Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760.Das verlohrne Paaradies. Ausriß, und vom Gipfel des Oeta den Lichas herunterJn die Euboische See geschleudert. Noch andere, milder, 550Und von sanfterer Art, in ein stilles Thal abgewichen, Sangen mit englischen Liedern, zu mancher tönenden Harfe, Jhre eignen heroischen Thaten, und ihren unseelgen Fall, durch das Loos des Kriegs. Sie beklagten, daß durch das Schicksal Freye Tugend der Stärk', und dem Zufall, unterthan würde. 555Jhr Gesang war partheyisch; doch ihre harmonischen Lieder, (Und wie konnt' es anders auch seyn, da unsterbliche Geister Sangen?) erhielten die Höll' in aufmerksamer Bewundrung, [Spaltenumbruch] x) Und entzückten der Zuhörer Schaaren. Jn lieblichen Reden, (Denn der Beredtsamkeit Macht entzückt die bezauberte Seele, 560Und der Gesang nur die Sinne,) in großen erhabnen Gedanken Saßen andre, beyseit auf einen Hügel gewichen, Jn verflochtene Schlüsse vertieft, und redeten ernsthaft Von der Vorsehung, von dem Vorherwissen, und vom Willen, Und dem Schicksal; vom festen Schicksal, vom freyen Willen, 565Und dem unbedingten Vorherwissen; völlig verlohren, Fanden sie keinen Ausgang aus ihrer Vernunft Labyrinthen. Alsdenn unterhielten sie sich vom Guten und Bösen, Von x) Die Wirkung ihres Gesanges
ist beynahe eben so, als die von dem Gesange des Orpheus in der Hölle. Virg. Georg. IV. 481. Quin ipsae stupuere domus, atque intima lethi Tartara, coeruleosque implexae cri- nibus angues Eumenides, tenuitque inhians tria Cerberus ora, [Spaltenumbruch] Atque Ixionii vento rota constitit orbis. Selbst des Tartarus Wohnungen staunten; die Eumeniden Mit dem Schlangenhaar hörten ihm zu, und Cerberus selber Stund mit dem dreyfachen Schlunde verwundrungsvoll stumm, u. Jxion Hielt sein Rad auf, und lehnte sich dran, und horchte den Liedern. Das verlohrne Paaradies. Ausriß, und vom Gipfel des Oeta den Lichas herunterJn die Euboiſche See geſchleudert. Noch andere, milder, 550Und von ſanfterer Art, in ein ſtilles Thal abgewichen, Sangen mit engliſchen Liedern, zu mancher toͤnenden Harfe, Jhre eignen heroiſchen Thaten, und ihren unſeelgen Fall, durch das Loos des Kriegs. Sie beklagten, daß durch das Schickſal Freye Tugend der Staͤrk’, und dem Zufall, unterthan wuͤrde. 555Jhr Geſang war partheyiſch; doch ihre harmoniſchen Lieder, (Und wie konnt’ es anders auch ſeyn, da unſterbliche Geiſter Sangen?) erhielten die Hoͤll’ in aufmerkſamer Bewundrung, [Spaltenumbruch] x) Und entzuͤckten der Zuhoͤrer Schaaren. Jn lieblichen Reden, (Denn der Beredtſamkeit Macht entzuͤckt die bezauberte Seele, 560Und der Geſang nur die Sinne,) in großen erhabnen Gedanken Saßen andre, beyſeit auf einen Huͤgel gewichen, Jn verflochtene Schluͤſſe vertieft, und redeten ernſthaft Von der Vorſehung, von dem Vorherwiſſen, und vom Willen, Und dem Schickſal; vom feſten Schickſal, vom freyen Willen, 565Und dem unbedingten Vorherwiſſen; voͤllig verlohren, Fanden ſie keinen Ausgang aus ihrer Vernunft Labyrinthen. Alsdenn unterhielten ſie ſich vom Guten und Boͤſen, Von x) Die Wirkung ihres Geſanges
iſt beynahe eben ſo, als die von dem Geſange des Orpheus in der Hoͤlle. Virg. Georg. IV. 481. Quin ipſae ſtupuere domus, atque intima lethi Tartara, cœruleosque implexae cri- nibus angues Eumenides, tenuitque inhians tria Cerberus ora, [Spaltenumbruch] Atque Ixionii vento rota conſtitit orbis. Selbſt des Tartarus Wohnungen ſtaunten; die Eumeniden Mit dem Schlangenhaar hoͤrten ihm zu, und Cerberus ſelber Stund mit dem dreyfachen Schlunde verwundrungsvoll ſtum̄, u. Jxion Hielt ſein Rad auf, und lehnte ſich dran, und horchte den Liedern. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <lg n="12"> <pb facs="#f0088" n="72"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Das verlohrne Paaradies.</hi> </fw><lb/> <l>Ausriß, und vom Gipfel des <hi rendition="#fr">Oeta</hi> den <hi rendition="#fr">Lichas</hi> herunter</l><lb/> <l>Jn die <hi rendition="#fr">Euboiſche</hi> See geſchleudert. Noch andere, milder,</l><lb/> <l><note place="left">550</note>Und von ſanfterer Art, in ein ſtilles Thal abgewichen,</l><lb/> <l>Sangen mit engliſchen Liedern, zu mancher toͤnenden Harfe,</l><lb/> <l>Jhre eignen heroiſchen Thaten, und ihren unſeelgen</l><lb/> <l>Fall, durch das Loos des Kriegs. Sie beklagten, daß durch das Schickſal</l><lb/> <l>Freye Tugend der Staͤrk’, und dem Zufall, unterthan wuͤrde.