Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Und Thränen, so sonst nicht sein' Art,
Ihm mächtig tropfen in den Bart.
Sie dringet ihm das Täflein auf,
Dann eilet sie in Einem Lauf,
Holt ihre Mutter in den Saal,
Herzet und küßt sie tausendmal,
Winket des Pächters Kind herbei,
Das saget, was geschehen, frei.
Der Alte liest und staunt und schweigt,
Seiner Frauen dar das Wunder reicht,
Und murmelt für sich unbewußt;
Schlägt dann laut an seine Brust,
Und ruft: "Dein Knecht, Herr, ist nicht werth,
Daß ihm so Großes widerfährt!
Ich seufzet' oft in Nächten tief
Nach deines Sohnes Heil und rief;
Doch Zweifels Angst und Spott der Welt
Hat mir so theures Licht verstellt:
Ich war verstocket, taub und blind:
Muß mich noch retten mein armes Kind!
Dafür sey Preis und Ehre dein!
Laß mich jezt auch der Erste seyn,
So brünstig dir, Herr Jesu Christ,
Weh! die durchgrabnen Füße küßt!
Und wie, zu deinem Stern gewandt,
Drei Könige aus Morgenland
Dir brachten Myrrhen, Weihrauch, Gold:
Vergönne, daß dein Knecht dir zollt,
Was Alles du seit so viel Jahren
Durch ihn der Kirche wollen sparen!

Und Thraͤnen, ſo ſonſt nicht ſein' Art,
Ihm maͤchtig tropfen in den Bart.
Sie dringet ihm das Taͤflein auf,
Dann eilet ſie in Einem Lauf,
Holt ihre Mutter in den Saal,
Herzet und kuͤßt ſie tauſendmal,
Winket des Paͤchters Kind herbei,
Das ſaget, was geſchehen, frei.
Der Alte lieſt und ſtaunt und ſchweigt,
Seiner Frauen dar das Wunder reicht,
Und murmelt fuͤr ſich unbewußt;
Schlaͤgt dann laut an ſeine Bruſt,
Und ruft: „Dein Knecht, Herr, iſt nicht werth,
Daß ihm ſo Großes widerfaͤhrt!
Ich ſeufzet' oft in Naͤchten tief
Nach deines Sohnes Heil und rief;
Doch Zweifels Angſt und Spott der Welt
Hat mir ſo theures Licht verſtellt:
Ich war verſtocket, taub und blind:
Muß mich noch retten mein armes Kind!
Dafuͤr ſey Preis und Ehre dein!
Laß mich jezt auch der Erſte ſeyn,
So bruͤnſtig dir, Herr Jeſu Chriſt,
Weh! die durchgrabnen Fuͤße kuͤßt!
Und wie, zu deinem Stern gewandt,
Drei Koͤnige aus Morgenland
Dir brachten Myrrhen, Weihrauch, Gold:
Vergoͤnne, daß dein Knecht dir zollt,
Was Alles du ſeit ſo viel Jahren
Durch ihn der Kirche wollen ſparen!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="10">
              <pb facs="#f0110" n="94"/>
              <l>Und Thra&#x0364;nen, &#x017F;o &#x017F;on&#x017F;t nicht &#x017F;ein' Art,</l><lb/>
              <l>Ihm ma&#x0364;chtig tropfen in den Bart.</l><lb/>
              <l>Sie dringet ihm das Ta&#x0364;flein auf,</l><lb/>
              <l>Dann eilet &#x017F;ie in Einem Lauf,</l><lb/>
              <l>Holt ihre Mutter in den Saal,</l><lb/>
              <l>Herzet und ku&#x0364;ßt &#x017F;ie tau&#x017F;endmal,</l><lb/>
              <l>Winket des Pa&#x0364;chters Kind herbei,</l><lb/>
              <l>Das &#x017F;aget, was ge&#x017F;chehen, frei.</l><lb/>
              <l>Der Alte lie&#x017F;t und &#x017F;taunt und &#x017F;chweigt,</l><lb/>
              <l>Seiner Frauen dar das Wunder reicht,</l><lb/>
              <l>Und murmelt fu&#x0364;r &#x017F;ich unbewußt;</l><lb/>
              <l>Schla&#x0364;gt dann laut an &#x017F;eine Bru&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Und ruft: &#x201E;Dein Knecht, Herr, i&#x017F;t nicht werth,</l><lb/>
              <l>Daß ihm &#x017F;o Großes widerfa&#x0364;hrt!</l><lb/>
              <l>Ich &#x017F;eufzet' oft in Na&#x0364;chten tief</l><lb/>
              <l>Nach deines Sohnes Heil und rief;</l><lb/>
              <l>Doch Zweifels Ang&#x017F;t und Spott der Welt</l><lb/>
              <l>Hat mir &#x017F;o theures Licht ver&#x017F;tellt:</l><lb/>
              <l>Ich war ver&#x017F;tocket, taub und blind:</l><lb/>
              <l>Muß mich noch retten mein armes Kind!</l><lb/>
              <l>Dafu&#x0364;r &#x017F;ey Preis und Ehre dein!</l><lb/>
              <l>Laß mich jezt auch der Er&#x017F;te &#x017F;eyn,</l><lb/>
              <l>So bru&#x0364;n&#x017F;tig dir, Herr Je&#x017F;u Chri&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Weh! die durchgrabnen Fu&#x0364;ße ku&#x0364;ßt!</l><lb/>
              <l>Und wie, zu deinem Stern gewandt,</l><lb/>
              <l>Drei Ko&#x0364;nige aus Morgenland</l><lb/>
              <l>Dir brachten Myrrhen, Weihrauch, Gold:</l><lb/>
              <l>Vergo&#x0364;nne, daß dein Knecht dir zollt,</l><lb/>
              <l>Was Alles du &#x017F;eit &#x017F;o viel Jahren</l><lb/>
              <l>Durch ihn der Kirche wollen &#x017F;paren!</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[94/0110] Und Thraͤnen, ſo ſonſt nicht ſein' Art, Ihm maͤchtig tropfen in den Bart. Sie dringet ihm das Taͤflein auf, Dann eilet ſie in Einem Lauf, Holt ihre Mutter in den Saal, Herzet und kuͤßt ſie tauſendmal, Winket des Paͤchters Kind herbei, Das ſaget, was geſchehen, frei. Der Alte lieſt und ſtaunt und ſchweigt, Seiner Frauen dar das Wunder reicht, Und murmelt fuͤr ſich unbewußt; Schlaͤgt dann laut an ſeine Bruſt, Und ruft: „Dein Knecht, Herr, iſt nicht werth, Daß ihm ſo Großes widerfaͤhrt! Ich ſeufzet' oft in Naͤchten tief Nach deines Sohnes Heil und rief; Doch Zweifels Angſt und Spott der Welt Hat mir ſo theures Licht verſtellt: Ich war verſtocket, taub und blind: Muß mich noch retten mein armes Kind! Dafuͤr ſey Preis und Ehre dein! Laß mich jezt auch der Erſte ſeyn, So bruͤnſtig dir, Herr Jeſu Chriſt, Weh! die durchgrabnen Fuͤße kuͤßt! Und wie, zu deinem Stern gewandt, Drei Koͤnige aus Morgenland Dir brachten Myrrhen, Weihrauch, Gold: Vergoͤnne, daß dein Knecht dir zollt, Was Alles du ſeit ſo viel Jahren Durch ihn der Kirche wollen ſparen!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/110
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/110>, abgerufen am 28.11.2024.