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Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760.

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Zweyter Gesang.
Holde Gestalt sich ziehn, und auf die verfinsterte Landschaft
495Schnee oder Regen herabsinkt; wenn dann die glänzende Sonne
Bey dem lieblichen Abschied die Abendstralen umher schießt,
Die Gefilde wieder erwachen, die Sänger des Waldes
Jhre fröhlichen Lieder erneun, und blöckende Heerden
Jhre Freude bezeugen, daß Hügel und Thäler erschallen.
500Welche Schande dem Menschen! Mit Teufeln verdammte Teufel
Stehn in fester Eintracht; und unter vernünftgen Geschöpfen
Leben die Menschen allein in Zwiespalt, da doch die Hoffnung
Himmlischer Gnade sie leitet! Jhr Gott verkündiget Frieden,
Aber sie leben in Feindschaft und Haß und Uneinigkeiten
505Untereinander, und führen grausame Krieg', und verwüsten
Weit umher die Erde, daß einer den andern zerstöre.
Als wenn Menschen (wie sollte dies uns znr Einigkeit führen!)
Nicht noch höllische Feinde gnug hätten, die auf ihr Verderben
Jeden Augenblick lauren! -- So gieng der Stygische Reichstag
[Spaltenumbruch]

Aus
Bemerke, wie sie voller Anmuth
lächelt,
Und sage mir, womit kannst du's
vergleichen,
Wenn hundert Gratien, als wie
im Schatten
Der holden schwarzen Augenbrau-
nen sitzen?
Am meisten gleichts dem schönen
Sonnenschein
Jm Sommer, wenn er nach ent-
flohnem Sturm
Mit seinem gütgen Stral die Welt
vergüldet.
Jedweder Vogel, den das Laub
versteckt,
[Spaltenumbruch] Jedwedes Thier, das nach der
Höhle floh,
Kömmt fröhlich nach dem dunkeln
Sturm hervor
Und hebt zum Licht sein hangend
Haupt empor.
So wird auch mein vom Sturm
getroffnes Herz
Durch diesen Sonnenschein aufs
neu erhellt,
Wenn dunkle Blicke wieder sich
erheitern.
Noch ein ähnliches Gleichniß findet
man im Boethius Cons. Philosoph. L. I.
und in der Hölle des Dante. C. 24. N.
J 3

Zweyter Geſang.
Holde Geſtalt ſich ziehn, und auf die verfinſterte Landſchaft
495Schnee oder Regen herabſinkt; wenn dann die glaͤnzende Sonne
Bey dem lieblichen Abſchied die Abendſtralen umher ſchießt,
Die Gefilde wieder erwachen, die Saͤnger des Waldes
Jhre froͤhlichen Lieder erneun, und bloͤckende Heerden
Jhre Freude bezeugen, daß Huͤgel und Thaͤler erſchallen.
500Welche Schande dem Menſchen! Mit Teufeln verdammte Teufel
Stehn in feſter Eintracht; und unter vernuͤnftgen Geſchoͤpfen
Leben die Menſchen allein in Zwieſpalt, da doch die Hoffnung
Himmliſcher Gnade ſie leitet! Jhr Gott verkuͤndiget Frieden,
Aber ſie leben in Feindſchaft und Haß und Uneinigkeiten
505Untereinander, und fuͤhren grauſame Krieg’, und verwuͤſten
Weit umher die Erde, daß einer den andern zerſtoͤre.
Als wenn Menſchen (wie ſollte dies uns znr Einigkeit fuͤhren!)
Nicht noch hoͤlliſche Feinde gnug haͤtten, die auf ihr Verderben
Jeden Augenblick lauren! — So gieng der Stygiſche Reichstag
[Spaltenumbruch]

Aus
Bemerke, wie ſie voller Anmuth
laͤchelt,
Und ſage mir, womit kannſt du’s
vergleichen,
Wenn hundert Gratien, als wie
im Schatten
Der holden ſchwarzen Augenbrau-
nen ſitzen?
Am meiſten gleichts dem ſchoͤnen
Sonnenſchein
Jm Sommer, wenn er nach ent-
flohnem Sturm
Mit ſeinem guͤtgen Stral die Welt
verguͤldet.
Jedweder Vogel, den das Laub
verſteckt,
[Spaltenumbruch] Jedwedes Thier, das nach der
Hoͤhle floh,
Koͤmmt froͤhlich nach dem dunkeln
Sturm hervor
Und hebt zum Licht ſein hangend
Haupt empor.
So wird auch mein vom Sturm
getroffnes Herz
Durch dieſen Sonnenſchein aufs
neu erhellt,
Wenn dunkle Blicke wieder ſich
erheitern.
Noch ein aͤhnliches Gleichniß findet
man im Boethius Conſ. Philoſoph. L. I.
und in der Hoͤlle des Dante. C. 24. N.
J 3
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[69/0085] Zweyter Geſang. Holde Geſtalt ſich ziehn, und auf die verfinſterte Landſchaft Schnee oder Regen herabſinkt; wenn dann die glaͤnzende Sonne Bey dem lieblichen Abſchied die Abendſtralen umher ſchießt, Die Gefilde wieder erwachen, die Saͤnger des Waldes Jhre froͤhlichen Lieder erneun, und bloͤckende Heerden Jhre Freude bezeugen, daß Huͤgel und Thaͤler erſchallen. Welche Schande dem Menſchen! Mit Teufeln verdammte Teufel Stehn in feſter Eintracht; und unter vernuͤnftgen Geſchoͤpfen Leben die Menſchen allein in Zwieſpalt, da doch die Hoffnung Himmliſcher Gnade ſie leitet! Jhr Gott verkuͤndiget Frieden, Aber ſie leben in Feindſchaft und Haß und Uneinigkeiten Untereinander, und fuͤhren grauſame Krieg’, und verwuͤſten Weit umher die Erde, daß einer den andern zerſtoͤre. Als wenn Menſchen (wie ſollte dies uns znr Einigkeit fuͤhren!) Nicht noch hoͤlliſche Feinde gnug haͤtten, die auf ihr Verderben Jeden Augenblick lauren! — So gieng der Stygiſche Reichstag Aus s) s) Bemerke, wie ſie voller Anmuth laͤchelt, Und ſage mir, womit kannſt du’s vergleichen, Wenn hundert Gratien, als wie im Schatten Der holden ſchwarzen Augenbrau- nen ſitzen? Am meiſten gleichts dem ſchoͤnen Sonnenſchein Jm Sommer, wenn er nach ent- flohnem Sturm Mit ſeinem guͤtgen Stral die Welt verguͤldet. Jedweder Vogel, den das Laub verſteckt, Jedwedes Thier, das nach der Hoͤhle floh, Koͤmmt froͤhlich nach dem dunkeln Sturm hervor Und hebt zum Licht ſein hangend Haupt empor. So wird auch mein vom Sturm getroffnes Herz Durch dieſen Sonnenſchein aufs neu erhellt, Wenn dunkle Blicke wieder ſich erheitern. Noch ein aͤhnliches Gleichniß findet man im Boethius Conſ. Philoſoph. L. I. und in der Hoͤlle des Dante. C. 24. N. J 3

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Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/85>, abgerufen am 23.11.2024.