Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737. Nicander. Den ersten Schluß lasse als wahr- scheinlich genug passiren; der andere aber kömmt mir gar nicht bündig vor. Denn erstlich: Was von GOttes Gerechtigkeit, Barmhertzigkeit/ Zorn u. d. g. gesagt wird, sind solche Eigenschafften, wel- che nur Gleichnis-weise ihm beygelet werden, und mehr eine Unvollkommenheit, als Allervollkommen- stes impliciren. Massen dessen unendliches ewiges höchstvollkommenstes gute Wesen, uns schwachen Creaturen gantz unbegreifflich. Zum andern, was den Begriff von Glück und Unglück, guten und bösen Tagen betrifft; ist solche bey denen Menschen auch nicht einerley, sondern gar unterschieden: da der eine die Tugend, der andere Ehre, der dritte Reichthum, der vierte Wollust, vors beste, ja das höchste Gut hält; und solches zu erlangen alle Kräffte anwendet. Modestin. Weilen dem Herrn Nicander der erste Theil seines Satzes so unwahrscheinlich vorkommt, so will ihm erst auf den in seinem zweyten Satz ent- haltenen Einwurff antworten, und hernach das übrige weiter besehen. Er sagt die Menschen hät- ten von gut und bös, Glück und Unglück gar unter- schiedene Begriffe und Meinungen; und dem ist allerdings also. Daß die Menschen ein falsches oder ein Schein-Gut, welches ihre Seele in kein beständiges Vergnügen setzen kan, über alles lieben, und dabey doch immer unruhig sind. Aber auch eben daraus, daß solche Götzen das menschliche Ge- müth, den unsterblichen, immer weiter begehrenden und hungerenden Geist nicht vollkommen vergnü- gen
Nicander. Den erſten Schluß laſſe als wahr- ſcheinlich genug paſſiren; der andere aber koͤmmt mir gar nicht buͤndig vor. Denn erſtlich: Was von GOttes Gerechtigkeit, Barmhertzigkeit/ Zorn u. d. g. geſagt wird, ſind ſolche Eigenſchafften, wel- che nur Gleichnis-weiſe ihm beygelet werden, und mehr eine Unvollkommenheit, als Allervollkommen- ſtes impliciren. Maſſen deſſen unendliches ewiges hoͤchſtvollkommenſtes gute Weſen, uns ſchwachen Creaturen gantz unbegreifflich. Zum andern, was den Begriff von Gluͤck und Ungluͤck, guten und boͤſen Tagen betrifft; iſt ſolche bey denen Menſchen auch nicht einerley, ſondern gar unterſchieden: da der eine die Tugend, der andere Ehre, der dritte Reichthum, der vierte Wolluſt, vors beſte, ja das hoͤchſte Gut haͤlt; und ſolches zu erlangen alle Kraͤffte anwendet. Modeſtin. Weilen dem Herrn Nicander der erſte Theil ſeines Satzes ſo unwahrſcheinlich vorkommt, ſo will ihm erſt auf den in ſeinem zweyten Satz ent- haltenen Einwurff antworten, und hernach das uͤbrige weiter beſehen. Er ſagt die Menſchen haͤt- ten von gut und boͤs, Gluͤck und Ungluͤck gar unter- ſchiedene Begriffe und Meinungen; und dem iſt allerdings alſo. Daß die Menſchen ein falſches oder ein Schein-Gut, welches ihre Seele in kein beſtaͤndiges Vergnuͤgen ſetzen kan, uͤber alles lieben, und dabey doch immer unruhig ſind. Aber auch eben daraus, daß ſolche Goͤtzen das menſchliche Ge- muͤth, den unſterblichen, immer weiter begehrenden und hungerenden Geiſt nicht vollkommen vergnuͤ- gen
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Nicander. Den erſten Schluß laſſe als wahr-
ſcheinlich genug paſſiren; der andere aber koͤmmt
mir gar nicht buͤndig vor. Denn erſtlich: Was
von GOttes Gerechtigkeit, Barmhertzigkeit/ Zorn
u. d. g. geſagt wird, ſind ſolche Eigenſchafften, wel-
che nur Gleichnis-weiſe ihm beygelet werden, und
mehr eine Unvollkommenheit, als Allervollkommen-
ſtes impliciren. Maſſen deſſen unendliches ewiges
hoͤchſtvollkommenſtes gute Weſen, uns ſchwachen
Creaturen gantz unbegreifflich. Zum andern, was
den Begriff von Gluͤck und Ungluͤck, guten und
boͤſen Tagen betrifft; iſt ſolche bey denen Menſchen
auch nicht einerley, ſondern gar unterſchieden: da
der eine die Tugend, der andere Ehre, der dritte
Reichthum, der vierte Wolluſt, vors beſte, ja das
hoͤchſte Gut haͤlt; und ſolches zu erlangen alle
Kraͤffte anwendet.
Modeſtin. Weilen dem Herrn Nicander der erſte
Theil ſeines Satzes ſo unwahrſcheinlich vorkommt,
ſo will ihm erſt auf den in ſeinem zweyten Satz ent-
haltenen Einwurff antworten, und hernach das
uͤbrige weiter beſehen. Er ſagt die Menſchen haͤt-
ten von gut und boͤs, Gluͤck und Ungluͤck gar unter-
ſchiedene Begriffe und Meinungen; und dem iſt
allerdings alſo. Daß die Menſchen ein falſches
oder ein Schein-Gut, welches ihre Seele in kein
beſtaͤndiges Vergnuͤgen ſetzen kan, uͤber alles lieben,
und dabey doch immer unruhig ſind. Aber auch
eben daraus, daß ſolche Goͤtzen das menſchliche Ge-
muͤth, den unſterblichen, immer weiter begehrenden
und hungerenden Geiſt nicht vollkommen vergnuͤ-
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