Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.Du willt dich von mir scheiden; Das mag ja wohl geschehn: Sollt aber von der schlimmen Greth Noch erst ein Probstück sehn." -- "Ach, Liebchen, ach, wie wallet hoch Dein schwarzes Ringelhaar! Und rühret sich kein Lüftchen doch, O sage, was es war? Schon wieder, ach, und wieder! Du lachest und mir graut: Es singen deine Zöpfe ... Weh! Du bist die Windesbraut! Du rissest die Fahn' von meinem Thurm! Mein Schloß verheertest du!" -- "O nein! die Fahne nahm ich zwar, Dein Schloß ließ ich in Ruh'; Tief unter deinem Felsen hält Mein Bruder Grabesrast, Er bäumte sich im Schlafe nur, Da stürzte dein Palast. Und bin ich auch des Windes Braut,
Der Schaden ist nicht groß; Komm, küsse mich! ich halte dich Und lasse dich nimmer los! Du willt dich von mir ſcheiden; Das mag ja wohl geſchehn: Sollt aber von der ſchlimmen Greth Noch erſt ein Probſtuͤck ſehn.“ — „Ach, Liebchen, ach, wie wallet hoch Dein ſchwarzes Ringelhaar! Und ruͤhret ſich kein Luͤftchen doch, O ſage, was es war? Schon wieder, ach, und wieder! Du lacheſt und mir graut: Es ſingen deine Zoͤpfe ... Weh! Du biſt die Windesbraut! Du riſſeſt die Fahn' von meinem Thurm! Mein Schloß verheerteſt du!“ — „O nein! die Fahne nahm ich zwar, Dein Schloß ließ ich in Ruh'; Tief unter deinem Felſen haͤlt Mein Bruder Grabesraſt, Er baͤumte ſich im Schlafe nur, Da ſtuͤrzte dein Palaſt. Und bin ich auch des Windes Braut,
Der Schaden iſt nicht groß; Komm, kuͤſſe mich! ich halte dich Und laſſe dich nimmer los! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0045" n="29"/> <lg n="18"> <l>Du willt dich von mir ſcheiden;</l><lb/> <l>Das mag ja wohl geſchehn:</l><lb/> <l>Sollt aber von der ſchlimmen Greth</l><lb/> <l>Noch erſt ein Probſtuͤck ſehn.“ —</l><lb/> </lg> <lg n="19"> <l>„Ach, Liebchen, ach, wie wallet hoch</l><lb/> <l>Dein ſchwarzes Ringelhaar!</l><lb/> <l>Und ruͤhret ſich kein Luͤftchen doch,</l><lb/> <l>O ſage, was es war?</l><lb/> </lg> <lg n="20"> <l>Schon wieder, ach, und wieder!</l><lb/> <l>Du lacheſt und mir graut:</l><lb/> <l>Es ſingen deine Zoͤpfe ... Weh!</l><lb/> <l>Du biſt die Windesbraut!</l><lb/> </lg> <lg n="21"> <l>Du riſſeſt die Fahn' von meinem Thurm!</l><lb/> <l>Mein Schloß verheerteſt du!“ —</l><lb/> <l>„O nein! die Fahne nahm ich zwar,</l><lb/> <l>Dein Schloß ließ ich in Ruh';</l><lb/> </lg> <lg n="22"> <l>Tief unter deinem Felſen haͤlt</l><lb/> <l>Mein Bruder Grabesraſt,</l><lb/> <l>Er baͤumte ſich im Schlafe nur,</l><lb/> <l>Da ſtuͤrzte dein Palaſt.</l><lb/> </lg> <lg n="23"> <l>Und bin ich auch des Windes Braut,</l><lb/> <l>Der Schaden iſt nicht groß;</l><lb/> <l>Komm, kuͤſſe mich! ich halte dich</l><lb/> <l>Und laſſe dich nimmer los!</l><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [29/0045]
Du willt dich von mir ſcheiden;
Das mag ja wohl geſchehn:
Sollt aber von der ſchlimmen Greth
Noch erſt ein Probſtuͤck ſehn.“ —
„Ach, Liebchen, ach, wie wallet hoch
Dein ſchwarzes Ringelhaar!
Und ruͤhret ſich kein Luͤftchen doch,
O ſage, was es war?
Schon wieder, ach, und wieder!
Du lacheſt und mir graut:
Es ſingen deine Zoͤpfe ... Weh!
Du biſt die Windesbraut!
Du riſſeſt die Fahn' von meinem Thurm!
Mein Schloß verheerteſt du!“ —
„O nein! die Fahne nahm ich zwar,
Dein Schloß ließ ich in Ruh';
Tief unter deinem Felſen haͤlt
Mein Bruder Grabesraſt,
Er baͤumte ſich im Schlafe nur,
Da ſtuͤrzte dein Palaſt.
Und bin ich auch des Windes Braut,
Der Schaden iſt nicht groß;
Komm, kuͤſſe mich! ich halte dich
Und laſſe dich nimmer los!
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Zitationshilfe: | Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/45>, abgerufen am 23.07.2024. |