Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Deines Gehirns, besinne dich wohl auf Alles und Jedes,
Was dir offenbart ist, dann nimm den Griffel und
zeichn' es

Fein mit Fleiß in ein Buch, damit es daure und bleibe;
Leg' es den Todten aus in der Unterwelt! sicherlich weißt du
Wohl die Pfade dahin und den Eingang, welcher dich nicht
schreckt,

Denn du bist ja der sichere Mann mit den wackeren
Stiefeln.

Jetzo sey es genug. Bewahre mein Wort im Gedächtniß,
Lieber! und also scheid' ich. Ade! wir sehen uns wieder."

Sprach's, der schelmische Gott, und ließ den Alten
alleine.
Dieser war wie verstürzt, und stand ihm fast der Verstand
still.

Endlich hebt er halblaut zu brummen an und zu fluchen,
Schandbare Worte zumal, gottlose, nicht zu beschreiben.
Aber nachdem die Galle verraucht war und die Empörung,
Hielt er inne und schwieg, denn es gemahnte der Geist
ihn,

Nicht zu trotzen den Himmlischen, deren doch immer die
Macht ist,

Sondern zu folgen vielmehr. Und alsbald wühlt sein
Gedanke

Rückwärts durch der Jahrtausende Wust, bis tief wo er
selber,

Noch ein Ungeborener, träumte die Wehen der Schö¬
pfung,

(Denn so sagte der Gott, und Götter werden nicht lügen).
12 *

Deines Gehirns, beſinne dich wohl auf Alles und Jedes,
Was dir offenbart iſt, dann nimm den Griffel und
zeichn' es

Fein mit Fleiß in ein Buch, damit es daure und bleibe;
Leg' es den Todten aus in der Unterwelt! ſicherlich weißt du
Wohl die Pfade dahin und den Eingang, welcher dich nicht
ſchreckt,

Denn du biſt ja der ſichere Mann mit den wackeren
Stiefeln.

Jetzo ſey es genug. Bewahre mein Wort im Gedaͤchtniß,
Lieber! und alſo ſcheid' ich. Ade! wir ſehen uns wieder.“

Sprach's, der ſchelmiſche Gott, und ließ den Alten
alleine.
Dieſer war wie verſtuͤrzt, und ſtand ihm faſt der Verſtand
ſtill.

Endlich hebt er halblaut zu brummen an und zu fluchen,
Schandbare Worte zumal, gottloſe, nicht zu beſchreiben.
Aber nachdem die Galle verraucht war und die Empoͤrung,
Hielt er inne und ſchwieg, denn es gemahnte der Geiſt
ihn,

Nicht zu trotzen den Himmliſchen, deren doch immer die
Macht iſt,

Sondern zu folgen vielmehr. Und alsbald wuͤhlt ſein
Gedanke

Ruͤckwaͤrts durch der Jahrtauſende Wuſt, bis tief wo er
ſelber,

Noch ein Ungeborener, traͤumte die Wehen der Schoͤ¬
pfung,

(Denn ſo ſagte der Gott, und Goͤtter werden nicht luͤgen).
12 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="2">
            <pb facs="#f0195" n="179"/>
            <l>Deines Gehirns, be&#x017F;inne dich wohl auf Alles und Jedes,</l><lb/>
            <l>Was dir offenbart i&#x017F;t, dann nimm den Griffel und<lb/><hi rendition="#et">zeichn' es</hi></l><lb/>
            <l>Fein mit Fleiß in ein Buch, damit es daure und bleibe;</l><lb/>
            <l>Leg' es den Todten aus in der Unterwelt! &#x017F;icherlich weißt du</l><lb/>
            <l>Wohl die Pfade dahin und den Eingang, welcher dich nicht<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;chreckt,</hi></l><lb/>
            <l>Denn du bi&#x017F;t ja der &#x017F;ichere Mann mit den wackeren<lb/><hi rendition="#et">Stiefeln.</hi></l><lb/>
            <l>Jetzo &#x017F;ey es genug. Bewahre mein Wort im Geda&#x0364;chtniß,</l><lb/>
            <l>Lieber! und al&#x017F;o &#x017F;cheid' ich. Ade! wir &#x017F;ehen uns wieder.&#x201C;</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="3">
            <l rendition="#et">Sprach's, der &#x017F;chelmi&#x017F;che Gott, und ließ den Alten<lb/><hi rendition="#et">alleine.</hi></l><lb/>
            <l>Die&#x017F;er war wie ver&#x017F;tu&#x0364;rzt, und &#x017F;tand ihm fa&#x017F;t der Ver&#x017F;tand<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;till.</hi></l><lb/>
            <l>Endlich hebt er halblaut zu brummen an und zu fluchen,</l><lb/>
            <l>Schandbare Worte zumal, gottlo&#x017F;e, nicht zu be&#x017F;chreiben.</l><lb/>
            <l>Aber nachdem die Galle verraucht war und die Empo&#x0364;rung,</l><lb/>
            <l>Hielt er inne und &#x017F;chwieg, denn es gemahnte der Gei&#x017F;t<lb/><hi rendition="#et">ihn,</hi></l><lb/>
            <l>Nicht zu trotzen den Himmli&#x017F;chen, deren doch immer die<lb/><hi rendition="#et">Macht i&#x017F;t,</hi></l><lb/>
            <l>Sondern zu folgen vielmehr. Und alsbald wu&#x0364;hlt &#x017F;ein<lb/><hi rendition="#et">Gedanke</hi></l><lb/>
            <l>Ru&#x0364;ckwa&#x0364;rts durch der Jahrtau&#x017F;ende Wu&#x017F;t, bis tief wo er<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;elber,</hi></l><lb/>
            <l>Noch ein Ungeborener, tra&#x0364;umte die Wehen der Scho&#x0364;¬<lb/><hi rendition="#et">pfung,</hi></l><lb/>
            <l>(Denn &#x017F;o &#x017F;agte der Gott, und Go&#x0364;tter werden nicht lu&#x0364;gen).</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">12 *<lb/></fw>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[179/0195] Deines Gehirns, beſinne dich wohl auf Alles und Jedes, Was dir offenbart iſt, dann nimm den Griffel und zeichn' es Fein mit Fleiß in ein Buch, damit es daure und bleibe; Leg' es den Todten aus in der Unterwelt! ſicherlich weißt du Wohl die Pfade dahin und den Eingang, welcher dich nicht ſchreckt, Denn du biſt ja der ſichere Mann mit den wackeren Stiefeln. Jetzo ſey es genug. Bewahre mein Wort im Gedaͤchtniß, Lieber! und alſo ſcheid' ich. Ade! wir ſehen uns wieder.“ Sprach's, der ſchelmiſche Gott, und ließ den Alten alleine. Dieſer war wie verſtuͤrzt, und ſtand ihm faſt der Verſtand ſtill. Endlich hebt er halblaut zu brummen an und zu fluchen, Schandbare Worte zumal, gottloſe, nicht zu beſchreiben. Aber nachdem die Galle verraucht war und die Empoͤrung, Hielt er inne und ſchwieg, denn es gemahnte der Geiſt ihn, Nicht zu trotzen den Himmliſchen, deren doch immer die Macht iſt, Sondern zu folgen vielmehr. Und alsbald wuͤhlt ſein Gedanke Ruͤckwaͤrts durch der Jahrtauſende Wuſt, bis tief wo er ſelber, Noch ein Ungeborener, traͤumte die Wehen der Schoͤ¬ pfung, (Denn ſo ſagte der Gott, und Goͤtter werden nicht luͤgen). 12 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/195
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/195>, abgerufen am 28.11.2024.