Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite
Apostrophe.

Als der Verfasser unter ein paar alten Eichen verschiedene Gedichte
las, worin Rückerts geniale Formen auf eine geißlose
Weise nachgeahmt und überboten waren.

Ihr mehr als tausendjährigen,
Eichbäum', ihr rauh-moos-härigen!
Ihr, fröhlichen, spitzöhrigen
Waldteufeln angehörigen!
Ihr lang von wuthbeflissenen
Nordstürmen wild zerrissenen!
Nun angeweht von weichlichen
Mailüftchen, unvergleichlichen;
Und euer Fuß, der tüchtige,
Den grimmig der bergschlüchtige,
Von Felsen überpurzelte
Waldstrom so gern entwurzelte,
Beglänzt von Bächleins Schimmer nun,
Dessen Gesprächlein nimmer ruhn:
Von Grund des Herzens preis' ich euch,
Und überglücklich heiß' ich euch,
Daß ihr so hoch euch beide streckt
Und in so dicken Häuten steckt,
Daß, was ich euch in künstlichen,
So äußerst sprachverdienstlichen
Reimweisen eben vorgesungen,
Euch gar nicht an das Ohr gedrungen.
Apoſtrophe.

Als der Verfaſſer unter ein paar alten Eichen verſchiedene Gedichte
las, worin Ruͤckerts geniale Formen auf eine geißloſe
Weiſe nachgeahmt und uͤberboten waren.

Ihr mehr als tauſendjaͤhrigen,
Eichbaͤum', ihr rauh-moos-haͤrigen!
Ihr, froͤhlichen, ſpitzoͤhrigen
Waldteufeln angehoͤrigen!
Ihr lang von wuthbefliſſenen
Nordſtuͤrmen wild zerriſſenen!
Nun angeweht von weichlichen
Mailuͤftchen, unvergleichlichen;
Und euer Fuß, der tuͤchtige,
Den grimmig der bergſchluͤchtige,
Von Felſen uͤberpurzelte
Waldſtrom ſo gern entwurzelte,
Beglaͤnzt von Baͤchleins Schimmer nun,
Deſſen Geſpraͤchlein nimmer ruhn:
Von Grund des Herzens preiſ' ich euch,
Und uͤbergluͤcklich heiß' ich euch,
Daß ihr ſo hoch euch beide ſtreckt
Und in ſo dicken Haͤuten ſteckt,
Daß, was ich euch in kuͤnſtlichen,
So aͤußerſt ſprachverdienſtlichen
Reimweiſen eben vorgeſungen,
Euch gar nicht an das Ohr gedrungen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0149" n="133"/>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b #g">Apo&#x017F;trophe.</hi><lb/>
        </head>
        <p rendition="#c">Als der Verfa&#x017F;&#x017F;er unter ein paar alten Eichen ver&#x017F;chiedene Gedichte<lb/>
las, worin <hi rendition="#g">Ru&#x0364;ckerts</hi> geniale Formen auf eine geißlo&#x017F;e<lb/>
Wei&#x017F;e nachgeahmt und u&#x0364;berboten waren.</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>Ihr mehr als tau&#x017F;endja&#x0364;hrigen,</l><lb/>
          <l>Eichba&#x0364;um', ihr rauh-moos-ha&#x0364;rigen!</l><lb/>
          <l>Ihr, fro&#x0364;hlichen, &#x017F;pitzo&#x0364;hrigen</l><lb/>
          <l>Waldteufeln angeho&#x0364;rigen!</l><lb/>
          <l>Ihr lang von wuthbefli&#x017F;&#x017F;enen</l><lb/>
          <l>Nord&#x017F;tu&#x0364;rmen wild zerri&#x017F;&#x017F;enen!</l><lb/>
          <l>Nun angeweht von weichlichen</l><lb/>
          <l>Mailu&#x0364;ftchen, unvergleichlichen;</l><lb/>
          <l>Und euer Fuß, der tu&#x0364;chtige,</l><lb/>
          <l>Den grimmig der berg&#x017F;chlu&#x0364;chtige,</l><lb/>
          <l>Von Fel&#x017F;en u&#x0364;berpurzelte</l><lb/>
          <l>Wald&#x017F;trom &#x017F;o gern entwurzelte,</l><lb/>
          <l>Begla&#x0364;nzt von Ba&#x0364;chleins Schimmer nun,</l><lb/>
          <l>De&#x017F;&#x017F;en Ge&#x017F;pra&#x0364;chlein nimmer ruhn:</l><lb/>
          <l>Von Grund des Herzens prei&#x017F;' ich euch,</l><lb/>
          <l>Und u&#x0364;berglu&#x0364;cklich heiß' ich euch,</l><lb/>
          <l>Daß ihr &#x017F;o hoch euch beide &#x017F;treckt</l><lb/>
          <l>Und in &#x017F;o dicken Ha&#x0364;uten &#x017F;teckt,</l><lb/>
          <l>Daß, was ich euch in ku&#x0364;n&#x017F;tlichen,</l><lb/>
          <l>So a&#x0364;ußer&#x017F;t &#x017F;prachverdien&#x017F;tlichen</l><lb/>
          <l>Reimwei&#x017F;en eben vorge&#x017F;ungen,</l><lb/>
          <l>Euch gar nicht an das Ohr gedrungen.</l><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[133/0149] Apoſtrophe. Als der Verfaſſer unter ein paar alten Eichen verſchiedene Gedichte las, worin Ruͤckerts geniale Formen auf eine geißloſe Weiſe nachgeahmt und uͤberboten waren. Ihr mehr als tauſendjaͤhrigen, Eichbaͤum', ihr rauh-moos-haͤrigen! Ihr, froͤhlichen, ſpitzoͤhrigen Waldteufeln angehoͤrigen! Ihr lang von wuthbefliſſenen Nordſtuͤrmen wild zerriſſenen! Nun angeweht von weichlichen Mailuͤftchen, unvergleichlichen; Und euer Fuß, der tuͤchtige, Den grimmig der bergſchluͤchtige, Von Felſen uͤberpurzelte Waldſtrom ſo gern entwurzelte, Beglaͤnzt von Baͤchleins Schimmer nun, Deſſen Geſpraͤchlein nimmer ruhn: Von Grund des Herzens preiſ' ich euch, Und uͤbergluͤcklich heiß' ich euch, Daß ihr ſo hoch euch beide ſtreckt Und in ſo dicken Haͤuten ſteckt, Daß, was ich euch in kuͤnſtlichen, So aͤußerſt ſprachverdienſtlichen Reimweiſen eben vorgeſungen, Euch gar nicht an das Ohr gedrungen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/149
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/149>, abgerufen am 24.11.2024.