhafter Neigung erklärt hatte, indem ſie ſich dabei ſchalkhaft geheimnißvoll auf das Urtheil Noltens als „beſonders paſſionirten Kenners“ vor- zugsweiſe berief, und daß ihm eine Woche ſpäter von unbekannter Hand ein ſolcher Strauß war angeheftet worden, konnte ſehr leicht bloße Neckerei des Zufalls ſeyn, oder wohl gar, — und dieſer Meinung ſind wir ſelbſt, — der Schelmſtreich einer luſtigen Perſon, welche nicht nur jenen Ausdruck der Gräfin mit an- gehört, ſondern auch dem Maler ſeine ſchwache Seite längſt mochte abgelauſcht haben. Er befand ſich deß- halb in der größten Ungewißheit; nur ſo viel ſchien ihm bisher ausgemacht, daß die Gräfin damals auf dem Balle geweſen, und jezt erſt fiel ihm ein, ſich näher zu erkundigen. Aber auch wenn er manchmal ſich ſelbſt gefliſſentlich die vielverheißende Bedeutung jenes Zeichens ausredete, wenn er Alles verwarf, was er ſich ſonſt zu ſeinem Vor- theil ausgelegt, ſo konnte er am Ende bei jedem Blick in ſein Inneres bemerken, daß ein unerklärlicher Glaube, eine ſtille Zuverſicht in ihm zurückgeblieben war, und er nahm ſodann dieſe wunderſame Hoffnung gleichſam wieder als ein neues Orakel, dem er unbe- dingt zu vertrauen habe. So eigen pflegt der Geiſt

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/106>, abgerufen am 29.11.2024.