Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.Hinweg! und leite mich, du Schaar von Quellen, Die ihr durchspielt der Matten grünes Gold! Zeigt mir die ur-bemoosten Wasserzellen, Aus denen euer ewigs Leben rollt, Im kühnsten Walde die verwachs'nen Schwellen, Wo eurer Mutter Kraft im Berge grollt, Bis sie im breiten Schwung an Felsenwänden Herabstürzt, euch im Thale zu versenden. O hier ist's, wo Natur den Schleier reißt! Sie bricht einmal ihr übermenschlich Schweigen: Laut mit sich selber redend will ihr Geist, Sich selbst vernehmend, sich ihm selber zeigen. -- Doch ach, sie bleibt, mehr als der Mensch, verwais't, Darf nicht aus ihrem eignen Räthsel steigen! Dir biet' ich denn, begier'ge Wassersäule, Die nackte Brust, ach! ob sie dir sich theile! Vergebens! und dein kühles Element Tropft an mir ab, im Grase zu versinken. Was ist's, das deine Seele von mir trennt? Sie flieht, und möcht' ich auch in dir ertrinken! Dich kränkt's nicht, wie mein Herz um dich entbrennt, Küssest im Sturz nur diese schroffen Zinken; Du bleibest, was du warst seit Tag und Jahren, Ohn' ein'gen Schmerz der Zeiten zu erfahren. Hinweg aus diesem üpp'gen Schattengrund Voll großer Pracht, die drückend mich erschüttert! Bald grüßt beruhigt mein verstummter Mund Den schlichten Winkel, wo sonst halb verwittert Mörike, Gedichte. 4
Hinweg! und leite mich, du Schaar von Quellen, Die ihr durchſpielt der Matten gruͤnes Gold! Zeigt mir die ur-bemoosten Waſſerzellen, Aus denen euer ewigs Leben rollt, Im kuͤhnſten Walde die verwachſ'nen Schwellen, Wo eurer Mutter Kraft im Berge grollt, Bis ſie im breiten Schwung an Felſenwaͤnden Herabſtuͤrzt, euch im Thale zu verſenden. O hier iſt's, wo Natur den Schleier reißt! Sie bricht einmal ihr uͤbermenſchlich Schweigen: Laut mit ſich ſelber redend will ihr Geiſt, Sich ſelbſt vernehmend, ſich ihm ſelber zeigen. — Doch ach, ſie bleibt, mehr als der Menſch, verwaiſ't, Darf nicht aus ihrem eignen Raͤthſel ſteigen! Dir biet' ich denn, begier'ge Waſſerſaͤule, Die nackte Bruſt, ach! ob ſie dir ſich theile! Vergebens! und dein kuͤhles Element Tropft an mir ab, im Graſe zu verſinken. Was iſt's, das deine Seele von mir trennt? Sie flieht, und moͤcht' ich auch in dir ertrinken! Dich kraͤnkt's nicht, wie mein Herz um dich entbrennt, Kuͤſſeſt im Sturz nur dieſe ſchroffen Zinken; Du bleibeſt, was du warſt ſeit Tag und Jahren, Ohn' ein'gen Schmerz der Zeiten zu erfahren. Hinweg aus dieſem uͤpp'gen Schattengrund Voll großer Pracht, die druͤckend mich erſchuͤttert! Bald gruͤßt beruhigt mein verſtummter Mund Den ſchlichten Winkel, wo ſonſt halb verwittert Moͤrike, Gedichte. 4
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Hinweg! und leite mich, du Schaar von Quellen,
Die ihr durchſpielt der Matten gruͤnes Gold!
Zeigt mir die ur-bemoosten Waſſerzellen,
Aus denen euer ewigs Leben rollt,
Im kuͤhnſten Walde die verwachſ'nen Schwellen,
Wo eurer Mutter Kraft im Berge grollt,
Bis ſie im breiten Schwung an Felſenwaͤnden
Herabſtuͤrzt, euch im Thale zu verſenden.
O hier iſt's, wo Natur den Schleier reißt!
Sie bricht einmal ihr uͤbermenſchlich Schweigen:
Laut mit ſich ſelber redend will ihr Geiſt,
Sich ſelbſt vernehmend, ſich ihm ſelber zeigen.
— Doch ach, ſie bleibt, mehr als der Menſch, verwaiſ't,
Darf nicht aus ihrem eignen Raͤthſel ſteigen!
Dir biet' ich denn, begier'ge Waſſerſaͤule,
Die nackte Bruſt, ach! ob ſie dir ſich theile!
Vergebens! und dein kuͤhles Element
Tropft an mir ab, im Graſe zu verſinken.
Was iſt's, das deine Seele von mir trennt?
Sie flieht, und moͤcht' ich auch in dir ertrinken!
Dich kraͤnkt's nicht, wie mein Herz um dich entbrennt,
Kuͤſſeſt im Sturz nur dieſe ſchroffen Zinken;
Du bleibeſt, was du warſt ſeit Tag und Jahren,
Ohn' ein'gen Schmerz der Zeiten zu erfahren.
Hinweg aus dieſem uͤpp'gen Schattengrund
Voll großer Pracht, die druͤckend mich erſchuͤttert!
Bald gruͤßt beruhigt mein verſtummter Mund
Den ſchlichten Winkel, wo ſonſt halb verwittert
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