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Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760.

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Fünfter Gesang.
Seh ich dein Antlitz aufs neu, und die Rückkehr des Morgens! Jch träumte
30Diese Nacht, (und ich habe nie eine Nacht noch, wie diese,
Hingebracht;) finster träumt' ich, wofern es anders geträumt war,
Nicht, so wie ich gewohnt bin, von dir, noch von den Geschäften
Des verflossenen Tages; noch von des künftigen Morgens
Arbeiten; sondern von Harm und Beleidigung, wovon ich vor dieser
35Unglückseeligen Nacht nichts gewußt. Es dünkte mich, jemand
Rufte mir nah an meinem Ohre mit freundlicher Stimme,
Mit ihm zu gehn; ich hielt sie für deine Stimme; sie sagte:
Warum schläfst du, Eva? Jtzt sind die Stunden am schönsten,
Und am kühlsten, am stillsten; bloß da nicht, wo horchend die Stille
40Vor der nächtlichen Sängerinn weicht, die wachend ihr süßtes
Liebebegeistertes Lied itzt tönen läßt; itzo regieret
Durch die Himmel der volle Mond; die Fläche der Dinge
Zeigt er im sanfteren Schatten mit angenehmerem Lichte.
Aber vergebens, wenn niemand es sieht. Es wachet der Himmel
45Jtzt mit allen Augen, wen sonst, als dich, zu betrachten,
Dich, den Wunsch der Natur, bey deren himmlischem Anblick
Alle Dinge sich freuen, und, voll vom mächtgen Entzücken,
Angezogen durch deine Schönheit, ohn' Aufhören schauen,
Als ob deine Stimme gerufen, erhub ich mich; aber
50Fand dich nicht, und verfolgte drum meinen Pfad, dich zu finden.
Und ich gieng, wie mich dünkt, allein, und auf Wegen, die plötzlich
Zu dem Baum der verbotnen Erkenntniß mich brachten. Er schien mir
Schön, und meiner Einbildungskraft viel schöner noch, als er
Mir bey Tage geschienen. Jndem ich ihn wundernd betrachte,

Stand
A a

Fuͤnfter Geſang.
Seh ich dein Antlitz aufs neu, und die Ruͤckkehr des Morgens! Jch traͤumte
30Dieſe Nacht, (und ich habe nie eine Nacht noch, wie dieſe,
Hingebracht;) finſter traͤumt’ ich, wofern es anders getraͤumt war,
Nicht, ſo wie ich gewohnt bin, von dir, noch von den Geſchaͤften
Des verfloſſenen Tages; noch von des kuͤnftigen Morgens
Arbeiten; ſondern von Harm und Beleidigung, wovon ich vor dieſer
35Ungluͤckſeeligen Nacht nichts gewußt. Es duͤnkte mich, jemand
Rufte mir nah an meinem Ohre mit freundlicher Stimme,
Mit ihm zu gehn; ich hielt ſie fuͤr deine Stimme; ſie ſagte:
Warum ſchlaͤfſt du, Eva? Jtzt ſind die Stunden am ſchoͤnſten,
Und am kuͤhlſten, am ſtillſten; bloß da nicht, wo horchend die Stille
40Vor der naͤchtlichen Saͤngerinn weicht, die wachend ihr ſuͤßtes
Liebebegeiſtertes Lied itzt toͤnen laͤßt; itzo regieret
Durch die Himmel der volle Mond; die Flaͤche der Dinge
Zeigt er im ſanfteren Schatten mit angenehmerem Lichte.
Aber vergebens, wenn niemand es ſieht. Es wachet der Himmel
45Jtzt mit allen Augen, wen ſonſt, als dich, zu betrachten,
Dich, den Wunſch der Natur, bey deren himmliſchem Anblick
Alle Dinge ſich freuen, und, voll vom maͤchtgen Entzuͤcken,
Angezogen durch deine Schoͤnheit, ohn’ Aufhoͤren ſchauen,
Als ob deine Stimme gerufen, erhub ich mich; aber
50Fand dich nicht, und verfolgte drum meinen Pfad, dich zu finden.
Und ich gieng, wie mich duͤnkt, allein, und auf Wegen, die ploͤtzlich
Zu dem Baum der verbotnen Erkenntniß mich brachten. Er ſchien mir
Schoͤn, und meiner Einbildungskraft viel ſchoͤner noch, als er
Mir bey Tage geſchienen. Jndem ich ihn wundernd betrachte,

Stand
A a
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[185/0207] Fuͤnfter Geſang. Seh ich dein Antlitz aufs neu, und die Ruͤckkehr des Morgens! Jch traͤumte Dieſe Nacht, (und ich habe nie eine Nacht noch, wie dieſe, Hingebracht;) finſter traͤumt’ ich, wofern es anders getraͤumt war, Nicht, ſo wie ich gewohnt bin, von dir, noch von den Geſchaͤften Des verfloſſenen Tages; noch von des kuͤnftigen Morgens Arbeiten; ſondern von Harm und Beleidigung, wovon ich vor dieſer Ungluͤckſeeligen Nacht nichts gewußt. Es duͤnkte mich, jemand Rufte mir nah an meinem Ohre mit freundlicher Stimme, Mit ihm zu gehn; ich hielt ſie fuͤr deine Stimme; ſie ſagte: Warum ſchlaͤfſt du, Eva? Jtzt ſind die Stunden am ſchoͤnſten, Und am kuͤhlſten, am ſtillſten; bloß da nicht, wo horchend die Stille Vor der naͤchtlichen Saͤngerinn weicht, die wachend ihr ſuͤßtes Liebebegeiſtertes Lied itzt toͤnen laͤßt; itzo regieret Durch die Himmel der volle Mond; die Flaͤche der Dinge Zeigt er im ſanfteren Schatten mit angenehmerem Lichte. Aber vergebens, wenn niemand es ſieht. Es wachet der Himmel Jtzt mit allen Augen, wen ſonſt, als dich, zu betrachten, Dich, den Wunſch der Natur, bey deren himmliſchem Anblick Alle Dinge ſich freuen, und, voll vom maͤchtgen Entzuͤcken, Angezogen durch deine Schoͤnheit, ohn’ Aufhoͤren ſchauen, Als ob deine Stimme gerufen, erhub ich mich; aber Fand dich nicht, und verfolgte drum meinen Pfad, dich zu finden. Und ich gieng, wie mich duͤnkt, allein, und auf Wegen, die ploͤtzlich Zu dem Baum der verbotnen Erkenntniß mich brachten. Er ſchien mir Schoͤn, und meiner Einbildungskraft viel ſchoͤner noch, als er Mir bey Tage geſchienen. Jndem ich ihn wundernd betrachte, Stand A a

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Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/207>, abgerufen am 23.11.2024.