-- Siehe, Serachadan zeugete dich mit der Riesenkröte, Seine Götterkraft in ihrem Leibe verschließend, Da sie noch lebend war; denn gleich nach ihrer Empfängniß Ward sie verwandelt zu Stein, auch dein Vater hauchte den Geist aus; Ader du schliefest im Mutterleibe neun Monden und drüber, Denn im zehnten kamen die großen Wasser auf Erden. Vierzig Tage lang strömte der Regen und vierzig Nächte Auf die sündige Welt, so Thiere wie Menschen ersäufend; Eine einzige See war über die Lande ergossen, Ueber Berg und Thal und deckte die wolkigen Gipfel. Aber du lagest zufrieden in deinem Felsen verborgen, So wie die Auster ruht in fest verschlossenen Schalen, Oder des Meeres Preis, die unbezahlbare Perle. Götter segneten deinen Schlaf mit hohen Gesichten, Zeigten der Schöpfung Heimliches dir, wie Alles geworden; Erst, wie der Erdenball, mit wirkenden Kräften geschwän¬ gert, Einst dem dunkelen Nichts entschwebte, zusammt den Ge¬ stirnen, Wie mit Gras und Kraut sich zuerst der Boden begrünte, Wie aus der Erde Milch, so sie hegt im inneren Herzen, Alles Fleisch ward geformt, das zarte, darinnen der Geist wohnt, Thier- und Menschengeschlecht; denn erdgeboren sind Beide. Ferner sang dir dein Traum der Völker späteste Zukunft, Auch der Throne Wechselgeschick, der Könige Thaten, Ja, du sahst den verborgenen Rath der ewigen Götter. Solches gönnten sie dir, daß du, ein herrlicher Lehrer Oder Seher, das Unerhörte wiederum kündest,
Mörike, Gedichte. 12
— Siehe, Serachadan zeugete dich mit der Rieſenkroͤte, Seine Goͤtterkraft in ihrem Leibe verſchließend, Da ſie noch lebend war; denn gleich nach ihrer Empfaͤngniß Ward ſie verwandelt zu Stein, auch dein Vater hauchte den Geiſt aus; Ader du ſchliefeſt im Mutterleibe neun Monden und druͤber, Denn im zehnten kamen die großen Waſſer auf Erden. Vierzig Tage lang ſtroͤmte der Regen und vierzig Naͤchte Auf die ſuͤndige Welt, ſo Thiere wie Menſchen erſaͤufend; Eine einzige See war uͤber die Lande ergoſſen, Ueber Berg und Thal und deckte die wolkigen Gipfel. Aber du lageſt zufrieden in deinem Felſen verborgen, So wie die Auſter ruht in feſt verſchloſſenen Schalen, Oder des Meeres Preis, die unbezahlbare Perle. Goͤtter ſegneten deinen Schlaf mit hohen Geſichten, Zeigten der Schoͤpfung Heimliches dir, wie Alles geworden; Erſt, wie der Erdenball, mit wirkenden Kraͤften geſchwaͤn¬ gert, Einſt dem dunkelen Nichts entſchwebte, zuſammt den Ge¬ ſtirnen, Wie mit Gras und Kraut ſich zuerſt der Boden begruͤnte, Wie aus der Erde Milch, ſo ſie hegt im inneren Herzen, Alles Fleiſch ward geformt, das zarte, darinnen der Geiſt wohnt, Thier- und Menſchengeſchlecht; denn erdgeboren ſind Beide. Ferner ſang dir dein Traum der Voͤlker ſpaͤteſte Zukunft, Auch der Throne Wechſelgeſchick, der Koͤnige Thaten, Ja, du ſahſt den verborgenen Rath der ewigen Goͤtter. Solches goͤnnten ſie dir, daß du, ein herrlicher Lehrer Oder Seher, das Unerhoͤrte wiederum kuͤndeſt,
Moͤrike, Gedichte. 12
