Mörike, Eduard: Mozart auf der Reise nach Prag. Stuttgart u. a., 1856.dem Klaviere still. Durchaus war es ihr wie ein Ein Tännlein grünet wo, Wer weiß, im Walde;Ein Rosenstrauch, wer sagt, In welchem Garten? Sie sind erlesen schon, Denk' es, o Seele, Auf deinem Grab zu wurzeln Und zu wachsen. Mörike, Mozart 8
dem Klaviere ſtill. Durchaus war es ihr wie ein Ein Tännlein grünet wo, Wer weiß, im Walde;Ein Roſenſtrauch, wer ſagt, In welchem Garten? Sie ſind erleſen ſchon, Denk' es, o Seele, Auf deinem Grab zu wurzeln Und zu wachſen. Mörike, Mozart 8
<TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0125" n="113"/> dem Klaviere ſtill. Durchaus war es ihr wie ein<lb/> Traum, zu denken, wer noch vor wenigen Stunden<lb/> davor geſeſſen habe. Lang blickte ſie gedankenvoll die<lb/> Taſten an, die Er zuletzt berührt, dann drückte ſie<lb/> leiſe den Deckel zu und zog den Schlüſſel ab, in<lb/> eiferſüchtiger Sorge, daß ſobald keine andere Hand<lb/> wieder öffne. Im Weggehn ſtellte ſie beiläufig einige<lb/> Liederhefte an ihren Ort zurück; es fiel ein älteres<lb/> Blatt heraus, die Abſchrift eines böhmiſchen Volks¬<lb/> liedchens, das Franziska früher, auch wohl ſie ſelbſt,<lb/> manchmal geſungen. Sie nahm es auf, nicht ohne<lb/> darüber betreten zu ſeyn. In einer Stimmung wie<lb/> die ihrige wird der natürlichſte Zufall leicht zum<lb/> Orakel. Wie ſie es aber auch verſtehen wollte, der<lb/> Inhalt war der Art, daß ihr, indem ſie die ein¬<lb/> fachen Verſe wieder durchlas, heiße Thränen entfielen.</p><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l rendition="#et">Ein Tännlein grünet wo,</l><lb/> <l>Wer weiß, im Walde;</l><lb/> <l>Ein Roſenſtrauch, wer ſagt,</l><lb/> <l>In welchem Garten?</l><lb/> <l>Sie ſind erleſen ſchon,</l><lb/> <l>Denk' es, o Seele,</l><lb/> <l>Auf deinem Grab zu wurzeln</l><lb/> <l>Und zu wachſen.</l><lb/> </lg> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Mörike</hi>, Mozart 8<lb/></fw> </lg> </body> </text> </TEI> [113/0125]
dem Klaviere ſtill. Durchaus war es ihr wie ein
Traum, zu denken, wer noch vor wenigen Stunden
davor geſeſſen habe. Lang blickte ſie gedankenvoll die
Taſten an, die Er zuletzt berührt, dann drückte ſie
leiſe den Deckel zu und zog den Schlüſſel ab, in
eiferſüchtiger Sorge, daß ſobald keine andere Hand
wieder öffne. Im Weggehn ſtellte ſie beiläufig einige
Liederhefte an ihren Ort zurück; es fiel ein älteres
Blatt heraus, die Abſchrift eines böhmiſchen Volks¬
liedchens, das Franziska früher, auch wohl ſie ſelbſt,
manchmal geſungen. Sie nahm es auf, nicht ohne
darüber betreten zu ſeyn. In einer Stimmung wie
die ihrige wird der natürlichſte Zufall leicht zum
Orakel. Wie ſie es aber auch verſtehen wollte, der
Inhalt war der Art, daß ihr, indem ſie die ein¬
fachen Verſe wieder durchlas, heiße Thränen entfielen.
Ein Tännlein grünet wo,
Wer weiß, im Walde;
Ein Roſenſtrauch, wer ſagt,
In welchem Garten?
Sie ſind erleſen ſchon,
Denk' es, o Seele,
Auf deinem Grab zu wurzeln
Und zu wachſen.
Mörike, Mozart 8
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |