Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite
Idylle.

An J. M.

Unter die Eiche gestreckt, im jung belaubten Gehölze
Lag ich, ein Büchlein vor mir, das mir das lieblichste
bleibt;

Jene Mährchen erzählt's von der Gänsemagd und von
dem Fischer,

Von dem Machandelboom; wahrlich, man wird sie
nicht satt.

Grünlicher Maienschein warf mir geringelte Lichter
Auf's beschattete Buch, neckische Bilder zum Text.
Ferne hör' ich die Holzart fallen, ich höre den Gukuk
Und es lispelt ein Bach wenige Schritte vor mir.
Mährchenhaft fühl' ich mich selbst, mit aufgeschlossenen
Sinnen

Seh' ich, wie helle! den Wald, ruft mir der Gukuk,
wie fremd!

Plötzlich rauscht es im Laub, -- wird doch Sneewittchen
nicht kommen,

Oder, bezaubert, ein Reh? Nicht doch, kein Wunder
geschieht;

Siehe, mein Nachbarskind aus dem Dorf, mein artiges
Schätzchen!

Müßig lief es in Wald, weil es den Vater dort weiß,
Ehrbar setzet es sich an meine Seite, vertraulich
Plaudern wir Dieses und Das, und ich erzähle sofort
Mörike, Gedichte. 7
Idylle.

An J. M.

Unter die Eiche geſtreckt, im jung belaubten Gehoͤlze
Lag ich, ein Buͤchlein vor mir, das mir das lieblichſte
bleibt;

Jene Maͤhrchen erzaͤhlt's von der Gaͤnſemagd und von
dem Fiſcher,

Von dem Machandelboom; wahrlich, man wird ſie
nicht ſatt.

Gruͤnlicher Maienſchein warf mir geringelte Lichter
Auf's beſchattete Buch, neckiſche Bilder zum Text.
Ferne hoͤr' ich die Holzart fallen, ich hoͤre den Gukuk
Und es lispelt ein Bach wenige Schritte vor mir.
Maͤhrchenhaft fuͤhl' ich mich ſelbſt, mit aufgeſchloſſenen
Sinnen

Seh' ich, wie helle! den Wald, ruft mir der Gukuk,
wie fremd!

Ploͤtzlich rauſcht es im Laub, — wird doch Sneewittchen
nicht kommen,

Oder, bezaubert, ein Reh? Nicht doch, kein Wunder
geſchieht;

Siehe, mein Nachbarskind aus dem Dorf, mein artiges
Schaͤtzchen!

Muͤßig lief es in Wald, weil es den Vater dort weiß,
Ehrbar ſetzet es ſich an meine Seite, vertraulich
Plaudern wir Dieſes und Das, und ich erzaͤhle ſofort
Moͤrike, Gedichte. 7
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0113" n="97"/>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b #g">Idylle.</hi><lb/>
        </head>
        <p> <hi rendition="#b">An J. M.</hi> </p><lb/>
        <lg type="poem">
          <lg n="1">
            <l>Unter die Eiche ge&#x017F;treckt, im jung belaubten Geho&#x0364;lze</l><lb/>
            <l>Lag ich, ein Bu&#x0364;chlein vor mir, das mir das lieblich&#x017F;te<lb/><hi rendition="#et">bleibt;</hi></l><lb/>
            <l>Jene Ma&#x0364;hrchen erza&#x0364;hlt's von der Ga&#x0364;n&#x017F;emagd und von<lb/><hi rendition="#et">dem Fi&#x017F;cher,</hi></l><lb/>
            <l>Von dem Machandelboom; wahrlich, man wird &#x017F;ie<lb/><hi rendition="#et">nicht &#x017F;att.</hi></l><lb/>
            <l>Gru&#x0364;nlicher Maien&#x017F;chein warf mir geringelte Lichter</l><lb/>
            <l>Auf's be&#x017F;chattete Buch, necki&#x017F;che Bilder zum Text.</l><lb/>
            <l>Ferne ho&#x0364;r' ich die Holzart fallen, ich ho&#x0364;re den Gukuk</l><lb/>
            <l>Und es lispelt ein Bach wenige Schritte vor mir.</l><lb/>
            <l>Ma&#x0364;hrchenhaft fu&#x0364;hl' ich mich &#x017F;elb&#x017F;t, mit aufge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen<lb/><hi rendition="#et">Sinnen</hi></l><lb/>
            <l>Seh' ich, wie helle! den Wald, ruft mir der Gukuk,<lb/><hi rendition="#et">wie fremd!</hi></l><lb/>
            <l>Plo&#x0364;tzlich rau&#x017F;cht es im Laub, &#x2014; wird doch Sneewittchen<lb/><hi rendition="#et">nicht kommen,</hi></l><lb/>
            <l>Oder, bezaubert, ein Reh? Nicht doch, kein Wunder<lb/><hi rendition="#et">ge&#x017F;chieht;</hi></l><lb/>
            <l>Siehe, mein Nachbarskind aus dem Dorf, mein artiges<lb/><hi rendition="#et">Scha&#x0364;tzchen!</hi></l><lb/>
            <l>Mu&#x0364;ßig lief es in Wald, weil es den Vater dort weiß,</l><lb/>
            <l>Ehrbar &#x017F;etzet es &#x017F;ich an meine Seite, vertraulich</l><lb/>
            <l>Plaudern wir Die&#x017F;es und Das, und ich erza&#x0364;hle &#x017F;ofort</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Mo&#x0364;rike</hi>, Gedichte. 7<lb/></fw>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[97/0113] Idylle. An J. M. Unter die Eiche geſtreckt, im jung belaubten Gehoͤlze Lag ich, ein Buͤchlein vor mir, das mir das lieblichſte bleibt; Jene Maͤhrchen erzaͤhlt's von der Gaͤnſemagd und von dem Fiſcher, Von dem Machandelboom; wahrlich, man wird ſie nicht ſatt. Gruͤnlicher Maienſchein warf mir geringelte Lichter Auf's beſchattete Buch, neckiſche Bilder zum Text. Ferne hoͤr' ich die Holzart fallen, ich hoͤre den Gukuk Und es lispelt ein Bach wenige Schritte vor mir. Maͤhrchenhaft fuͤhl' ich mich ſelbſt, mit aufgeſchloſſenen Sinnen Seh' ich, wie helle! den Wald, ruft mir der Gukuk, wie fremd! Ploͤtzlich rauſcht es im Laub, — wird doch Sneewittchen nicht kommen, Oder, bezaubert, ein Reh? Nicht doch, kein Wunder geſchieht; Siehe, mein Nachbarskind aus dem Dorf, mein artiges Schaͤtzchen! Muͤßig lief es in Wald, weil es den Vater dort weiß, Ehrbar ſetzet es ſich an meine Seite, vertraulich Plaudern wir Dieſes und Das, und ich erzaͤhle ſofort Moͤrike, Gedichte. 7

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/113
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/113>, abgerufen am 24.11.2024.