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Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737.

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dern gelegen seyn soll, dieselbe ohne Vorurtheile ein-
zusehen und zu erkennen.
Nicander. Die Unpartheylichkeit und Beyseit-
setzung derer Vorurtheile, ist allerdings zur Erkännt-
niß der Wahrheit unumgänglich nöthig; und
aus diesen verdorbenen Quellen kommt eben der
meiste Zanck und Streit bey denen Religions-Sa-
chen her.
Modestin. Herr Nicander saget gantz wohl, daß
aus dem Fundament der Partheylichkeit und derer
Vorurtheile und den vorgefasten Meinungen die
meiste Streitigkeiten herkommen; und Hindernisse
sind an einer gründlichen Erkänntniß der Wahr-
heit, so viel nemlich den Verstande betrifft. Wie
aber das Hertz daran auch einen grossen Antheil
hat: so ist eben der verdorbene Wille und die ver-
kehrte Neigungen des Hertzens; das ist, die unor-
dentliche Eigenliebe, die Haupt-Hinderniß an der
Wiedergebuhrt, der Erneuerung und Heiligung
des Menschen. Welches wir denn jetzo etwas
deutlicher, und in denen verschiedenen Ausbrüchen
des menschlichen Thun und Lassens betrachten wol-
len. Es ist ja meinen werthen Freunden schon aus
der Erfahrung zur Genüge bekannt: daß die Men-
schen nicht einerley Hauptneigungen haben; son-
dern, daß der eine mehr zur Wollust; der andere
zu Ehrgeitz und Herrschsucht; der dritte zum Geitz,
Sorgen der Nahrung, Reichthum u. d. g. geneiget
sey; welches alles aus der unordentlichen Eigen-
liebe herstammet. Aus diesem Haupt-Grunde ent-
stehen die verschiedene Hindernisse; sowohl was die
Er-


dern gelegen ſeyn ſoll, dieſelbe ohne Vorurtheile ein-
zuſehen und zu erkennen.
Nicander. Die Unpartheylichkeit und Beyſeit-
ſetzung derer Vorurtheile, iſt allerdings zur Erkaͤnnt-
niß der Wahrheit unumgaͤnglich noͤthig; und
aus dieſen verdorbenen Quellen kommt eben der
meiſte Zanck und Streit bey denen Religions-Sa-
chen her.
Modeſtin. Herr Nicander ſaget gantz wohl, daß
aus dem Fundament der Partheylichkeit und derer
Vorurtheile und den vorgefaſten Meinungen die
meiſte Streitigkeiten herkommen; und Hinderniſſe
ſind an einer gruͤndlichen Erkaͤnntniß der Wahr-
heit, ſo viel nemlich den Verſtande betrifft. Wie
aber das Hertz daran auch einen groſſen Antheil
hat: ſo iſt eben der verdorbene Wille und die ver-
kehrte Neigungen des Hertzens; das iſt, die unor-
dentliche Eigenliebe, die Haupt-Hinderniß an der
Wiedergebuhrt, der Erneuerung und Heiligung
des Menſchen. Welches wir denn jetzo etwas
deutlicher, und in denen verſchiedenen Ausbruͤchen
des menſchlichen Thun und Laſſens betrachten wol-
len. Es iſt ja meinen werthen Freunden ſchon aus
der Erfahrung zur Genuͤge bekannt: daß die Men-
ſchen nicht einerley Hauptneigungen haben; ſon-
dern, daß der eine mehr zur Wolluſt; der andere
zu Ehrgeitz und Herrſchſucht; der dritte zum Geitz,
Sorgen der Nahrung, Reichthum u. d. g. geneiget
ſey; welches alles aus der unordentlichen Eigen-
liebe herſtammet. Aus dieſem Haupt-Grunde ent-
ſtehen die verſchiedene Hinderniſſe; ſowohl was die
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[93/0099] dern gelegen ſeyn ſoll, dieſelbe ohne Vorurtheile ein- zuſehen und zu erkennen. Nicander. Die Unpartheylichkeit und Beyſeit- ſetzung derer Vorurtheile, iſt allerdings zur Erkaͤnnt- niß der Wahrheit unumgaͤnglich noͤthig; und aus dieſen verdorbenen Quellen kommt eben der meiſte Zanck und Streit bey denen Religions-Sa- chen her. Modeſtin. Herr Nicander ſaget gantz wohl, daß aus dem Fundament der Partheylichkeit und derer Vorurtheile und den vorgefaſten Meinungen die meiſte Streitigkeiten herkommen; und Hinderniſſe ſind an einer gruͤndlichen Erkaͤnntniß der Wahr- heit, ſo viel nemlich den Verſtande betrifft. Wie aber das Hertz daran auch einen groſſen Antheil hat: ſo iſt eben der verdorbene Wille und die ver- kehrte Neigungen des Hertzens; das iſt, die unor- dentliche Eigenliebe, die Haupt-Hinderniß an der Wiedergebuhrt, der Erneuerung und Heiligung des Menſchen. Welches wir denn jetzo etwas deutlicher, und in denen verſchiedenen Ausbruͤchen des menſchlichen Thun und Laſſens betrachten wol- len. Es iſt ja meinen werthen Freunden ſchon aus der Erfahrung zur Genuͤge bekannt: daß die Men- ſchen nicht einerley Hauptneigungen haben; ſon- dern, daß der eine mehr zur Wolluſt; der andere zu Ehrgeitz und Herrſchſucht; der dritte zum Geitz, Sorgen der Nahrung, Reichthum u. d. g. geneiget ſey; welches alles aus der unordentlichen Eigen- liebe herſtammet. Aus dieſem Haupt-Grunde ent- ſtehen die verſchiedene Hinderniſſe; ſowohl was die Er-

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Zitationshilfe: Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737. , S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/modestinus_unterredungen_1737/99>, abgerufen am 27.11.2024.