Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.Gar ausführlich die Leiden des unvergleichlichen Mädchens, Gar ausfuͤhrlich die Leiden des unvergleichlichen Maͤdchens, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <lg n="1"> <pb facs="#f0114" n="98"/> <l>Gar ausfuͤhrlich die Leiden des unvergleichlichen Maͤdchens,</l><lb/> <l>Dem von der Mutter Hand dreimal der Tod ſchon gedroht.</l><lb/> <l>Denn die Eitle, die Koͤnigin, haßte ſie, weil ſie ſo ſchoͤn war,</l><lb/> <l>Grimmig, da mußte ſie fliehn, wohnte bei Zwergen<lb/><hi rendition="#et">ſich ein.</hi></l><lb/> <l>Aber die Koͤnigin findet ſie bald; ſie klopfet am Hauſe,</l><lb/> <l>Bietet, als Kraͤmerin, ſchlau, lockende Waare zu Kauf.</l><lb/> <l>Arglos oͤffnet das Kind, den Rath der Zwerge vergeſſend,</l><lb/> <l>Und das Liebchen empfaͤngt, ach! den vergifteten Kamm.</l><lb/> <l>Welch ein Jammer, da nun die Kleinen zu Hauſe ge¬<lb/><hi rendition="#et">kommen!</hi></l><lb/> <l>Welcher Kuͤnſte bedarf's, bis die Erſtarrte erwacht!</l><lb/> <l>Doch zum zweiten Mal kommt, zum dritten Male, ver¬<lb/><hi rendition="#et">kleidet,</hi></l><lb/> <l>Die Verderberin, leicht hat ſie das Maͤdchen beſchwazt,</l><lb/> <l>Schnuͤrt in das zierliche Leibchen ſie ein, den Athem er¬<lb/><hi rendition="#et">ſtickend</hi></l><lb/> <l>In dem Buſen; zuletzt bringt ſie die toͤdtliche Frucht.</l><lb/> <l>Nun iſt alle Huͤlfe umſonſt; wie weinen die Zwerge!</l><lb/> <l>Ein kryſtallener Sarg ſchließet die Aermſte nun ein,</l><lb/> <l>Frei geſtellt auf den Berg, ein Anblick allen Geſtirnen,</l><lb/> <l>Unverwelklich ruht innen die ſuͤße Geſtalt.</l><lb/> <l>— So weit war ich gekommen, da drang aus dem naͤch¬<lb/><hi rendition="#et">ſten Gebuͤſche,</hi></l><lb/> <l>Hinter mir Nachtigallſchlag herrlich auf Einmal hervor,</l><lb/> <l>Troff wie Honig durch das Gezweig und ſpruͤhte wie Feuer</l><lb/> <l>Zackige Toͤne, mir traf freudig ein Schauer das Herz,</l><lb/> <l>Wie wenn der Goͤttinnen Eine, voruͤberfliehend, dem<lb/><hi rendition="#et">Dichter</hi></l><lb/> <l>Durch ambroſiſchen Duft ihre Begegnung verraͤth.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [98/0114]
Gar ausfuͤhrlich die Leiden des unvergleichlichen Maͤdchens,
Dem von der Mutter Hand dreimal der Tod ſchon gedroht.
Denn die Eitle, die Koͤnigin, haßte ſie, weil ſie ſo ſchoͤn war,
Grimmig, da mußte ſie fliehn, wohnte bei Zwergen
ſich ein.
Aber die Koͤnigin findet ſie bald; ſie klopfet am Hauſe,
Bietet, als Kraͤmerin, ſchlau, lockende Waare zu Kauf.
Arglos oͤffnet das Kind, den Rath der Zwerge vergeſſend,
Und das Liebchen empfaͤngt, ach! den vergifteten Kamm.
Welch ein Jammer, da nun die Kleinen zu Hauſe ge¬
kommen!
Welcher Kuͤnſte bedarf's, bis die Erſtarrte erwacht!
Doch zum zweiten Mal kommt, zum dritten Male, ver¬
kleidet,
Die Verderberin, leicht hat ſie das Maͤdchen beſchwazt,
Schnuͤrt in das zierliche Leibchen ſie ein, den Athem er¬
ſtickend
In dem Buſen; zuletzt bringt ſie die toͤdtliche Frucht.
Nun iſt alle Huͤlfe umſonſt; wie weinen die Zwerge!
Ein kryſtallener Sarg ſchließet die Aermſte nun ein,
Frei geſtellt auf den Berg, ein Anblick allen Geſtirnen,
Unverwelklich ruht innen die ſuͤße Geſtalt.
— So weit war ich gekommen, da drang aus dem naͤch¬
ſten Gebuͤſche,
Hinter mir Nachtigallſchlag herrlich auf Einmal hervor,
Troff wie Honig durch das Gezweig und ſpruͤhte wie Feuer
Zackige Toͤne, mir traf freudig ein Schauer das Herz,
Wie wenn der Goͤttinnen Eine, voruͤberfliehend, dem
Dichter
Durch ambroſiſchen Duft ihre Begegnung verraͤth.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |