Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760.Das verlohrne Paradies. 420Jhre Belohnung von allen, in feuchten aufsteigenden Dünsten,Und hält Abends ihr Mahl mit dem Ocean. -- Zwar in dem Himmel Tragen die Bäume des Lebens ambrosialische Früchte, Und der Weinstock reichet uns Nektar; mit jeglichem Morgen Streichen wir honigfließenden Thau von den Zweigen herunter, 425Und wir finden den Boden mit Perlenkörnern bedecket; Aber doch hat Gott auch hier mit so viel neuen Vergnügen Seine Gaben verändert, daß man gar wohl mit dem Himmel Sie vergleichen kann. Denke drum nicht, ich sey sie zu kosten Zu verwöhnt. -- So saßen sie nieder zu ihren Gerichten, 430Und der Engel aß auch; nicht nur dem Schein nach, im Nebel, Nach der grübelnden Glosse der Gottesgelehrten [Spaltenumbruch] u); nein, wirklich, Mit begierigem Hunger, und mit verzehrender Hitze, Was er aß, zu verwandeln; das übrige dunstet bey Geistern Unvermerkt aus. Kein Wunder, da durch das gröbere Feuer 435Schmutziger Kohlen der Alchimist die schlechtsten Metalle Jn vollkommnes Gold verwandelt; zum wenigsten glaubet, Daß nicht unmöglich es sey, es drein zu verwandeln. Jndessen Wartete Eva auf bey der Tafel, in nackender Schönheit, Und krönt ihre strömenden Becher mit lieblichem Tranke. 440O der Unschuld! des Paradieses so würdigen Unschuld! Da- u) Verschiedne Kirchenväter und
Gottesgelehrten der Alten waren der Meynung, daß die Engel niemals wirk- lich gegessen, sondern nur zu essen ge- schienen. Milton war hier un gegenthei- liger Meynung, und scheint er die Schrift vor sich zu haben. 1 B. Mos. [Spaltenumbruch] XVIII. und XIX. wo ausdrücklich ge- sagt wird, man setzte ihnen ein Mahl vor, und sie aßen. Man hat we- nigstens keinen Grund; dieses nicht eben sowohl als das übrige der Er- zehlung nach dem Buchstaben zu ver- stehen. N. Das verlohrne Paradies. 420Jhre Belohnung von allen, in feuchten aufſteigenden Duͤnſten,Und haͤlt Abends ihr Mahl mit dem Ocean. — Zwar in dem Himmel Tragen die Baͤume des Lebens ambroſialiſche Fruͤchte, Und der Weinſtock reichet uns Nektar; mit jeglichem Morgen Streichen wir honigfließenden Thau von den Zweigen herunter, 425Und wir finden den Boden mit Perlenkoͤrnern bedecket; Aber doch hat Gott auch hier mit ſo viel neuen Vergnuͤgen Seine Gaben veraͤndert, daß man gar wohl mit dem Himmel Sie vergleichen kann. Denke drum nicht, ich ſey ſie zu koſten Zu verwoͤhnt. — So ſaßen ſie nieder zu ihren Gerichten, 430Und der Engel aß auch; nicht nur dem Schein nach, im Nebel, Nach der gruͤbelnden Gloſſe der Gottesgelehrten [Spaltenumbruch] u); nein, wirklich, Mit begierigem Hunger, und mit verzehrender Hitze, Was er aß, zu verwandeln; das uͤbrige dunſtet bey Geiſtern Unvermerkt aus. Kein Wunder, da durch das groͤbere Feuer 435Schmutziger Kohlen der Alchimiſt die ſchlechtſten Metalle Jn vollkommnes Gold verwandelt; zum wenigſten glaubet, Daß nicht unmoͤglich es ſey, es drein zu verwandeln. Jndeſſen Wartete Eva auf bey der Tafel, in nackender Schoͤnheit, Und kroͤnt ihre ſtroͤmenden Becher mit lieblichem Tranke. 440O der Unſchuld! des Paradieſes ſo wuͤrdigen Unſchuld! Da- u) Verſchiedne Kirchenvaͤter und
Gottesgelehrten der Alten waren der Meynung, daß die Engel niemals wirk- lich gegeſſen, ſondern nur zu eſſen ge- ſchienen. Milton war hier un gegenthei- liger Meynung, und ſcheint er die Schrift vor ſich zu haben. 1 B. Moſ. [Spaltenumbruch] XVIII. und XIX. wo ausdruͤcklich ge- ſagt wird, man ſetzte ihnen ein Mahl vor, und ſie aßen. Man hat we- nigſtens keinen Grund; dieſes nicht eben ſowohl als das uͤbrige der Er- zehlung nach dem Buchſtaben zu ver- ſtehen. N. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <lg n="30"> <pb facs="#f0226" n="204"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Das verlohrne Paradies.