Der Sommer bringt die Entfernte und bringt sie mit glücklich umgewandtem Herzen zurück. Das Dorf, das Schloß, der Garten, alles empfängt sie mit tausend Freuden. Rosen und Lilien, in erhöh¬ tem Schimmer, sehen entzückt und beschämt zu ihr auf, Glück winken ihr Sträucher und Bäume: für Einen, ach, den edelsten, kommt sie zu spät. Sie findet seine Krone verdorrt, ihre Finger betasten den leblosen Stamm und die klirrenden Aeste seines Ge¬ zweigs. Er kennt und sieht seine Pflegerin nimmer. Wie weint sie, wie strömt ihre zärtliche Klage!
Apollo von weitem vernimmt die Stimme der Tochter. Er kommt, er tritt herzu und schaut mit¬ fühlend ihren Jammer. Alsbald mit seinen allheilen¬ den Händen berührt er den Baum, daß er in sich erbebt, der vertrocknete Saft in der Rinde gewaltsam anschwillt, schon junges Laub ausbricht, schon weiße Blumen da und dort in ambrosischer Fülle aufgehen. Ja -- denn was vermöchten die Himmlischen nicht? -- schön runde Früchte setzen an, dreimal drei, nach der Zahl der neun Schwestern; sie wachsen und wachsen, ihr kindliches Grün zusehends mit der Farbe des Goldes vertauschend. Phöbus -- so schloß sich das Gedicht --
Mörike, Mozart. 5
Der Sommer bringt die Entfernte und bringt ſie mit glücklich umgewandtem Herzen zurück. Das Dorf, das Schloß, der Garten, alles empfängt ſie mit tauſend Freuden. Roſen und Lilien, in erhöh¬ tem Schimmer, ſehen entzückt und beſchämt zu ihr auf, Glück winken ihr Sträucher und Bäume: für Einen, ach, den edelſten, kommt ſie zu ſpät. Sie findet ſeine Krone verdorrt, ihre Finger betaſten den lebloſen Stamm und die klirrenden Aeſte ſeines Ge¬ zweigs. Er kennt und ſieht ſeine Pflegerin nimmer. Wie weint ſie, wie ſtrömt ihre zärtliche Klage!
Apollo von weitem vernimmt die Stimme der Tochter. Er kommt, er tritt herzu und ſchaut mit¬ fühlend ihren Jammer. Alsbald mit ſeinen allheilen¬ den Händen berührt er den Baum, daß er in ſich erbebt, der vertrocknete Saft in der Rinde gewaltſam anſchwillt, ſchon junges Laub ausbricht, ſchon weiße Blumen da und dort in ambroſiſcher Fülle aufgehen. Ja — denn was vermöchten die Himmliſchen nicht? — ſchön runde Früchte ſetzen an, dreimal drei, nach der Zahl der neun Schweſtern; ſie wachſen und wachſen, ihr kindliches Grün zuſehends mit der Farbe des Goldes vertauſchend. Phöbus — ſo ſchloß ſich das Gedicht —
Mörike, Mozart. 5
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Der Sommer bringt die Entfernte und bringt
ſie mit glücklich umgewandtem Herzen zurück. Das
Dorf, das Schloß, der Garten, alles empfängt ſie
mit tauſend Freuden. Roſen und Lilien, in erhöh¬
tem Schimmer, ſehen entzückt und beſchämt zu ihr
auf, Glück winken ihr Sträucher und Bäume: für
Einen, ach, den edelſten, kommt ſie zu ſpät. Sie
findet ſeine Krone verdorrt, ihre Finger betaſten den
lebloſen Stamm und die klirrenden Aeſte ſeines Ge¬
zweigs. Er kennt und ſieht ſeine Pflegerin nimmer.
Wie weint ſie, wie ſtrömt ihre zärtliche Klage!
Apollo von weitem vernimmt die Stimme der
Tochter. Er kommt, er tritt herzu und ſchaut mit¬
fühlend ihren Jammer. Alsbald mit ſeinen allheilen¬
den Händen berührt er den Baum, daß er in ſich
erbebt, der vertrocknete Saft in der Rinde gewaltſam
anſchwillt, ſchon junges Laub ausbricht, ſchon weiße
Blumen da und dort in ambroſiſcher Fülle aufgehen.
Ja — denn was vermöchten die Himmliſchen nicht? —
ſchön runde Früchte ſetzen an, dreimal drei, nach der
Zahl der neun Schweſtern; ſie wachſen und wachſen,
ihr kindliches Grün zuſehends mit der Farbe des
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Gedicht —
Mörike, Mozart. 5
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Mörike, Eduard: Mozart auf der Reise nach Prag. Stuttgart u. a., 1856, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_mozart_1856/77>, abgerufen am 29.07.2024.
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