Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760.Sechster Gesang. Fielen aus ihren Händen. Er fuhr mit verderbenden RädernUeber Schild' und Helme, und über gehelmte Häupter Mächtiger Thronen und Seraphim her, die zu Boden gestürzet 800Lagen, und wünschten, daß itzo die Berge sie decken möchten [Spaltenumbruch] c), Um sie vor seinem Zorne zu schirmen. Von jedweder Seite Fielen nicht minder stürmische Pfeile, gleich einem Gewitter, Von der vier Cherubim Antlitz, das ganz mit Augen besät war, Und den lebendigen Rädern hernieder, mit Mengen von Augen 805Gleichfalls bedeckt. Ein einziger Geist beseelte sie; schrecklich Wetterleuchtete jedes der Augen verderbendes Feuer Unter die starren Verfluchten hinab. Wodurch sie verwelket, Aller ehmaligen Stärke beraubt, und von Kräften erschöpfet, Hinsanken, muthlos, entgeistert, daniedergeschlagen, gefallen. 810Und doch hatt' er nicht halb sich seiner Stärke gebrauchet, Sondern mitten im Flug den verderbenden Donner gedämpfet, Weil er nicht ganz sie zernichten, und nur aus den Gränzen des Himmels Sie hinaustreiben wollte. Er richtet die Niedergestürzten Wiederum auf, und treibt sie, dicht in einander gedränget, 815Wie eine Heerde furchtsamer Ziegen d) und schüchterner Schaafe Donnerbetäubt vor sich her, und mit Schrecken und Furien jagt er Auf c) Offenb. VI. 16. Sie sprachen zu den Bergen: Fallet auf uns und verberget uns, vor dem An- gesicht deß, der auf dem Stuhl sitzt. N. d) Es kömmt uns vielleicht beson-
ders vor, daß Milton unter so viel er- [Spaltenumbruch] habenen Bildern ein so niedriges Gleichniß braucht. Außerdem aber daß Homer solches sehr oft thut, so kann Milton noch mehr entschuldigt werden, weil er es hier auf die gefall- nen Engel anwendet. Je niedriger die Vergleichung war, je mehr drückte es ihren Umsturz aus. Sechſter Geſang. Fielen aus ihren Haͤnden. Er fuhr mit verderbenden RaͤdernUeber Schild’ und Helme, und uͤber gehelmte Haͤupter Maͤchtiger Thronen und Seraphim her, die zu Boden geſtuͤrzet 800Lagen, und wuͤnſchten, daß itzo die Berge ſie decken moͤchten [Spaltenumbruch] c), Um ſie vor ſeinem Zorne zu ſchirmen. Von jedweder Seite Fielen nicht minder ſtuͤrmiſche Pfeile, gleich einem Gewitter, Von der vier Cherubim Antlitz, das ganz mit Augen beſaͤt war, Und den lebendigen Raͤdern hernieder, mit Mengen von Augen 805Gleichfalls bedeckt. Ein einziger Geiſt beſeelte ſie; ſchrecklich Wetterleuchtete jedes der Augen verderbendes Feuer Unter die ſtarren Verfluchten hinab. Wodurch ſie verwelket, Aller ehmaligen Staͤrke beraubt, und von Kraͤften erſchoͤpfet, Hinſanken, muthlos, entgeiſtert, daniedergeſchlagen, gefallen. 810Und doch hatt’ er nicht halb ſich ſeiner Staͤrke gebrauchet, Sondern mitten im Flug den verderbenden Donner gedaͤmpfet, Weil er nicht ganz ſie zernichten, und nur aus den Graͤnzen des Himmels Sie hinaustreiben wollte. Er richtet die Niedergeſtuͤrzten Wiederum auf, und treibt ſie, dicht in einander gedraͤnget, 815Wie eine Heerde furchtſamer Ziegen d) und ſchuͤchterner Schaafe Donnerbetaͤubt vor ſich her, und mit Schrecken und Furien jagt er Auf c) Offenb. VI. 16. Sie ſprachen zu den Bergen: Fallet auf uns und verberget uns, vor dem An- geſicht deß, der auf dem Stuhl ſitzt. N. d) Es koͤmmt uns vielleicht beſon-
ders vor, daß Milton unter ſo viel er- [Spaltenumbruch] habenen Bildern ein ſo niedriges Gleichniß braucht. Außerdem aber daß Homer ſolches ſehr oft thut, ſo kann Milton noch mehr entſchuldigt werden, weil er es hier auf die gefall- nen Engel anwendet. Je niedriger die Vergleichung war, je mehr druͤckte es ihren Umſturz aus. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <lg n="34"> <pb facs="#f0287" n="263"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Sechſter Geſang.</hi> </fw><lb/> <l>Fielen aus ihren Haͤnden. Er fuhr mit verderbenden Raͤdern</l><lb/> <l>Ueber Schild’ und Helme, und uͤber gehelmte Haͤupter</l><lb/> <l>Maͤchtiger Thronen und Seraphim her, die zu Boden geſtuͤrzet</l><lb/> <l><note place="left">800</note>Lagen, und wuͤnſchten, daß itzo die Berge ſie decken moͤchten <cb/> <note place="foot" n="c)">Offenb. <hi rendition="#aq">VI.