</hi> </fw><lb/> <l><note place="left">420</note>Jhre Belohnung von allen, in feuchten aufſteigenden Duͤnſten,</l><lb/> <l>Und haͤlt Abends ihr Mahl mit dem Ocean. — Zwar in dem Himmel</l><lb/> <l>Tragen die Baͤume des Lebens ambroſialiſche Fruͤchte,</l><lb/> <l>Und der Weinſtock reichet uns Nektar; mit jeglichem Morgen</l><lb/> <l>Streichen wir honigfließenden Thau von den Zweigen herunter,</l><lb/> <l><note place="left">425</note>Und wir finden den Boden mit Perlenkoͤrnern bedecket;</l><lb/> <l>Aber doch hat Gott auch hier mit ſo viel neuen Vergnuͤgen</l><lb/> <l>Seine Gaben veraͤndert, daß man gar wohl mit dem Himmel</l><lb/> <l>Sie vergleichen kann. Denke drum nicht, ich ſey ſie zu koſten</l><lb/> <l>Zu verwoͤhnt. — So ſaßen ſie nieder zu ihren Gerichten,</l><lb/> <l><note place="left">430</note>Und der Engel aß auch; nicht nur dem Schein nach, im Nebel,</l><lb/> <l>Nach der gruͤbelnden Gloſſe der Gottesgelehrten <cb/> <note place="foot" n="u)">Verſchiedne Kirchenvaͤter und<lb/> Gottesgelehrten der Alten waren der<lb/> Meynung, daß die Engel niemals wirk-<lb/> lich gegeſſen, ſondern nur zu eſſen ge-<lb/> ſchienen. Milton war hier un gegenthei-<lb/> liger Meynung, und ſcheint er die<lb/> Schrift vor ſich zu haben. 1 B. Moſ.<lb/><cb/> <hi rendition="#aq">XVIII.</hi> und <hi rendition="#aq">XIX.</hi> wo ausdruͤcklich ge-<lb/> ſagt wird, man ſetzte ihnen ein Mahl<lb/> vor, und <hi rendition="#fr">ſie aßen.</hi> Man hat we-<lb/> nigſtens keinen Grund; dieſes nicht<lb/> eben ſowohl als das uͤbrige der Er-<lb/> zehlung nach dem Buchſtaben zu ver-<lb/> ſtehen. <hi rendition="#et"><hi rendition="#fr">N.</hi></hi></note>; nein, wirklich,</l><lb/> <l>Mit begierigem Hunger, und mit verzehrender Hitze,</l><lb/> <l>Was er aß, zu verwandeln; das uͤbrige dunſtet bey Geiſtern</l><lb/> <l>Unvermerkt aus. Kein Wunder, da durch das groͤbere Feuer</l><lb/> <l><note place="left">435</note>Schmutziger Kohlen der Alchimiſt die ſchlechtſten Metalle</l><lb/> <l>Jn vollkommnes Gold verwandelt; zum wenigſten glaubet,</l><lb/> <l>Daß nicht unmoͤglich es ſey, es drein zu verwandeln. Jndeſſen</l><lb/> <l>Wartete <hi rendition="#fr">Eva</hi> auf bey der Tafel, in nackender Schoͤnheit,</l><lb/> <l>Und kroͤnt ihre ſtroͤmenden Becher mit lieblichem Tranke.</l><lb/> <l><note place="left">440</note>O der Unſchuld! des Paradieſes ſo wuͤrdigen Unſchuld!</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Da-</fw><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [204/0226]
Das verlohrne Paradies.
Jhre Belohnung von allen, in feuchten aufſteigenden Duͤnſten,
Und haͤlt Abends ihr Mahl mit dem Ocean. — Zwar in dem Himmel
Tragen die Baͤume des Lebens ambroſialiſche Fruͤchte,
Und der Weinſtock reichet uns Nektar; mit jeglichem Morgen
Streichen wir honigfließenden Thau von den Zweigen herunter,
Und wir finden den Boden mit Perlenkoͤrnern bedecket;
Aber doch hat Gott auch hier mit ſo viel neuen Vergnuͤgen
Seine Gaben veraͤndert, daß man gar wohl mit dem Himmel
Sie vergleichen kann. Denke drum nicht, ich ſey ſie zu koſten
Zu verwoͤhnt. — So ſaßen ſie nieder zu ihren Gerichten,
Und der Engel aß auch; nicht nur dem Schein nach, im Nebel,
Nach der gruͤbelnden Gloſſe der Gottesgelehrten
u); nein, wirklich,
Mit begierigem Hunger, und mit verzehrender Hitze,
Was er aß, zu verwandeln; das uͤbrige dunſtet bey Geiſtern
Unvermerkt aus. Kein Wunder, da durch das groͤbere Feuer
Schmutziger Kohlen der Alchimiſt die ſchlechtſten Metalle
Jn vollkommnes Gold verwandelt; zum wenigſten glaubet,
Daß nicht unmoͤglich es ſey, es drein zu verwandeln. Jndeſſen
Wartete Eva auf bey der Tafel, in nackender Schoͤnheit,
Und kroͤnt ihre ſtroͤmenden Becher mit lieblichem Tranke.
O der Unſchuld! des Paradieſes ſo wuͤrdigen Unſchuld!
Da-
u) Verſchiedne Kirchenvaͤter und
Gottesgelehrten der Alten waren der
Meynung, daß die Engel niemals wirk-
lich gegeſſen, ſondern nur zu eſſen ge-
ſchienen. Milton war hier un gegenthei-
liger Meynung, und ſcheint er die
Schrift vor ſich zu haben. 1 B. Moſ.
XVIII. und XIX. wo ausdruͤcklich ge-
ſagt wird, man ſetzte ihnen ein Mahl
vor, und ſie aßen. Man hat we-
nigſtens keinen Grund; dieſes nicht
eben ſowohl als das uͤbrige der Er-
zehlung nach dem Buchſtaben zu ver-
ſtehen. N.
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