<TEI><text><body><divn="1"><lgtype="poem"><lgn="2"><pbfacs="#f0193"n="177"/><l>— Siehe, Serachadan zeugete dich mit der Rieſenkroͤte,</l><lb/><l>Seine Goͤtterkraft in ihrem Leibe verſchließend,</l><lb/><l>Da ſie noch lebend war; denn gleich nach ihrer Empfaͤngniß</l><lb/><l>Ward ſie verwandelt zu Stein, auch dein Vater hauchte<lb/><hirendition="#et">den Geiſt aus;</hi></l><lb/><l>Ader du ſchliefeſt im Mutterleibe neun Monden und druͤber,</l><lb/><l>Denn im zehnten kamen die großen Waſſer auf Erden.</l><lb/><l>Vierzig Tage lang ſtroͤmte der Regen und vierzig Naͤchte</l><lb/><l>Auf die ſuͤndige Welt, ſo Thiere wie Menſchen erſaͤufend;</l><lb/><l>Eine einzige See war uͤber die Lande ergoſſen,</l><lb/><l>Ueber Berg und Thal und deckte die wolkigen Gipfel.</l><lb/><l>Aber du lageſt zufrieden in deinem Felſen verborgen,</l><lb/><l>So wie die Auſter ruht in feſt verſchloſſenen Schalen,</l><lb/><l>Oder des Meeres Preis, die unbezahlbare Perle.</l><lb/><l>Goͤtter ſegneten deinen Schlaf mit hohen Geſichten,</l><lb/><l>Zeigten der Schoͤpfung Heimliches dir, wie Alles geworden;</l><lb/><l>Erſt, wie der Erdenball, mit wirkenden Kraͤften geſchwaͤn¬<lb/><hirendition="#et">gert,</hi></l><lb/><l>Einſt dem dunkelen Nichts entſchwebte, zuſammt den Ge¬<lb/><hirendition="#et">ſtirnen,</hi></l><lb/><l>Wie mit Gras und Kraut ſich zuerſt der Boden begruͤnte,</l><lb/><l>Wie aus der Erde Milch, ſo ſie hegt im inneren Herzen,</l><lb/><l>Alles Fleiſch ward geformt, das zarte, darinnen der Geiſt<lb/><hirendition="#et">wohnt,</hi></l><lb/><l>Thier- und Menſchengeſchlecht; denn erdgeboren ſind Beide.</l><lb/><l>Ferner ſang dir dein Traum der Voͤlker ſpaͤteſte Zukunft,</l><lb/><l>Auch der Throne Wechſelgeſchick, der Koͤnige Thaten,</l><lb/><l>Ja, du ſahſt den verborgenen Rath der ewigen Goͤtter.</l><lb/><l>Solches goͤnnten ſie dir, daß du, ein herrlicher Lehrer</l><lb/><l>Oder Seher, das Unerhoͤrte wiederum kuͤndeſt,</l><lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Moͤrike</hi>, Gedichte. 12<lb/></fw></lg></lg></div></body></text></TEI>
[177/0193]
— Siehe, Serachadan zeugete dich mit der Rieſenkroͤte,
Seine Goͤtterkraft in ihrem Leibe verſchließend,
Da ſie noch lebend war; denn gleich nach ihrer Empfaͤngniß
Ward ſie verwandelt zu Stein, auch dein Vater hauchte
den Geiſt aus;
Ader du ſchliefeſt im Mutterleibe neun Monden und druͤber,
Denn im zehnten kamen die großen Waſſer auf Erden.
Vierzig Tage lang ſtroͤmte der Regen und vierzig Naͤchte
Auf die ſuͤndige Welt, ſo Thiere wie Menſchen erſaͤufend;
Eine einzige See war uͤber die Lande ergoſſen,
Ueber Berg und Thal und deckte die wolkigen Gipfel.
Aber du lageſt zufrieden in deinem Felſen verborgen,
So wie die Auſter ruht in feſt verſchloſſenen Schalen,
Oder des Meeres Preis, die unbezahlbare Perle.
Goͤtter ſegneten deinen Schlaf mit hohen Geſichten,
Zeigten der Schoͤpfung Heimliches dir, wie Alles geworden;
Erſt, wie der Erdenball, mit wirkenden Kraͤften geſchwaͤn¬
gert,
Einſt dem dunkelen Nichts entſchwebte, zuſammt den Ge¬
ſtirnen,
Wie mit Gras und Kraut ſich zuerſt der Boden begruͤnte,
Wie aus der Erde Milch, ſo ſie hegt im inneren Herzen,
Alles Fleiſch ward geformt, das zarte, darinnen der Geiſt
wohnt,
Thier- und Menſchengeſchlecht; denn erdgeboren ſind Beide.
Ferner ſang dir dein Traum der Voͤlker ſpaͤteſte Zukunft,
Auch der Throne Wechſelgeſchick, der Koͤnige Thaten,
Ja, du ſahſt den verborgenen Rath der ewigen Goͤtter.
Solches goͤnnten ſie dir, daß du, ein herrlicher Lehrer
Oder Seher, das Unerhoͤrte wiederum kuͤndeſt,
Moͤrike, Gedichte. 12
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/193>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.