</hi> 16. <hi rendition="#fr">Sie ſprachen<lb/> zu den Bergen: Fallet auf uns<lb/> und verberget uns, vor dem An-<lb/> geſicht deß, der auf dem Stuhl<lb/> ſitzt.</hi> <hi rendition="#et">N.</hi></note>,</l><lb/> <l>Um ſie vor ſeinem Zorne zu ſchirmen. Von jedweder Seite</l><lb/> <l>Fielen nicht minder ſtuͤrmiſche Pfeile, gleich einem Gewitter,</l><lb/> <l>Von der vier Cherubim Antlitz, das ganz mit Augen beſaͤt war,</l><lb/> <l>Und den lebendigen Raͤdern hernieder, mit Mengen von Augen</l><lb/> <l><note place="left">805</note>Gleichfalls bedeckt. Ein einziger Geiſt beſeelte ſie; ſchrecklich</l><lb/> <l>Wetterleuchtete jedes der Augen verderbendes Feuer</l><lb/> <l>Unter die ſtarren Verfluchten hinab. Wodurch ſie verwelket,</l><lb/> <l>Aller ehmaligen Staͤrke beraubt, und von Kraͤften erſchoͤpfet,</l><lb/> <l>Hinſanken, muthlos, entgeiſtert, daniedergeſchlagen, gefallen.</l><lb/> <l><note place="left">810</note>Und doch hatt’ er nicht halb ſich ſeiner Staͤrke gebrauchet,</l><lb/> <l>Sondern mitten im Flug den verderbenden Donner gedaͤmpfet,</l><lb/> <l>Weil er nicht ganz ſie zernichten, und nur aus den Graͤnzen des Himmels</l><lb/> <l>Sie hinaustreiben wollte. Er richtet die Niedergeſtuͤrzten</l><lb/> <l>Wiederum auf, und treibt ſie, dicht in einander gedraͤnget,</l><lb/> <l><note place="left">815</note>Wie eine Heerde furchtſamer Ziegen <note place="foot" n="d)">Es koͤmmt uns vielleicht beſon-<lb/> ders vor, daß Milton unter ſo viel er-<lb/><cb/> habenen Bildern ein ſo niedriges<lb/> Gleichniß braucht. Außerdem aber<lb/> daß Homer ſolches ſehr oft thut, ſo<lb/> kann Milton noch mehr entſchuldigt<lb/> werden, weil er es hier auf die gefall-<lb/> nen Engel anwendet. Je niedriger<lb/> die Vergleichung war, je mehr druͤckte<lb/> es ihren Umſturz aus.</note> und ſchuͤchterner Schaafe</l><lb/> <l>Donnerbetaͤubt vor ſich her, und mit Schrecken und Furien jagt er</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Auf</fw><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [263/0287]
Sechſter Geſang.
Fielen aus ihren Haͤnden. Er fuhr mit verderbenden Raͤdern
Ueber Schild’ und Helme, und uͤber gehelmte Haͤupter
Maͤchtiger Thronen und Seraphim her, die zu Boden geſtuͤrzet
Lagen, und wuͤnſchten, daß itzo die Berge ſie decken moͤchten
c),
Um ſie vor ſeinem Zorne zu ſchirmen. Von jedweder Seite
Fielen nicht minder ſtuͤrmiſche Pfeile, gleich einem Gewitter,
Von der vier Cherubim Antlitz, das ganz mit Augen beſaͤt war,
Und den lebendigen Raͤdern hernieder, mit Mengen von Augen
Gleichfalls bedeckt. Ein einziger Geiſt beſeelte ſie; ſchrecklich
Wetterleuchtete jedes der Augen verderbendes Feuer
Unter die ſtarren Verfluchten hinab. Wodurch ſie verwelket,
Aller ehmaligen Staͤrke beraubt, und von Kraͤften erſchoͤpfet,
Hinſanken, muthlos, entgeiſtert, daniedergeſchlagen, gefallen.
Und doch hatt’ er nicht halb ſich ſeiner Staͤrke gebrauchet,
Sondern mitten im Flug den verderbenden Donner gedaͤmpfet,
Weil er nicht ganz ſie zernichten, und nur aus den Graͤnzen des Himmels
Sie hinaustreiben wollte. Er richtet die Niedergeſtuͤrzten
Wiederum auf, und treibt ſie, dicht in einander gedraͤnget,
Wie eine Heerde furchtſamer Ziegen d) und ſchuͤchterner Schaafe
Donnerbetaͤubt vor ſich her, und mit Schrecken und Furien jagt er
Auf
c) Offenb. VI. 16. Sie ſprachen
zu den Bergen: Fallet auf uns
und verberget uns, vor dem An-
geſicht deß, der auf dem Stuhl
ſitzt. N.
d) Es koͤmmt uns vielleicht beſon-
ders vor, daß Milton unter ſo viel er-
habenen Bildern ein ſo niedriges
Gleichniß braucht. Außerdem aber
daß Homer ſolches ſehr oft thut, ſo
kann Milton noch mehr entſchuldigt
werden, weil er es hier auf die gefall-
nen Engel anwendet. Je niedriger
die Vergleichung war, je mehr druͤckte
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