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Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.

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Zehnter Gesang.

Wie es ihm für die itzige Zeit am besten zu seyn schien,
Und goß seinen göttlichen Fluch so über die Schlange.

Weil du dieses gethan, sollst du, o Schlange, verflucht seyn [Spaltenumbruch] i)
Vor jedwedem Thiere des Feldes! auf deinem Bauche
180Sollst du kriechen; und Staub sollst du dein Lebelang essen.

Feindschaft will ich zwischen dir setzen, und zwischen dem Weibe,
Zwischen deinem und ihrem Saamen; den Kopf wird ihr Saamen
Dir zerquetschen, und du wirst in die Fersen ihn stechen.
So sprach dieses Orakel k) , das in Erfüllung gegangen,
185Da, als Jesus, der Sohn der Maria, der zweyten Eva,
Satan,
i) 1 B. Mos. III, 14. Da sprach
Gott der Herr zu der Schlange:
Weil du solches gethan hast, seyst
du verflucht vor allem Vieh, und
vor allen Thieren auf dem Felde.
Auf deinem Bauch sollst du gehen,
und Erde essen dein Lebelang. Und
ich will Feindschaft setzen zwischen
dir und dem Weibe, und zwischen
deinem Saamen und ihrem Saamen,
derselbe soll dir den Kopf zertreten,
und du wirst ihn in die Fersen ste-
chen.
Wir setzen mit Fleiß diese Schrift-
stellen ganz ausgeschrieben hin, damit sie
der Leser ohne Mühe vergleichen, und
wahrnehmen kann, wie genau Milton
zwar die meiste Zeit bey den Worten ge-
blieben; mit wie vieler Kunst er aber auch
Umstände und Reden hinzugedichtet, wenn
es die Absicht seiner Materie erforderte. Z.
k) Man sieht hier offenbar, daß Mil-
ton, als er diese Stelle schrieb, der Mey-
[Spaltenumbruch] nung war, das Paradies wäre vornehm-
lich bey unsers Heilandes Auferstehung
wieder gewonnen worden. Dieses wür-
de ein reicher und erhabener Stoff zu ei-
nem zweyten Gedichte gewesen seyn. Die
Wunder, die man dann zu beschreiben
gehabt hätte, würden selbst eines gemei-
nen Poeten Geist erhöht haben, und ich
bedaure sehr, daß Milton anstatt dessen,
lieber die Versuchung in der Wüste
gewählt hat, einen trocknen, unfrucht-
baren, und allzueingeschränkten Boden,
um ein Episches Gedicht darauf zu er-
bauen. Bentley.
Jeder deutsche Leser wird sich bey die-
ser Gelegenheit freuen, daß eine so erha-
bene würdige Materie zu einem Epischen
Gedichte in die Hände des Dichters der
Meßiade gefallen ist. So ein groß Ge-
nie Milton auch immer gewesen ist, und
ob man ihn gleich als den Schöpfer der
heiligen Poesie ansehn muß, so zweifle
ich
II. Theil. R

Zehnter Geſang.

Wie es ihm fuͤr die itzige Zeit am beſten zu ſeyn ſchien,
Und goß ſeinen goͤttlichen Fluch ſo uͤber die Schlange.

Weil du dieſes gethan, ſollſt du, o Schlange, verflucht ſeyn [Spaltenumbruch] i)
Vor jedwedem Thiere des Feldes! auf deinem Bauche
180Sollſt du kriechen; und Staub ſollſt du dein Lebelang eſſen.

