Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737.die natürliche Seelen-Kräffte Berg-ab gehen. Al- lein eben das solte uns erwecken zu untersuchen: ob denn alle Menschen einerley Kräffte der Seele, des Geistes oder Gemüthes haben, da sich denn finden würde, daß die Menschen und deren Kräffte zu un- terschieden sind. Nicander. Magis & minus non variunt rem. Die Sache ist derentwegen nicht unterschiedenen We- sens, ob gleich einer mehr Verstand, Gedächtnis und Beurtheilungs-Krafft hat, als der andere; wie auch diesem oder jenem Affect mehr ergeben und unterworffen. Zudem ist es auch noch eine Frage: ob alle diese Eigenschafften nicht von dem Tempera- ment des Leibes und der verschiedenen Disposition derer Säffte dependiren. Modestin. Da der Unterscheid des Geistes und der Seelen; oder des natürlichen und übernatürli- chen Lebens, dem natürlichen sinnlichen, thierischen Menschen aus dem Licht der Natur an und vor sich selbst nicht begreifflich, es sey denn daß er vom Va- ter der Lichtern erleuchtet, erneuert und wiederge- bohren werde; so muß man solches GOtt überlas- sen: indem menschliche Ueberredungen hier wohl schwerlich zulänglich seyn werden. Wo aber der Mensch nur in sich selbst gehet, GOtt im Geist und der Wahrheit umb seine Erleuchtung innigst anruf- fet, soll sichs wohl geben. Doch will ich noch eins versuchen. Er wird mir hoffentlich zugeben: daß noch vortrefflichere oder mächtigere Kräffte und Gei- ster seyn können, welche keine so grobe, unsern irdi- schen Augen sichtbahre und betastliche Leiber haben, wie wir. Nicand.
die natuͤrliche Seelen-Kraͤffte Berg-ab gehen. Al- lein eben das ſolte uns erwecken zu unterſuchen: ob denn alle Menſchen einerley Kraͤffte der Seele, des Geiſtes oder Gemuͤthes haben, da ſich denn finden wuͤrde, daß die Menſchen und deren Kraͤffte zu un- terſchieden ſind. Nicander. Magis & minus non variunt rem. Die Sache iſt derentwegen nicht unterſchiedenen We- ſens, ob gleich einer mehr Verſtand, Gedaͤchtnis und Beurtheilungs-Krafft hat, als der andere; wie auch dieſem oder jenem Affect mehr ergeben und unterworffen. Zudem iſt es auch noch eine Frage: ob alle dieſe Eigenſchafften nicht von dem Tempera- ment des Leibes und der verſchiedenen Diſpoſition derer Saͤffte dependiren. Modeſtin. Da der Unterſcheid des Geiſtes und der Seelen; oder des natuͤrlichen und uͤbernatuͤrli- chen Lebens, dem natuͤrlichen ſinnlichen, thieriſchen Menſchen aus dem Licht der Natur an und vor ſich ſelbſt nicht begreifflich, es ſey denn daß er vom Va- ter der Lichtern erleuchtet, erneuert und wiederge- bohren werde; ſo muß man ſolches GOtt uͤberlaſ- ſen: indem menſchliche Ueberredungen hier wohl ſchwerlich zulaͤnglich ſeyn werden. Wo aber der Menſch nur in ſich ſelbſt gehet, GOtt im Geiſt und der Wahrheit umb ſeine Erleuchtung innigſt anruf- fet, ſoll ſichs wohl geben. Doch will ich noch eins verſuchen. Er wird mir hoffentlich zugeben: daß noch vortrefflichere oder maͤchtigere Kraͤffte und Gei- ſter ſeyn koͤnnen, welche keine ſo grobe, unſern irdi- ſchen Augen ſichtbahre und betaſtliche Leiber haben, wie wir. Nicand.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp> <p><pb facs="#f0019" n="13"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> die natuͤrliche Seelen-Kraͤffte Berg-ab gehen. Al-<lb/> lein eben das ſolte uns erwecken zu unterſuchen: ob<lb/> denn alle Menſchen einerley Kraͤffte der Seele, des<lb/> Geiſtes oder Gemuͤthes haben, da ſich denn finden<lb/> wuͤrde, daß die Menſchen und deren Kraͤffte zu un-<lb/> terſchieden ſind.