</l><lb/> <l><note place="left">555</note>Jhr Geſang war partheyiſch; doch ihre harmoniſchen Lieder,</l><lb/> <l>(Und wie konnt’ es anders auch ſeyn, da unſterbliche Geiſter</l><lb/> <l>Sangen?) erhielten die Hoͤll’ in aufmerkſamer Bewundrung, <cb/> <note place="foot" n="x)">Die Wirkung ihres Geſanges<lb/> iſt beynahe eben ſo, als die von dem<lb/> Geſange des Orpheus in der Hoͤlle.<lb/><hi rendition="#aq">Virg. Georg. IV.</hi> 481.<lb/><hi rendition="#aq">Quin ipſae ſtupuere domus, atque<lb/><hi rendition="#et">intima lethi</hi><lb/> Tartara, cœruleosque implexae cri-<lb/><hi rendition="#et">nibus angues</hi><lb/> Eumenides, tenuitque inhians tria<lb/><hi rendition="#et">Cerberus ora,</hi><lb/><cb/> Atque Ixionii vento rota conſtitit<lb/><hi rendition="#et">orbis.</hi></hi><lb/> Selbſt des Tartarus Wohnungen<lb/><hi rendition="#et">ſtaunten; die Eumeniden</hi><lb/> Mit dem Schlangenhaar hoͤrten ihm<lb/><hi rendition="#et">zu, und Cerberus ſelber</hi><lb/> Stund mit dem dreyfachen Schlunde<lb/><hi rendition="#et">verwundrungsvoll ſtum̄, u. Jxion</hi><lb/> Hielt ſein Rad auf, und lehnte ſich<lb/><hi rendition="#et">dran, und horchte den Liedern.</hi></note></l><lb/> <l>Und entzuͤckten der Zuhoͤrer Schaaren. Jn lieblichen Reden,</l><lb/> <l>(Denn der Beredtſamkeit Macht entzuͤckt die bezauberte Seele,</l><lb/> <l><note place="left">560</note>Und der Geſang nur die Sinne,) in großen erhabnen Gedanken</l><lb/> <l>Saßen andre, beyſeit auf einen Huͤgel gewichen,</l><lb/> <l>Jn verflochtene Schluͤſſe vertieft, und redeten ernſthaft</l><lb/> <l>Von der Vorſehung, von dem Vorherwiſſen, und vom Willen,</l><lb/> <l>Und dem Schickſal; vom feſten Schickſal, vom freyen Willen,</l><lb/> <l><note place="left">565</note>Und dem unbedingten Vorherwiſſen; voͤllig verlohren,</l><lb/> <l>Fanden ſie keinen Ausgang aus ihrer Vernunft Labyrinthen.</l><lb/> <l>Alsdenn unterhielten ſie ſich vom Guten und Boͤſen,</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Von</fw><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [72/0088]
Das verlohrne Paaradies.
Ausriß, und vom Gipfel des Oeta den Lichas herunter
Jn die Euboiſche See geſchleudert. Noch andere, milder,
Und von ſanfterer Art, in ein ſtilles Thal abgewichen,
Sangen mit engliſchen Liedern, zu mancher toͤnenden Harfe,
Jhre eignen heroiſchen Thaten, und ihren unſeelgen
Fall, durch das Loos des Kriegs. Sie beklagten, daß durch das Schickſal
Freye Tugend der Staͤrk’, und dem Zufall, unterthan wuͤrde.
Jhr Geſang war partheyiſch; doch ihre harmoniſchen Lieder,
(Und wie konnt’ es anders auch ſeyn, da unſterbliche Geiſter
Sangen?) erhielten die Hoͤll’ in aufmerkſamer Bewundrung,
x)
Und entzuͤckten der Zuhoͤrer Schaaren. Jn lieblichen Reden,
(Denn der Beredtſamkeit Macht entzuͤckt die bezauberte Seele,
Und der Geſang nur die Sinne,) in großen erhabnen Gedanken
Saßen andre, beyſeit auf einen Huͤgel gewichen,
Jn verflochtene Schluͤſſe vertieft, und redeten ernſthaft
Von der Vorſehung, von dem Vorherwiſſen, und vom Willen,
Und dem Schickſal; vom feſten Schickſal, vom freyen Willen,
Und dem unbedingten Vorherwiſſen; voͤllig verlohren,
Fanden ſie keinen Ausgang aus ihrer Vernunft Labyrinthen.
Alsdenn unterhielten ſie ſich vom Guten und Boͤſen,
Von
x) Die Wirkung ihres Geſanges
iſt beynahe eben ſo, als die von dem
Geſange des Orpheus in der Hoͤlle.
Virg. Georg. IV. 481.
Quin ipſae ſtupuere domus, atque
intima lethi
Tartara, cœruleosque implexae cri-
nibus angues
Eumenides, tenuitque inhians tria
Cerberus ora,
Atque Ixionii vento rota conſtitit
orbis.
Selbſt des Tartarus Wohnungen
ſtaunten; die Eumeniden
Mit dem Schlangenhaar hoͤrten ihm
zu, und Cerberus ſelber
Stund mit dem dreyfachen Schlunde
verwundrungsvoll ſtum̄, u. Jxion
Hielt ſein Rad auf, und lehnte ſich
dran, und horchte den Liedern.
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