Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.Läß'st du der Heimath Friedens-Auen, So manch ein lang gewohntes Glück, Um dir den eignen Herd zu bauen, Halb wehmuthsvoll, halb froh zurück: Getrost! so darf ich laut es zeugen, Ein würdig Herz hast du gewählt; Selbst böser Neid bekennt mit Schweigen, Daß Nichts zu deinem Glücke fehlt. Denn Heiterkeit und holde Sitte, Wie Sommerluft, durchwehn dein Haus, Und, goldbeschuht, mit leisem Tritte Gehn Segensengel ein und aus." Die Muse schwieg, und ohne Säumen Flocht sie nun mit geschäft'ger Hand, Indeß zu anspruchslosen Reimen Ich ihre Worte still verband. Auf einmal hielt sie mir entgegen Den fertigen Cyanenkranz, Und sprach: "Bring's Ihr mit meinem Segen!" Und schwand dahin im Nebelglanz. Ich aber blieb noch lange lauschen
Von Liedestrunkenheit bewegt, Das Aehrenfeld begann zu rauschen, Von Morgenschauern angeregt. Laͤß'ſt du der Heimath Friedens-Auen, So manch ein lang gewohntes Gluͤck, Um dir den eignen Herd zu bauen, Halb wehmuthsvoll, halb froh zuruͤck: Getroſt! ſo darf ich laut es zeugen, Ein wuͤrdig Herz haſt du gewaͤhlt; Selbſt boͤſer Neid bekennt mit Schweigen, Daß Nichts zu deinem Gluͤcke fehlt. Denn Heiterkeit und holde Sitte, Wie Sommerluft, durchwehn dein Haus, Und, goldbeſchuht, mit leiſem Tritte Gehn Segensengel ein und aus.“ Die Muſe ſchwieg, und ohne Saͤumen Flocht ſie nun mit geſchaͤft'ger Hand, Indeß zu anſpruchsloſen Reimen Ich ihre Worte ſtill verband. Auf einmal hielt ſie mir entgegen Den fertigen Cyanenkranz, Und ſprach: „Bring's Ihr mit meinem Segen!“ Und ſchwand dahin im Nebelglanz. Ich aber blieb noch lange lauſchen
Von Liedestrunkenheit bewegt, Das Aehrenfeld begann zu rauſchen, Von Morgenſchauern angeregt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0073" n="57"/> <lg n="18"> <l>Laͤß'ſt du der Heimath Friedens-Auen,</l><lb/> <l>So manch ein lang gewohntes Gluͤck,</l><lb/> <l>Um dir den eignen Herd zu bauen,</l><lb/> <l>Halb wehmuthsvoll, halb froh zuruͤck:</l><lb/> </lg> <lg n="19"> <l>Getroſt! ſo darf ich laut es zeugen,</l><lb/> <l>Ein wuͤrdig Herz haſt du gewaͤhlt;</l><lb/> <l>Selbſt boͤſer Neid bekennt mit Schweigen,</l><lb/> <l>Daß Nichts zu deinem Gluͤcke fehlt.</l><lb/> </lg> <lg n="20"> <l>Denn Heiterkeit und holde Sitte,</l><lb/> <l>Wie Sommerluft, durchwehn dein Haus,</l><lb/> <l>Und, goldbeſchuht, mit leiſem Tritte</l><lb/> <l>Gehn Segensengel ein und aus.“</l><lb/> </lg> <lg n="21"> <l>Die Muſe ſchwieg, und ohne Saͤumen</l><lb/> <l>Flocht ſie nun mit geſchaͤft'ger Hand,</l><lb/> <l>Indeß zu anſpruchsloſen Reimen</l><lb/> <l>Ich ihre Worte ſtill verband.</l><lb/> </lg> <lg n="22"> <l>Auf einmal hielt ſie mir entgegen</l><lb/> <l>Den fertigen Cyanenkranz,</l><lb/> <l>Und ſprach: „Bring's Ihr mit meinem Segen!“</l><lb/> <l>Und ſchwand dahin im Nebelglanz.</l><lb/> </lg> <lg n="23"> <l>Ich aber blieb noch lange lauſchen</l><lb/> <l>Von Liedestrunkenheit bewegt,</l><lb/> <l>Das Aehrenfeld begann zu rauſchen,</l><lb/> <l>Von Morgenſchauern angeregt.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [57/0073]
Laͤß'ſt du der Heimath Friedens-Auen,
So manch ein lang gewohntes Gluͤck,
Um dir den eignen Herd zu bauen,
Halb wehmuthsvoll, halb froh zuruͤck:
Getroſt! ſo darf ich laut es zeugen,
Ein wuͤrdig Herz haſt du gewaͤhlt;
Selbſt boͤſer Neid bekennt mit Schweigen,
Daß Nichts zu deinem Gluͤcke fehlt.
Denn Heiterkeit und holde Sitte,
Wie Sommerluft, durchwehn dein Haus,
Und, goldbeſchuht, mit leiſem Tritte
Gehn Segensengel ein und aus.“
Die Muſe ſchwieg, und ohne Saͤumen
Flocht ſie nun mit geſchaͤft'ger Hand,
Indeß zu anſpruchsloſen Reimen
Ich ihre Worte ſtill verband.
Auf einmal hielt ſie mir entgegen
Den fertigen Cyanenkranz,
Und ſprach: „Bring's Ihr mit meinem Segen!“
Und ſchwand dahin im Nebelglanz.
Ich aber blieb noch lange lauſchen
Von Liedestrunkenheit bewegt,
Das Aehrenfeld begann zu rauſchen,
Von Morgenſchauern angeregt.
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Zitationshilfe: | Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/73>, abgerufen am 23.07.2024. |