Gar ausführlich die Leiden des unvergleichlichen Mädchens, Dem von der Mutter Hand dreimal der Tod schon gedroht. Denn die Eitle, die Königin, haßte sie, weil sie so schön war, Grimmig, da mußte sie fliehn, wohnte bei Zwergen sich ein. Aber die Königin findet sie bald; sie klopfet am Hause, Bietet, als Krämerin, schlau, lockende Waare zu Kauf. Arglos öffnet das Kind, den Rath der Zwerge vergessend, Und das Liebchen empfängt, ach! den vergifteten Kamm. Welch ein Jammer, da nun die Kleinen zu Hause ge¬ kommen! Welcher Künste bedarf's, bis die Erstarrte erwacht! Doch zum zweiten Mal kommt, zum dritten Male, ver¬ kleidet, Die Verderberin, leicht hat sie das Mädchen beschwazt, Schnürt in das zierliche Leibchen sie ein, den Athem er¬ stickend In dem Busen; zuletzt bringt sie die tödtliche Frucht. Nun ist alle Hülfe umsonst; wie weinen die Zwerge! Ein krystallener Sarg schließet die Aermste nun ein, Frei gestellt auf den Berg, ein Anblick allen Gestirnen, Unverwelklich ruht innen die süße Gestalt. -- So weit war ich gekommen, da drang aus dem näch¬ sten Gebüsche, Hinter mir Nachtigallschlag herrlich auf Einmal hervor, Troff wie Honig durch das Gezweig und sprühte wie Feuer Zackige Töne, mir traf freudig ein Schauer das Herz, Wie wenn der Göttinnen Eine, vorüberfliehend, dem Dichter Durch ambrosischen Duft ihre Begegnung verräth.
Gar ausfuͤhrlich die Leiden des unvergleichlichen Maͤdchens, Dem von der Mutter Hand dreimal der Tod ſchon gedroht. Denn die Eitle, die Koͤnigin, haßte ſie, weil ſie ſo ſchoͤn war, Grimmig, da mußte ſie fliehn, wohnte bei Zwergen ſich ein. Aber die Koͤnigin findet ſie bald; ſie klopfet am Hauſe, Bietet, als Kraͤmerin, ſchlau, lockende Waare zu Kauf. Arglos oͤffnet das Kind, den Rath der Zwerge vergeſſend, Und das Liebchen empfaͤngt, ach! den vergifteten Kamm. Welch ein Jammer, da nun die Kleinen zu Hauſe ge¬ kommen! Welcher Kuͤnſte bedarf's, bis die Erſtarrte erwacht! Doch zum zweiten Mal kommt, zum dritten Male, ver¬ kleidet, Die Verderberin, leicht hat ſie das Maͤdchen beſchwazt, Schnuͤrt in das zierliche Leibchen ſie ein, den Athem er¬ ſtickend In dem Buſen; zuletzt bringt ſie die toͤdtliche Frucht. Nun iſt alle Huͤlfe umſonſt; wie weinen die Zwerge! Ein kryſtallener Sarg ſchließet die Aermſte nun ein, Frei geſtellt auf den Berg, ein Anblick allen Geſtirnen, Unverwelklich ruht innen die ſuͤße Geſtalt. — So weit war ich gekommen, da drang aus dem naͤch¬ ſten Gebuͤſche, Hinter mir Nachtigallſchlag herrlich auf Einmal hervor, Troff wie Honig durch das Gezweig und ſpruͤhte wie Feuer Zackige Toͤne, mir traf freudig ein Schauer das Herz, Wie wenn der Goͤttinnen Eine, voruͤberfliehend, dem Dichter Durch ambroſiſchen Duft ihre Begegnung verraͤth.
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Gar ausfuͤhrlich die Leiden des unvergleichlichen Maͤdchens,
Dem von der Mutter Hand dreimal der Tod ſchon gedroht.
Denn die Eitle, die Koͤnigin, haßte ſie, weil ſie ſo ſchoͤn war,
Grimmig, da mußte ſie fliehn, wohnte bei Zwergen
ſich ein.
Aber die Koͤnigin findet ſie bald; ſie klopfet am Hauſe,
Bietet, als Kraͤmerin, ſchlau, lockende Waare zu Kauf.
Arglos oͤffnet das Kind, den Rath der Zwerge vergeſſend,
Und das Liebchen empfaͤngt, ach! den vergifteten Kamm.
Welch ein Jammer, da nun die Kleinen zu Hauſe ge¬
kommen!
Welcher Kuͤnſte bedarf's, bis die Erſtarrte erwacht!
Doch zum zweiten Mal kommt, zum dritten Male, ver¬
kleidet,
Die Verderberin, leicht hat ſie das Maͤdchen beſchwazt,
Schnuͤrt in das zierliche Leibchen ſie ein, den Athem er¬
ſtickend
In dem Buſen; zuletzt bringt ſie die toͤdtliche Frucht.
Nun iſt alle Huͤlfe umſonſt; wie weinen die Zwerge!
Ein kryſtallener Sarg ſchließet die Aermſte nun ein,
Frei geſtellt auf den Berg, ein Anblick allen Geſtirnen,
Unverwelklich ruht innen die ſuͤße Geſtalt.
— So weit war ich gekommen, da drang aus dem naͤch¬
ſten Gebuͤſche,
Hinter mir Nachtigallſchlag herrlich auf Einmal hervor,
Troff wie Honig durch das Gezweig und ſpruͤhte wie Feuer
Zackige Toͤne, mir traf freudig ein Schauer das Herz,
Wie wenn der Goͤttinnen Eine, voruͤberfliehend, dem
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Durch ambroſiſchen Duft ihre Begegnung verraͤth.
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Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/114>, abgerufen am 22.07.2024.
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