</p> </sp><lb/> <sp> <speaker> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Nicander.</hi> </hi> </speaker> <p><hi rendition="#aq">Magis & minus non variunt rem.</hi> Die<lb/> Sache iſt derentwegen nicht unterſchiedenen We-<lb/> ſens, ob gleich einer mehr Verſtand, Gedaͤchtnis<lb/> und Beurtheilungs-Krafft hat, als der andere;<lb/> wie auch dieſem oder jenem <hi rendition="#aq">Affect</hi> mehr ergeben und<lb/> unterworffen. Zudem iſt es auch noch eine Frage:<lb/> ob alle dieſe Eigenſchafften nicht von dem <hi rendition="#aq">Tempera-<lb/> ment</hi> des Leibes und der verſchiedenen <hi rendition="#aq">Diſpoſition</hi><lb/> derer Saͤffte <hi rendition="#aq">dependi</hi>ren.</p> </sp><lb/> <sp> <speaker> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Modeſtin.</hi> </hi> </speaker> <p>Da der Unterſcheid des Geiſtes und<lb/> der Seelen; oder des natuͤrlichen und uͤbernatuͤrli-<lb/> chen Lebens, dem natuͤrlichen ſinnlichen, thieriſchen<lb/> Menſchen aus dem Licht der Natur an und vor ſich<lb/> ſelbſt nicht begreifflich, es ſey denn daß er vom Va-<lb/> ter der Lichtern erleuchtet, erneuert und wiederge-<lb/> bohren werde; ſo muß man ſolches GOtt uͤberlaſ-<lb/> ſen: indem menſchliche Ueberredungen hier wohl<lb/> ſchwerlich zulaͤnglich ſeyn werden. Wo aber der<lb/> Menſch nur in ſich ſelbſt gehet, GOtt im Geiſt und<lb/> der Wahrheit umb ſeine Erleuchtung innigſt anruf-<lb/> fet, ſoll ſichs wohl geben. Doch will ich noch eins<lb/> verſuchen. Er wird mir hoffentlich zugeben: daß<lb/> noch vortrefflichere oder maͤchtigere Kraͤffte und Gei-<lb/> ſter ſeyn koͤnnen, welche keine ſo grobe, unſern irdi-<lb/> ſchen Augen ſichtbahre und betaſtliche Leiber haben,<lb/> wie wir.</p> </sp><lb/> <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Nicand.</hi> </hi> </fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [13/0019]
die natuͤrliche Seelen-Kraͤffte Berg-ab gehen. Al-
lein eben das ſolte uns erwecken zu unterſuchen: ob
denn alle Menſchen einerley Kraͤffte der Seele, des
Geiſtes oder Gemuͤthes haben, da ſich denn finden
wuͤrde, daß die Menſchen und deren Kraͤffte zu un-
terſchieden ſind.
Nicander. Magis & minus non variunt rem. Die
Sache iſt derentwegen nicht unterſchiedenen We-
ſens, ob gleich einer mehr Verſtand, Gedaͤchtnis
und Beurtheilungs-Krafft hat, als der andere;
wie auch dieſem oder jenem Affect mehr ergeben und
unterworffen. Zudem iſt es auch noch eine Frage:
ob alle dieſe Eigenſchafften nicht von dem Tempera-
ment des Leibes und der verſchiedenen Diſpoſition
derer Saͤffte dependiren.
Modeſtin. Da der Unterſcheid des Geiſtes und
der Seelen; oder des natuͤrlichen und uͤbernatuͤrli-
chen Lebens, dem natuͤrlichen ſinnlichen, thieriſchen
Menſchen aus dem Licht der Natur an und vor ſich
ſelbſt nicht begreifflich, es ſey denn daß er vom Va-
ter der Lichtern erleuchtet, erneuert und wiederge-
bohren werde; ſo muß man ſolches GOtt uͤberlaſ-
ſen: indem menſchliche Ueberredungen hier wohl
ſchwerlich zulaͤnglich ſeyn werden. Wo aber der
Menſch nur in ſich ſelbſt gehet, GOtt im Geiſt und
der Wahrheit umb ſeine Erleuchtung innigſt anruf-
fet, ſoll ſichs wohl geben. Doch will ich noch eins
verſuchen. Er wird mir hoffentlich zugeben: daß
noch vortrefflichere oder maͤchtigere Kraͤffte und Gei-
ſter ſeyn koͤnnen, welche keine ſo grobe, unſern irdi-
ſchen Augen ſichtbahre und betaſtliche Leiber haben,
wie wir.
Nicand.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |