Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.Ideale Wahrheit. Gestern entschlief ich im Wald: da sah ich im Traume das kleine Mädchen, mit dem ich als Kind immer am liebsten verkehrt. Und sie zeigte mir hoch in der Eiche Gipfel den Gukuk, Wie die Kindheit ihn denkt, prächtig gefiedert und groß. Drum! -- so rief ich -- dieß ist der ächte Gukuk! Wer sagte Mir doch neulich, er sey klein nur, unscheinbar und grau! Maschinka. Dieser schwellende Mund, den Reiz der Heimath noch
athmend, Kennt die Sprache nicht mehr, die ihn so lieblich ge¬ formt; Halb verdrießlich greifet die Schöne nach der Grammatik, Stammelt russischen Laut, weil es der Vater befiehlt. Euer Stammeln ist süß, doch pflegt ihr, trutzige Lippen, Heimlich ein ander Geschäft, das euch vor allem ver¬ schönt! Ideale Wahrheit. Geſtern entſchlief ich im Wald: da ſah ich im Traume das kleine Maͤdchen, mit dem ich als Kind immer am liebſten verkehrt. Und ſie zeigte mir hoch in der Eiche Gipfel den Gukuk, Wie die Kindheit ihn denkt, praͤchtig gefiedert und groß. Drum! — ſo rief ich — dieß iſt der aͤchte Gukuk! Wer ſagte Mir doch neulich, er ſey klein nur, unſcheinbar und grau! Maſchinka. Dieſer ſchwellende Mund, den Reiz der Heimath noch
athmend, Kennt die Sprache nicht mehr, die ihn ſo lieblich ge¬ formt; Halb verdrießlich greifet die Schoͤne nach der Grammatik, Stammelt ruſſiſchen Laut, weil es der Vater befiehlt. Euer Stammeln iſt ſuͤß, doch pflegt ihr, trutzige Lippen, Heimlich ein ander Geſchaͤft, das euch vor allem ver¬ ſchoͤnt! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0139" n="123"/> </div> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">Ideale Wahrheit.</hi><lb/> </head> <lg type="poem"> <l>Geſtern entſchlief ich im Wald: da ſah ich im Traume<lb/><hi rendition="#et">das kleine</hi></l><lb/> <l>Maͤdchen, mit dem ich als Kind immer am liebſten<lb/><hi rendition="#et">verkehrt.</hi></l><lb/> <l>Und ſie zeigte mir hoch in der Eiche Gipfel den Gukuk,</l><lb/> <l>Wie die Kindheit ihn denkt, praͤchtig gefiedert und<lb/><hi rendition="#et">groß.</hi></l><lb/> <l>Drum! — ſo rief ich — dieß iſt der aͤchte Gukuk! Wer<lb/><hi rendition="#et">ſagte</hi></l><lb/> <l>Mir doch neulich, er ſey klein nur, unſcheinbar und<lb/><hi rendition="#et">grau!</hi></l><lb/> </lg> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b #g">Maſchinka.</hi><lb/> </head> <lg type="poem"> <l>Dieſer ſchwellende Mund, den Reiz der Heimath noch<lb/><hi rendition="#et">athmend,</hi></l><lb/> <l>Kennt die Sprache nicht mehr, die ihn ſo lieblich ge¬<lb/><hi rendition="#et">formt;</hi></l><lb/> <l>Halb verdrießlich greifet die Schoͤne nach der Grammatik,</l><lb/> <l>Stammelt ruſſiſchen Laut, weil es der Vater befiehlt.</l><lb/> <l>Euer Stammeln iſt ſuͤß, doch pflegt ihr, trutzige Lippen,</l><lb/> <l>Heimlich ein ander Geſchaͤft, das euch vor allem ver¬<lb/><hi rendition="#et">ſchoͤnt!</hi></l><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [123/0139]
Ideale Wahrheit.
Geſtern entſchlief ich im Wald: da ſah ich im Traume
das kleine
Maͤdchen, mit dem ich als Kind immer am liebſten
verkehrt.
Und ſie zeigte mir hoch in der Eiche Gipfel den Gukuk,
Wie die Kindheit ihn denkt, praͤchtig gefiedert und
groß.
Drum! — ſo rief ich — dieß iſt der aͤchte Gukuk! Wer
ſagte
Mir doch neulich, er ſey klein nur, unſcheinbar und
grau!
Maſchinka.
Dieſer ſchwellende Mund, den Reiz der Heimath noch
athmend,
Kennt die Sprache nicht mehr, die ihn ſo lieblich ge¬
formt;
Halb verdrießlich greifet die Schoͤne nach der Grammatik,
Stammelt ruſſiſchen Laut, weil es der Vater befiehlt.
Euer Stammeln iſt ſuͤß, doch pflegt ihr, trutzige Lippen,
Heimlich ein ander Geſchaͤft, das euch vor allem ver¬
ſchoͤnt!
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