Feindſchaft will ich zwiſchen dir ſetzen, und zwiſchen dem Weibe,
Zwiſchen deinem und ihrem Saamen; den Kopf wird ihr Saamen
Dir zerquetſchen, und du wirſt in die Ferſen ihn ſtechen.
So ſprach dieſes Orakel k) , das in Erfuͤllung gegangen,
185Da, als Jeſus, der Sohn der Maria, der zweyten Eva,
Satan,
i) 1 B. Moſ. III, 14. Da ſprach
Gott der Herr zu der Schlange:
Weil du ſolches gethan haſt, ſeyſt
du verflucht vor allem Vieh, und
vor allen Thieren auf dem Felde.
Auf deinem Bauch ſollſt du gehen,
und Erde eſſen dein Lebelang. Und
ich will Feindſchaft ſetzen zwiſchen
dir und dem Weibe, und zwiſchen
deinem Saamen und ihrem Saamen,
derſelbe ſoll dir den Kopf zertreten,
und du wirſt ihn in die Ferſen ſte-
chen.
Wir ſetzen mit Fleiß dieſe Schrift-
ſtellen ganz ausgeſchrieben hin, damit ſie
der Leſer ohne Muͤhe vergleichen, und
wahrnehmen kann, wie genau Milton
zwar die meiſte Zeit bey den Worten ge-
blieben; mit wie vieler Kunſt er aber auch
Umſtaͤnde und Reden hinzugedichtet, wenn
es die Abſicht ſeiner Materie erforderte. Z.
k) Man ſieht hier offenbar, daß Mil-
ton, als er dieſe Stelle ſchrieb, der Mey-
[Spaltenumbruch] nung war, das Paradies waͤre vornehm-
lich bey unſers Heilandes Auferſtehung
wieder gewonnen worden. Dieſes wuͤr-
de ein reicher und erhabener Stoff zu ei-
nem zweyten Gedichte geweſen ſeyn. Die
Wunder, die man dann zu beſchreiben
gehabt haͤtte, wuͤrden ſelbſt eines gemei-
nen Poeten Geiſt erhoͤht haben, und ich
bedaure ſehr, daß Milton anſtatt deſſen,
lieber die Verſuchung in der Wüſte
gewaͤhlt hat, einen trocknen, unfrucht-
baren, und allzueingeſchraͤnkten Boden,
um ein Epiſches Gedicht darauf zu er-
bauen. Bentley.
Jeder deutſche Leſer wird ſich bey die-
ſer Gelegenheit freuen, daß eine ſo erha-
bene wuͤrdige Materie zu einem Epiſchen
Gedichte in die Haͤnde des Dichters der
Meßiade gefallen iſt. So ein groß Ge-
nie Milton auch immer geweſen iſt, und
ob man ihn gleich als den Schoͤpfer der
heiligen Poeſie anſehn muß, ſo zweifle
ich
II. Theil. R
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[129/0151] Zehnter Geſang. Wie es ihm fuͤr die itzige Zeit am beſten zu ſeyn ſchien, Und goß ſeinen goͤttlichen Fluch ſo uͤber die Schlange. Weil du dieſes gethan, ſollſt du, o Schlange, verflucht ſeyn i) Vor jedwedem Thiere des Feldes! auf deinem Bauche Sollſt du kriechen; und Staub ſollſt du dein Lebelang eſſen. Feindſchaft will ich zwiſchen dir ſetzen, und zwiſchen dem Weibe, Zwiſchen deinem und ihrem Saamen; den Kopf wird ihr Saamen Dir zerquetſchen, und du wirſt in die Ferſen ihn ſtechen. So ſprach dieſes Orakel k) , das in Erfuͤllung gegangen, Da, als Jeſus, der Sohn der Maria, der zweyten Eva, Satan, i) 1 B. Moſ. III, 14. Da ſprach Gott der Herr zu der Schlange: Weil du ſolches gethan haſt, ſeyſt du verflucht vor allem Vieh, und vor allen Thieren auf dem Felde. Auf deinem Bauch ſollſt du gehen, und Erde eſſen dein Lebelang. Und ich will Feindſchaft ſetzen zwiſchen dir und dem Weibe, und zwiſchen deinem Saamen und ihrem Saamen, derſelbe ſoll dir den Kopf zertreten, und du wirſt ihn in die Ferſen ſte- chen. Wir ſetzen mit Fleiß dieſe Schrift- ſtellen ganz ausgeſchrieben hin, damit ſie der Leſer ohne Muͤhe vergleichen, und wahrnehmen kann, wie genau Milton zwar die meiſte Zeit bey den Worten ge- blieben; mit wie vieler Kunſt er aber auch Umſtaͤnde und Reden hinzugedichtet, wenn es die Abſicht ſeiner Materie erforderte. Z. k) Man ſieht hier offenbar, daß Mil- ton, als er dieſe Stelle ſchrieb, der Mey- nung war, das Paradies waͤre vornehm- lich bey unſers Heilandes Auferſtehung wieder gewonnen worden. Dieſes wuͤr- de ein reicher und erhabener Stoff zu ei- nem zweyten Gedichte geweſen ſeyn. Die Wunder, die man dann zu beſchreiben gehabt haͤtte, wuͤrden ſelbſt eines gemei- nen Poeten Geiſt erhoͤht haben, und ich bedaure ſehr, daß Milton anſtatt deſſen, lieber die Verſuchung in der Wüſte gewaͤhlt hat, einen trocknen, unfrucht- baren, und allzueingeſchraͤnkten Boden, um ein Epiſches Gedicht darauf zu er- bauen. Bentley. Jeder deutſche Leſer wird ſich bey die- ſer Gelegenheit freuen, daß eine ſo erha- bene wuͤrdige Materie zu einem Epiſchen Gedichte in die Haͤnde des Dichters der Meßiade gefallen iſt. So ein groß Ge- nie Milton auch immer geweſen iſt, und ob man ihn gleich als den Schoͤpfer der heiligen Poeſie anſehn muß, ſo zweifle ich II. Theil. R

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Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/151>, abgerufen am 27.11.2024.