Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.Wenn ich nur mit stumpfem Finger Aber, Liebchen, sieh, bei dir Bin ich plötzlich wie verwandelt, Im erwärmten Winterstübchen Bei dem Schimmer dieser Lampe, Wo ich deinen Worten lausche, Hold bescheidnen Liebesworten. Wie du dann geruhig deine Braunen Lockenhaare schlichtest, Also legt sich schön geglättet All dies wirre Bilderwesen, All des Herzens eitle Sorge, Viel-zertheiltes Thun und Denken. Froh begeistert, leicht gefiedert, Flieg' ich aus der Dichtung engen Rosenbanden, daß ich nur Noch in ihrem reinen Dufte, Als im Elemente, lebe. Oder, Mädchen, sage mir,
Bist du gar die Muse selber, Die, wie wahre Dichtung pflegt, Selbst unwissend, wer sie sey, Mich in ihren Armen hält, Daß ich selber, eins mit ihr, Nur ein zart Gedicht erscheine? Wenn ich nur mit ſtumpfem Finger Aber, Liebchen, ſieh, bei dir Bin ich ploͤtzlich wie verwandelt, Im erwaͤrmten Winterſtuͤbchen Bei dem Schimmer dieſer Lampe, Wo ich deinen Worten lauſche, Hold beſcheidnen Liebesworten. Wie du dann geruhig deine Braunen Lockenhaare ſchlichteſt, Alſo legt ſich ſchoͤn geglaͤttet All dies wirre Bilderweſen, All des Herzens eitle Sorge, Viel-zertheiltes Thun und Denken. Froh begeiſtert, leicht gefiedert, Flieg' ich aus der Dichtung engen Roſenbanden, daß ich nur Noch in ihrem reinen Dufte, Als im Elemente, lebe. Oder, Maͤdchen, ſage mir,
Biſt du gar die Muſe ſelber, Die, wie wahre Dichtung pflegt, Selbſt unwiſſend, wer ſie ſey, Mich in ihren Armen haͤlt, Daß ich ſelber, eins mit ihr, Nur ein zart Gedicht erſcheine? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <lg n="2"> <pb facs="#f0026" n="10"/> <l>Wenn ich nur mit ſtumpfem Finger</l><lb/> <l>Ungelenk die Saiten ruͤhrte,</l><lb/> <l>Sollt' ich dann nicht muthlos werden,</l><lb/> <l>Daß ich ſtets ein Schuͤler bleibe?</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Aber, Liebchen, ſieh, bei dir</l><lb/> <l>Bin ich ploͤtzlich wie verwandelt,</l><lb/> <l>Im erwaͤrmten Winterſtuͤbchen</l><lb/> <l>Bei dem Schimmer dieſer Lampe,</l><lb/> <l>Wo ich deinen Worten lauſche,</l><lb/> <l>Hold beſcheidnen Liebesworten.</l><lb/> <l>Wie du dann geruhig deine</l><lb/> <l>Braunen Lockenhaare ſchlichteſt,</l><lb/> <l>Alſo legt ſich ſchoͤn geglaͤttet</l><lb/> <l>All dies wirre Bilderweſen,</l><lb/> <l>All des Herzens eitle Sorge,</l><lb/> <l>Viel-zertheiltes Thun und Denken.</l><lb/> <l>Froh begeiſtert, leicht gefiedert,</l><lb/> <l>Flieg' ich aus der Dichtung engen</l><lb/> <l>Roſenbanden, daß ich nur</l><lb/> <l>Noch in ihrem reinen Dufte,</l><lb/> <l>Als im Elemente, lebe.</l><lb/> </lg> <lg n="4"> <l>Oder, Maͤdchen, ſage mir,</l><lb/> <l>Biſt du gar die Muſe ſelber,</l><lb/> <l>Die, wie wahre Dichtung pflegt,</l><lb/> <l>Selbſt unwiſſend, wer ſie ſey,</l><lb/> <l>Mich in ihren Armen haͤlt,</l><lb/> <l>Daß ich ſelber, eins mit ihr,</l><lb/> <l>Nur ein zart Gedicht erſcheine?</l><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [10/0026]
Wenn ich nur mit ſtumpfem Finger
Ungelenk die Saiten ruͤhrte,
Sollt' ich dann nicht muthlos werden,
Daß ich ſtets ein Schuͤler bleibe?
Aber, Liebchen, ſieh, bei dir
Bin ich ploͤtzlich wie verwandelt,
Im erwaͤrmten Winterſtuͤbchen
Bei dem Schimmer dieſer Lampe,
Wo ich deinen Worten lauſche,
Hold beſcheidnen Liebesworten.
Wie du dann geruhig deine
Braunen Lockenhaare ſchlichteſt,
Alſo legt ſich ſchoͤn geglaͤttet
All dies wirre Bilderweſen,
All des Herzens eitle Sorge,
Viel-zertheiltes Thun und Denken.
Froh begeiſtert, leicht gefiedert,
Flieg' ich aus der Dichtung engen
Roſenbanden, daß ich nur
Noch in ihrem reinen Dufte,
Als im Elemente, lebe.
Oder, Maͤdchen, ſage mir,
Biſt du gar die Muſe ſelber,
Die, wie wahre Dichtung pflegt,
Selbſt unwiſſend, wer ſie ſey,
Mich in ihren Armen haͤlt,
Daß ich ſelber, eins mit ihr,
Nur ein zart Gedicht erſcheine?
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Zitationshilfe: | Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/26>, abgerufen am 27.07.2024. |