Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

dem Schauspieler keinen Zweifel mehr übrig, wen die
Verstimmung betreffe; aber weit entfernt, den Fehler
auf Seiten Agnesens zu suchen, sah er an seinem
Freunde im Stillen nur den seichten Ueberdruß, die
undankbare Laune eines Liebhabers, und es mußte ihn
die kleinlaute Verlegenheit Theobalds, wenn dar-
auf die Rede kam, in der Meinung bestärken, dieser
fühle sein Unrecht. Dem Maler war ein solcher
Irrthum gewissermaßen nicht zuwider, er mochte lieber
den Schein der Untreue haben, als sein wahres Elend
täglich in den Augen des Schauspielers lesen.

Dem Leztern konnte es nicht entgehen, daß die
gewöhnlichen Briefe nach Neuburg seit einiger Zeit
stockten, obwohl von dorther immer welche einliefen,
und so entstand denn in dem sonderbaren Manne der
Entschluß, Noltens Pflicht in diesem Punkte zu
versehen. Allerdings nahm er sogleich das Unsichere
und Zufällige mit in Rechnung, doch zu befürchten
war ja eigentlich nichts, auch wenn das kecke Spiel
früher oder später an den Tag käme.

In der Zwischenzeit aber, d. h. vor der heim-
lichen Einrichtung, in deren Folge nachher Alles vom
Försterhause an den Bräutigam Geschriebene in die
Hände des unächten Correspondenten gelangte, waren
mehrere Briefe theils von Seiten des Alten, theils
von Agnesen selbst an Nolten gekommen, und
sie waren von der Art, daß Theobalds Urtheil, in
sofern es bis jezt unbedingt verwerfend gewesen, sich

dem Schauſpieler keinen Zweifel mehr übrig, wen die
Verſtimmung betreffe; aber weit entfernt, den Fehler
auf Seiten Agneſens zu ſuchen, ſah er an ſeinem
Freunde im Stillen nur den ſeichten Ueberdruß, die
undankbare Laune eines Liebhabers, und es mußte ihn
die kleinlaute Verlegenheit Theobalds, wenn dar-
auf die Rede kam, in der Meinung beſtärken, dieſer
fühle ſein Unrecht. Dem Maler war ein ſolcher
Irrthum gewiſſermaßen nicht zuwider, er mochte lieber
den Schein der Untreue haben, als ſein wahres Elend
täglich in den Augen des Schauſpielers leſen.

Dem Leztern konnte es nicht entgehen, daß die
gewöhnlichen Briefe nach Neuburg ſeit einiger Zeit
ſtockten, obwohl von dorther immer welche einliefen,
und ſo entſtand denn in dem ſonderbaren Manne der
Entſchluß, Noltens Pflicht in dieſem Punkte zu
verſehen. Allerdings nahm er ſogleich das Unſichere
und Zufällige mit in Rechnung, doch zu befürchten
war ja eigentlich nichts, auch wenn das kecke Spiel
früher oder ſpäter an den Tag käme.

