Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.Das Verlohrne Paradies. Zwölfter Gesang. Wie ein Wanderer, welcher nunmehr zur Stunde des Mittags Etwas ruht, so eilig er auch die Reise verfolget: So verweilte der Engel sich zwischen einer zerstörten Und erneuerten Welt, ob Adam indessen gedächte, 5Einige Fragen zu thun. Drauf fuhr er nach einiger Pause So mit lieblichem Uebergang fort in seiner Erzählung. Du hast eine Welt anfangen, und enden gesehen, Erster der Menschen! Ein zweyter Stamm von deinem Geschlechte Zeigte sich dir. Du hast noch viel, o Adam, zu schauen; 10Aber ich seh, dein sterblich Gesicht wird merklich verdunkelt; Göttliche Dinge müssen nothwendig die menschlichen Sinnen Ueberwältgen, ermüden; drum will ich, was künftig geschehn wird, Dir erzählen; gieb Acht auf meine lehrenden Worte [Spaltenumbruch] a)! Diese a) Verschiedne Kunstrichter, beson- ders Addison, haben gewünscht, daß Milton, so viel Schwierigkeit es ihm auch immer gekostet haben möchte, die Begebenheiten in diesem letzten Gesange eben so in Gesichten vorgestellt hätte, als in dem vorigen. Jch glaube aber, daß der Poet solches bloß der Abwechselung [Spaltenumbruch] wegen gethan; und kann man ihm also nicht Schuld geben, daß sein Gedicht hier deshalb matter würde, indem zu einer so kurzen gedrungnen Erzählung so verschied- ner Geschichte nicht weniger Genie gehört, als solche in Gesichten vorzustellen. Auf- merksame Leser werden indeß in andern Stellen dieses letzten Gefanges bemerken, daß E e 2
Das Verlohrne Paradies. Zwoͤlfter Geſang. Wie ein Wanderer, welcher nunmehr zur Stunde des Mittags Etwas ruht, ſo eilig er auch die Reiſe verfolget: So verweilte der Engel ſich zwiſchen einer zerſtoͤrten Und erneuerten Welt, ob Adam indeſſen gedaͤchte, 5Einige Fragen zu thun. Drauf fuhr er nach einiger Pauſe So mit lieblichem Uebergang fort in ſeiner Erzaͤhlung. Du haſt eine Welt anfangen, und enden geſehen, Erſter der Menſchen! Ein zweyter Stamm von deinem Geſchlechte Zeigte ſich dir. Du haſt noch viel, o Adam, zu ſchauen; 10Aber ich ſeh, dein ſterblich Geſicht wird merklich verdunkelt; Goͤttliche Dinge muͤſſen nothwendig die menſchlichen Sinnen Ueberwaͤltgen, ermuͤden; drum will ich, was kuͤnftig geſchehn wird, Dir erzaͤhlen; gieb Acht auf meine lehrenden Worte [Spaltenumbruch] a)! Dieſe a) Verſchiedne Kunſtrichter, beſon- ders Addiſon, haben gewuͤnſcht, daß Milton, ſo viel Schwierigkeit es ihm auch immer gekoſtet haben moͤchte, die Begebenheiten in dieſem letzten Geſange eben ſo in Geſichten vorgeſtellt haͤtte, als in dem vorigen. Jch glaube aber, daß der Poet ſolches bloß der Abwechſelung [Spaltenumbruch] wegen gethan; und kann man ihm alſo nicht Schuld geben, daß ſein Gedicht hier deshalb matter wuͤrde, indem zu einer ſo kurzen gedrungnen Erzaͤhlung ſo verſchied- ner Geſchichte nicht weniger Genie gehoͤrt, als ſolche in Geſichten vorzuſtellen. Auf- merkſame Leſer werden indeß in andern Stellen dieſes letzten Gefanges bemerken, daß E e 2
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Das
Verlohrne Paradies.
Zwoͤlfter Geſang.
Wie ein Wanderer, welcher nunmehr zur Stunde des Mittags
Etwas ruht, ſo eilig er auch die Reiſe verfolget:
So verweilte der Engel ſich zwiſchen einer zerſtoͤrten
Und erneuerten Welt, ob Adam indeſſen gedaͤchte,
Einige Fragen zu thun. Drauf fuhr er nach einiger Pauſe
So mit lieblichem Uebergang fort in ſeiner Erzaͤhlung.
Du haſt eine Welt anfangen, und enden geſehen,
Erſter der Menſchen! Ein zweyter Stamm von deinem Geſchlechte
Zeigte ſich dir. Du haſt noch viel, o Adam, zu ſchauen;
Aber ich ſeh, dein ſterblich Geſicht wird merklich verdunkelt;
Goͤttliche Dinge muͤſſen nothwendig die menſchlichen Sinnen
Ueberwaͤltgen, ermuͤden; drum will ich, was kuͤnftig geſchehn wird,
Dir erzaͤhlen; gieb Acht auf meine lehrenden Worte
a)!
Dieſe
a) Verſchiedne Kunſtrichter, beſon-
ders Addiſon, haben gewuͤnſcht, daß
Milton, ſo viel Schwierigkeit es ihm
auch immer gekoſtet haben moͤchte, die
Begebenheiten in dieſem letzten Geſange
eben ſo in Geſichten vorgeſtellt haͤtte, als
in dem vorigen. Jch glaube aber, daß
der Poet ſolches bloß der Abwechſelung
wegen gethan; und kann man ihm alſo
nicht Schuld geben, daß ſein Gedicht hier
deshalb matter wuͤrde, indem zu einer ſo
kurzen gedrungnen Erzaͤhlung ſo verſchied-
ner Geſchichte nicht weniger Genie gehoͤrt,
als ſolche in Geſichten vorzuſtellen. Auf-
merkſame Leſer werden indeß in andern
Stellen dieſes letzten Gefanges bemerken,
daß
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