Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.Apostrophe. Als der Verfasser unter ein paar alten Eichen verschiedene Gedichte Ihr mehr als tausendjährigen,
Eichbäum', ihr rauh-moos-härigen! Ihr, fröhlichen, spitzöhrigen Waldteufeln angehörigen! Ihr lang von wuthbeflissenen Nordstürmen wild zerrissenen! Nun angeweht von weichlichen Mailüftchen, unvergleichlichen; Und euer Fuß, der tüchtige, Den grimmig der bergschlüchtige, Von Felsen überpurzelte Waldstrom so gern entwurzelte, Beglänzt von Bächleins Schimmer nun, Dessen Gesprächlein nimmer ruhn: Von Grund des Herzens preis' ich euch, Und überglücklich heiß' ich euch, Daß ihr so hoch euch beide streckt Und in so dicken Häuten steckt, Daß, was ich euch in künstlichen, So äußerst sprachverdienstlichen Reimweisen eben vorgesungen, Euch gar nicht an das Ohr gedrungen. Apoſtrophe. Als der Verfaſſer unter ein paar alten Eichen verſchiedene Gedichte Ihr mehr als tauſendjaͤhrigen,
Eichbaͤum', ihr rauh-moos-haͤrigen! Ihr, froͤhlichen, ſpitzoͤhrigen Waldteufeln angehoͤrigen! Ihr lang von wuthbefliſſenen Nordſtuͤrmen wild zerriſſenen! Nun angeweht von weichlichen Mailuͤftchen, unvergleichlichen; Und euer Fuß, der tuͤchtige, Den grimmig der bergſchluͤchtige, Von Felſen uͤberpurzelte Waldſtrom ſo gern entwurzelte, Beglaͤnzt von Baͤchleins Schimmer nun, Deſſen Geſpraͤchlein nimmer ruhn: Von Grund des Herzens preiſ' ich euch, Und uͤbergluͤcklich heiß' ich euch, Daß ihr ſo hoch euch beide ſtreckt Und in ſo dicken Haͤuten ſteckt, Daß, was ich euch in kuͤnſtlichen, So aͤußerſt ſprachverdienſtlichen Reimweiſen eben vorgeſungen, Euch gar nicht an das Ohr gedrungen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb n="133" facs="#f0149"/> </div> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b #g">Apoſtrophe.</hi><lb/> </head> <p rendition="#c">Als der Verfaſſer unter ein paar alten Eichen verſchiedene Gedichte<lb/> las, worin <hi rendition="#g">Ruͤckerts</hi> geniale Formen auf eine geißloſe<lb/> Weiſe nachgeahmt und uͤberboten waren.</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Ihr mehr als tauſendjaͤhrigen,</l><lb/> <l>Eichbaͤum', ihr rauh-moos-haͤrigen!</l><lb/> <l>Ihr, froͤhlichen, ſpitzoͤhrigen</l><lb/> <l>Waldteufeln angehoͤrigen!</l><lb/> <l>Ihr lang von wuthbefliſſenen</l><lb/> <l>Nordſtuͤrmen wild zerriſſenen!</l><lb/> <l>Nun angeweht von weichlichen</l><lb/> <l>Mailuͤftchen, unvergleichlichen;</l><lb/> <l>Und euer Fuß, der tuͤchtige,</l><lb/> <l>Den grimmig der bergſchluͤchtige,</l><lb/> <l>Von Felſen uͤberpurzelte</l><lb/> <l>Waldſtrom ſo gern entwurzelte,</l><lb/> <l>Beglaͤnzt von Baͤchleins Schimmer nun,</l><lb/> <l>Deſſen Geſpraͤchlein nimmer ruhn:</l><lb/> <l>Von Grund des Herzens preiſ' ich euch,</l><lb/> <l>Und uͤbergluͤcklich heiß' ich euch,</l><lb/> <l>Daß ihr ſo hoch euch beide ſtreckt</l><lb/> <l>Und in ſo dicken Haͤuten ſteckt,</l><lb/> <l>Daß, was ich euch in kuͤnſtlichen,</l><lb/> <l>So aͤußerſt ſprachverdienſtlichen</l><lb/> <l>Reimweiſen eben vorgeſungen,</l><lb/> <l>Euch gar nicht an das Ohr gedrungen.</l><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [133/0149]
Apoſtrophe.
Als der Verfaſſer unter ein paar alten Eichen verſchiedene Gedichte
las, worin Ruͤckerts geniale Formen auf eine geißloſe
Weiſe nachgeahmt und uͤberboten waren.
Ihr mehr als tauſendjaͤhrigen,
Eichbaͤum', ihr rauh-moos-haͤrigen!
Ihr, froͤhlichen, ſpitzoͤhrigen
Waldteufeln angehoͤrigen!
Ihr lang von wuthbefliſſenen
Nordſtuͤrmen wild zerriſſenen!
Nun angeweht von weichlichen
Mailuͤftchen, unvergleichlichen;
Und euer Fuß, der tuͤchtige,
Den grimmig der bergſchluͤchtige,
Von Felſen uͤberpurzelte
Waldſtrom ſo gern entwurzelte,
Beglaͤnzt von Baͤchleins Schimmer nun,
Deſſen Geſpraͤchlein nimmer ruhn:
Von Grund des Herzens preiſ' ich euch,
Und uͤbergluͤcklich heiß' ich euch,
Daß ihr ſo hoch euch beide ſtreckt
Und in ſo dicken Haͤuten ſteckt,
Daß, was ich euch in kuͤnſtlichen,
So aͤußerſt ſprachverdienſtlichen
Reimweiſen eben vorgeſungen,
Euch gar nicht an das Ohr gedrungen.
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Zitationshilfe: | Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/149>, abgerufen am 04.03.2025. |