Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Mozart auf der Reise nach Prag. Stuttgart u. a., 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

er die Königin auf dem Piano zu begleiten hatte,
wurde alles durch ihre Schilderung gleichsam zur
Wirklichkeit und Gegenwart. Ganze Gespräche, die
schönsten Anekdoten schüttelte sie aus dem Aermel.
Sie schien fürwahr mit jener Residenz, mit Potsdam
und mit Sanssouci bekannter als im Schlosse zu
Schönbrunn und auf der kaiserlichen Burg. Nebenbei
war sie schalkhaft genug, die Person unsres Helden
mit einer Anzahl völlig neuer hausväterlicher Eigen¬
schaften auszustatten, die sich auf dem soliden Boden
der preußischen Existenz entwickelt hatten, und unter
welchen die besagte Volkstett, als höchstes Phänomen
und zum Beweis wie die Extreme sich manchmal be¬
rühren, den Ansatz eines ordentlichen Geizchens wahr¬
genommen hatte, das ihn unendlich liebenswürdig
kleide. "Ja, nehmen's nur, er hat seine dreitausend
Thaler fix, und das wofür? Daß er die Woche ein¬
mal ein Kammerconcert, zweimal die große Oper
dirigirt -- Ach, Oberstin, ich habe ihn gesehen, un¬
sern lieben, kleinen goldenen Mann, in Mitten seiner
trefflichen Kapelle, die er sich zugeschult, die ihn an¬
betet! saß mit der Mozartin in ihrer Loge, schräg
gegen den höchsten Herrschaften über! Und was stand
auf dem Zettel, bitte Sie -- ich nahm ihn mit für

er die Königin auf dem Piano zu begleiten hatte,
wurde alles durch ihre Schilderung gleichſam zur
Wirklichkeit und Gegenwart. Ganze Geſpräche, die
ſchönſten Anekdoten ſchüttelte ſie aus dem Aermel.
Sie ſchien fürwahr mit jener Reſidenz, mit Potsdam
und mit Sansſouci bekannter als im Schloſſe zu
Schönbrunn und auf der kaiſerlichen Burg. Nebenbei
war ſie ſchalkhaft genug, die Perſon unſres Helden
mit einer Anzahl völlig neuer hausväterlicher Eigen¬
ſchaften auszuſtatten, die ſich auf dem ſoliden Boden
der preußiſchen Existenz entwickelt hatten, und unter
welchen die beſagte Volkſtett, als höchſtes Phänomen
und zum Beweis wie die Extreme ſich manchmal be¬
rühren, den Anſatz eines ordentlichen Geizchens wahr¬
genommen hatte, das ihn unendlich liebenswürdig
kleide. „Ja, nehmen's nur, er hat ſeine dreitauſend
Thaler fix, und das wofür? Daß er die Woche ein¬
mal ein Kammerconcert, zweimal die große Oper
dirigirt — Ach, Oberſtin, ich habe ihn geſehen, un¬
ſern lieben, kleinen goldenen Mann, in Mitten ſeiner
trefflichen Kapelle, die er ſich zugeſchult, die ihn an¬
betet! ſaß mit der Mozartin in ihrer Loge, ſchräg
gegen den höchſten Herrſchaften über! Und was ſtand
auf dem Zettel, bitte Sie — ich nahm ihn mit für

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0035" n="23"/>
er die Königin auf dem Piano zu begleiten hatte,<lb/>
wurde alles durch ihre Schilderung gleich&#x017F;am zur<lb/>
Wirklichkeit und Gegenwart. Ganze Ge&#x017F;präche, die<lb/>
&#x017F;chön&#x017F;ten Anekdoten &#x017F;chüttelte &#x017F;ie aus dem Aermel.<lb/>
Sie &#x017F;chien fürwahr mit jener Re&#x017F;idenz, mit Potsdam<lb/>
und mit Sans&#x017F;ouci bekannter als im Schlo&#x017F;&#x017F;e zu<lb/>
Schönbrunn und auf der kai&#x017F;erlichen Burg. Nebenbei<lb/>
war &#x017F;ie &#x017F;chalkhaft genug, die Per&#x017F;on un&#x017F;res Helden<lb/>
mit einer Anzahl völlig neuer hausväterlicher Eigen¬<lb/>
&#x017F;chaften auszu&#x017F;tatten, die &#x017F;ich auf dem &#x017F;oliden Boden<lb/>
der preußi&#x017F;chen Existenz entwickelt hatten, und unter<lb/>
welchen die be&#x017F;agte Volk&#x017F;tett, als höch&#x017F;tes Phänomen<lb/>
und zum Beweis wie die Extreme &#x017F;ich manchmal be¬<lb/>
rühren, den An&#x017F;atz eines ordentlichen Geizchens wahr¬<lb/>
genommen hatte, das ihn unendlich liebenswürdig<lb/>
kleide. &#x201E;Ja, nehmen's nur, er hat &#x017F;eine dreitau&#x017F;end<lb/>
Thaler fix, und das wofür? Daß er die Woche ein¬<lb/>
mal ein Kammerconcert, zweimal die große Oper<lb/>
dirigirt &#x2014; Ach, Ober&#x017F;tin, ich habe ihn ge&#x017F;ehen, un¬<lb/>
&#x017F;ern lieben, kleinen goldenen Mann, in Mitten &#x017F;einer<lb/>
trefflichen Kapelle, die er &#x017F;ich zuge&#x017F;chult, die ihn an¬<lb/>
betet! &#x017F;aß mit der Mozartin in ihrer Loge, &#x017F;chräg<lb/>
gegen den höch&#x017F;ten Herr&#x017F;chaften über! Und was &#x017F;tand<lb/>
auf dem Zettel, bitte Sie &#x2014; ich nahm ihn mit für<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0035] er die Königin auf dem Piano zu begleiten hatte, wurde alles durch ihre Schilderung gleichſam zur Wirklichkeit und Gegenwart. Ganze Geſpräche, die ſchönſten Anekdoten ſchüttelte ſie aus dem Aermel. Sie ſchien fürwahr mit jener Reſidenz, mit Potsdam und mit Sansſouci bekannter als im Schloſſe zu Schönbrunn und auf der kaiſerlichen Burg. Nebenbei war ſie ſchalkhaft genug, die Perſon unſres Helden mit einer Anzahl völlig neuer hausväterlicher Eigen¬ ſchaften auszuſtatten, die ſich auf dem ſoliden Boden der preußiſchen Existenz entwickelt hatten, und unter welchen die beſagte Volkſtett, als höchſtes Phänomen und zum Beweis wie die Extreme ſich manchmal be¬ rühren, den Anſatz eines ordentlichen Geizchens wahr¬ genommen hatte, das ihn unendlich liebenswürdig kleide. „Ja, nehmen's nur, er hat ſeine dreitauſend Thaler fix, und das wofür? Daß er die Woche ein¬ mal ein Kammerconcert, zweimal die große Oper dirigirt — Ach, Oberſtin, ich habe ihn geſehen, un¬ ſern lieben, kleinen goldenen Mann, in Mitten ſeiner trefflichen Kapelle, die er ſich zugeſchult, die ihn an¬ betet! ſaß mit der Mozartin in ihrer Loge, ſchräg gegen den höchſten Herrſchaften über! Und was ſtand auf dem Zettel, bitte Sie — ich nahm ihn mit für

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_mozart_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_mozart_1856/35
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Mozart auf der Reise nach Prag. Stuttgart u. a., 1856, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_mozart_1856/35>, abgerufen am 09.11.2024.