In der Zwiſchenzeit aber, d. h. vor der heim-
lichen Einrichtung, in deren Folge nachher Alles vom
Förſterhauſe an den Bräutigam Geſchriebene in die
Hände des unächten Correſpondenten gelangte, waren
mehrere Briefe theils von Seiten des Alten, theils
von Agneſen ſelbſt an Nolten gekommen, und
ſie waren von der Art, daß Theobalds Urtheil, in
ſofern es bis jezt unbedingt verwerfend geweſen, ſich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0100" n="92"/>
dem Schau&#x017F;pieler keinen Zweifel mehr übrig, wen die<lb/>
Ver&#x017F;timmung betreffe; aber weit entfernt, den Fehler<lb/>
auf Seiten <hi rendition="#g">Agne&#x017F;ens</hi> zu &#x017F;uchen, &#x017F;ah er an &#x017F;einem<lb/>
Freunde im Stillen nur den &#x017F;eichten Ueberdruß, die<lb/>
undankbare Laune eines Liebhabers, und es mußte ihn<lb/>
die kleinlaute Verlegenheit <hi rendition="#g">Theobalds</hi>, wenn dar-<lb/>
auf die Rede kam, in der Meinung be&#x017F;tärken, die&#x017F;er<lb/>
fühle &#x017F;ein Unrecht. Dem Maler war ein &#x017F;olcher<lb/>
Irrthum gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen nicht zuwider, er mochte lieber<lb/>
den Schein der Untreue haben, als &#x017F;ein wahres Elend<lb/>
täglich in den Augen des Schau&#x017F;pielers le&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Dem Leztern konnte es nicht entgehen, daß die<lb/>
gewöhnlichen Briefe nach Neuburg &#x017F;eit einiger Zeit<lb/>
&#x017F;tockten, obwohl von dorther immer welche einliefen,<lb/>
und &#x017F;o ent&#x017F;tand denn in dem &#x017F;onderbaren Manne der<lb/>
Ent&#x017F;chluß, <hi rendition="#g">Noltens</hi> Pflicht in die&#x017F;em Punkte zu<lb/>
ver&#x017F;ehen. Allerdings nahm er &#x017F;ogleich das Un&#x017F;ichere<lb/>
und Zufällige mit in Rechnung, doch zu befürchten<lb/>
war ja eigentlich nichts, auch wenn das kecke Spiel<lb/>
früher oder &#x017F;päter an den Tag käme.</p><lb/>
          <p>In der Zwi&#x017F;chenzeit aber, d. h. vor der heim-<lb/>
lichen Einrichtung, in deren Folge nachher Alles vom<lb/>
För&#x017F;terhau&#x017F;e an den Bräutigam Ge&#x017F;chriebene in die<lb/>
Hände des unächten Corre&#x017F;pondenten gelangte, waren<lb/>
mehrere Briefe theils von Seiten des Alten, theils<lb/>
von <hi rendition="#g">Agne&#x017F;en</hi> &#x017F;elb&#x017F;t an <hi rendition="#g">Nolten</hi> gekommen, und<lb/>
&#x017F;ie waren von der Art, daß <hi rendition="#g">Theobalds</hi> Urtheil, in<lb/>
&#x017F;ofern es bis jezt unbedingt verwerfend gewe&#x017F;en, &#x017F;ich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[92/0100] dem Schauſpieler keinen Zweifel mehr übrig, wen die Verſtimmung betreffe; aber weit entfernt, den Fehler auf Seiten Agneſens zu ſuchen, ſah er an ſeinem Freunde im Stillen nur den ſeichten Ueberdruß, die undankbare Laune eines Liebhabers, und es mußte ihn die kleinlaute Verlegenheit Theobalds, wenn dar- auf die Rede kam, in der Meinung beſtärken, dieſer fühle ſein Unrecht. Dem Maler war ein ſolcher Irrthum gewiſſermaßen nicht zuwider, er mochte lieber den Schein der Untreue haben, als ſein wahres Elend täglich in den Augen des Schauſpielers leſen. Dem Leztern konnte es nicht entgehen, daß die gewöhnlichen Briefe nach Neuburg ſeit einiger Zeit ſtockten, obwohl von dorther immer welche einliefen, und ſo entſtand denn in dem ſonderbaren Manne der Entſchluß, Noltens Pflicht in dieſem Punkte zu verſehen. Allerdings nahm er ſogleich das Unſichere und Zufällige mit in Rechnung, doch zu befürchten war ja eigentlich nichts, auch wenn das kecke Spiel früher oder ſpäter an den Tag käme. In der Zwiſchenzeit aber, d. h. vor der heim- lichen Einrichtung, in deren Folge nachher Alles vom Förſterhauſe an den Bräutigam Geſchriebene in die Hände des unächten Correſpondenten gelangte, waren mehrere Briefe theils von Seiten des Alten, theils von Agneſen ſelbſt an Nolten gekommen, und ſie waren von der Art, daß Theobalds Urtheil, in ſofern es bis jezt unbedingt verwerfend geweſen, ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/100
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/100>, abgerufen am 28.11.2024.