Geh! Leb als Christ! und duld als Mann! Und blick ins beßre Leben!
Jch würde hier in Jngolstadt unzufrieden seyn, wenn ich auch ein gesunderes Herz mitgebracht hät- te. Die Lage des Orts ist verdrüßlich und ber- gicht. Jn der Stadt sind lauter Misthaufen. Wir sind bisher immer in stinkende und ungesunde Ne- bel eingehüllt gewesen. Man soll leicht Krankhei- ten davon kriegen. Das wäre noch das beste, wenn mich eine suchen, und es enden mit mir wollte! Aber man sagt, der Tod sey der Unglückli- chen Freund nicht. Die Gesellschaften unter den Studenten hier sind ekel, elend und mehr als ein- schläfernd. Die Leute können kaum deutsch. Er- bärmliches Küchenlatein wird überall gesprochen. Laß dichs ja nicht merken, wenn Du hier bist, daß Du deutsche Verse, noch weniger von einem Pro- testanten lesest. Dieß wäre schon genug, Dich lä- cherlich zu machen, und zum Ketzer. Jch wäre bald um meine deutsche Bücher und um meinen Klopstock gekommen. Ein Student, der mich be- suchte, sah, daß vorn' auf dem Titel: Halle stand. Das ist ja wohl bey den Ketzern, sagte er. Ja, antwortete ich, Halle ist ein protestantischer Ort im Preussischen. -- So lassen Sie ja das Buch nicht
Geh! Leb als Chriſt! und duld als Mann! Und blick ins beßre Leben!
Jch wuͤrde hier in Jngolſtadt unzufrieden ſeyn, wenn ich auch ein geſunderes Herz mitgebracht haͤt- te. Die Lage des Orts iſt verdruͤßlich und ber- gicht. Jn der Stadt ſind lauter Miſthaufen. Wir ſind bisher immer in ſtinkende und ungeſunde Ne- bel eingehuͤllt geweſen. Man ſoll leicht Krankhei- ten davon kriegen. Das waͤre noch das beſte, wenn mich eine ſuchen, und es enden mit mir wollte! Aber man ſagt, der Tod ſey der Ungluͤckli- chen Freund nicht. Die Geſellſchaften unter den Studenten hier ſind ekel, elend und mehr als ein- ſchlaͤfernd. Die Leute koͤnnen kaum deutſch. Er- baͤrmliches Kuͤchenlatein wird uͤberall geſprochen. Laß dichs ja nicht merken, wenn Du hier biſt, daß Du deutſche Verſe, noch weniger von einem Pro- teſtanten leſeſt. Dieß waͤre ſchon genug, Dich laͤ- cherlich zu machen, und zum Ketzer. Jch waͤre bald um meine deutſche Buͤcher und um meinen Klopſtock gekommen. Ein Student, der mich be- ſuchte, ſah, daß vorn’ auf dem Titel: Halle ſtand. Das iſt ja wohl bey den Ketzern, ſagte er. Ja, antwortete ich, Halle iſt ein proteſtantiſcher Ort im Preuſſiſchen. — So laſſen Sie ja das Buch nicht
<TEI><text><body><divn="1"><p><floatingText><body><divtype="letter"><p><pbfacs="#f0065"n="485"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><lgtype="poem"><l>Geh! Leb als Chriſt! und duld als Mann!</l><lb/><l>Und blick ins beßre Leben!</l></lg></p><lb/><p>Jch wuͤrde hier in Jngolſtadt unzufrieden ſeyn,<lb/>
wenn ich auch ein geſunderes Herz mitgebracht haͤt-<lb/>
te. Die Lage des Orts iſt verdruͤßlich und ber-<lb/>
gicht. Jn der Stadt ſind lauter Miſthaufen. Wir<lb/>ſind bisher immer in ſtinkende und ungeſunde Ne-<lb/>
bel eingehuͤllt geweſen. Man ſoll leicht Krankhei-<lb/>
ten davon kriegen. Das waͤre noch das beſte,<lb/>
wenn mich eine ſuchen, und es enden mit mir<lb/>
wollte! Aber man ſagt, der Tod ſey der Ungluͤckli-<lb/>
chen Freund nicht. Die Geſellſchaften unter den<lb/>
Studenten hier ſind ekel, elend und mehr als ein-<lb/>ſchlaͤfernd. Die Leute koͤnnen kaum deutſch. Er-<lb/>
baͤrmliches Kuͤchenlatein wird uͤberall geſprochen.<lb/>
Laß dichs ja nicht merken, wenn Du hier biſt, daß<lb/>
Du deutſche Verſe, noch weniger von einem Pro-<lb/>
teſtanten leſeſt. Dieß waͤre ſchon genug, Dich laͤ-<lb/>
cherlich zu machen, und zum Ketzer. Jch waͤre<lb/>
bald um meine deutſche Buͤcher und um meinen<lb/>
Klopſtock gekommen. Ein Student, der mich be-<lb/>ſuchte, ſah, daß vorn’ auf dem Titel: <hirendition="#fr">Halle</hi>ſtand.<lb/>
Das iſt ja wohl bey den Ketzern, ſagte er. Ja,<lb/>
antwortete ich, <hirendition="#fr">Halle</hi> iſt ein proteſtantiſcher Ort im<lb/>
Preuſſiſchen. — So laſſen Sie ja das Buch nicht<lb/></p></div></body></floatingText></p></div></body></text></TEI>
[485/0065]
Geh! Leb als Chriſt! und duld als Mann!
Und blick ins beßre Leben!
Jch wuͤrde hier in Jngolſtadt unzufrieden ſeyn,
wenn ich auch ein geſunderes Herz mitgebracht haͤt-
te. Die Lage des Orts iſt verdruͤßlich und ber-
gicht. Jn der Stadt ſind lauter Miſthaufen. Wir
ſind bisher immer in ſtinkende und ungeſunde Ne-
bel eingehuͤllt geweſen. Man ſoll leicht Krankhei-
ten davon kriegen. Das waͤre noch das beſte,
wenn mich eine ſuchen, und es enden mit mir
wollte! Aber man ſagt, der Tod ſey der Ungluͤckli-
chen Freund nicht. Die Geſellſchaften unter den
Studenten hier ſind ekel, elend und mehr als ein-
ſchlaͤfernd. Die Leute koͤnnen kaum deutſch. Er-
baͤrmliches Kuͤchenlatein wird uͤberall geſprochen.
Laß dichs ja nicht merken, wenn Du hier biſt, daß
Du deutſche Verſe, noch weniger von einem Pro-
teſtanten leſeſt. Dieß waͤre ſchon genug, Dich laͤ-
cherlich zu machen, und zum Ketzer. Jch waͤre
bald um meine deutſche Buͤcher und um meinen
Klopſtock gekommen. Ein Student, der mich be-
ſuchte, ſah, daß vorn’ auf dem Titel: Halle ſtand.
Das iſt ja wohl bey den Ketzern, ſagte er. Ja,
antwortete ich, Halle iſt ein proteſtantiſcher Ort im
Preuſſiſchen. — So laſſen Sie ja das Buch nicht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 485. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/65>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.