Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.herum standen. Als man der Kranken sagte, der Beichtvater sey da, so verlangte sie zu beichten; die anderu Nonnen giengen also weg, nachdem sie erst eine düstre Lampe auf den in der Ecke der Zelle stehenden Tisch gesetzt hatten. Siegwart setzte sich zu ihr ans Bette, um die Beichte zu hören. Der Ton ihrer Stimme schien ihm bekannt zu seyn. -- Gott im Himmel! Es war Marianens Stimme! Mariane war die Nonne! -- Mit einem lauten Schrey, und dann sprachlos stürzte er über sie her, und hielt sie fest in seinen Armen. -- Erst nach einer Viertelstunde kam er wieder zu sich selber. Bist dus? Bist dus? rief er. -- Mit gebroche- ner Stimme sagte sie: Siegwart! Jch bin Ma- riane... Lebst du noch? -- -- Er taumelte auf, nahm die Lampe, hielt sie ihr vors Gesicht. Es war Mariane, todtenbleich, und abgezehrt. Auf ihrer Brust lag das weisse Schnupftuch, mit dem Blutfleck von seiner Wunde. Sie schlug ihr mattes Aug auf, und sah ihn an. Er ließ die Lam- pe fallen, und stürzte wieder über sie her. -- -- Man hat dich getäuscht, sagte sie, in Marien- feld -- -- ich war nicht gestorben -- -- -- hier lies! .. (Jndem sie aus ihrem Busen etlich versiegelte Blätter langte, und ihm gab.) ... herum ſtanden. Als man der Kranken ſagte, der Beichtvater ſey da, ſo verlangte ſie zu beichten; die anderu Nonnen giengen alſo weg, nachdem ſie erſt eine duͤſtre Lampe auf den in der Ecke der Zelle ſtehenden Tiſch geſetzt hatten. Siegwart ſetzte ſich zu ihr ans Bette, um die Beichte zu hoͤren. Der Ton ihrer Stimme ſchien ihm bekannt zu ſeyn. — Gott im Himmel! Es war Marianens Stimme! Mariane war die Nonne! — Mit einem lauten Schrey, und dann ſprachlos ſtuͤrzte er uͤber ſie her, und hielt ſie feſt in ſeinen Armen. — Erſt nach einer Viertelſtunde kam er wieder zu ſich ſelber. Biſt dus? Biſt dus? rief er. — Mit gebroche- ner Stimme ſagte ſie: Siegwart! Jch bin Ma- riane… Lebſt du noch? — — Er taumelte auf, nahm die Lampe, hielt ſie ihr vors Geſicht. Es war Mariane, todtenbleich, und abgezehrt. Auf ihrer Bruſt lag das weiſſe Schnupftuch, mit dem Blutfleck von ſeiner Wunde. Sie ſchlug ihr mattes Aug auf, und ſah ihn an. Er ließ die Lam- pe fallen, und ſtuͤrzte wieder uͤber ſie her. — — Man hat dich getaͤuſcht, ſagte ſie, in Marien- feld — — ich war nicht geſtorben — — — hier lies! .. (Jndem ſie aus ihrem Buſen etlich verſiegelte Blaͤtter langte, und ihm gab.) … <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0642" n="1062"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> herum ſtanden. Als man der Kranken ſagte, der<lb/> Beichtvater ſey da, ſo verlangte ſie zu beichten;<lb/> die anderu Nonnen giengen alſo weg, nachdem ſie<lb/> erſt eine duͤſtre Lampe auf den in der Ecke der Zelle<lb/> ſtehenden Tiſch geſetzt hatten. Siegwart ſetzte ſich<lb/> zu ihr ans Bette, um die Beichte zu hoͤren. Der<lb/> Ton ihrer Stimme ſchien ihm bekannt zu ſeyn. —<lb/> Gott im Himmel! Es war Marianens Stimme!<lb/> Mariane war die Nonne! — Mit einem lauten<lb/> Schrey, und dann ſprachlos ſtuͤrzte er uͤber ſie her,<lb/> und hielt ſie feſt in ſeinen Armen. — Erſt nach<lb/> einer Viertelſtunde kam er wieder zu ſich ſelber.<lb/> Biſt dus? Biſt dus? rief er. — Mit gebroche-<lb/> ner Stimme ſagte ſie: Siegwart! Jch bin Ma-<lb/> riane… Lebſt du noch? — — Er taumelte<lb/> auf, nahm die Lampe, hielt ſie ihr vors Geſicht.<lb/> Es war Mariane, todtenbleich, und abgezehrt.<lb/> Auf ihrer Bruſt lag das weiſſe Schnupftuch, mit<lb/> dem Blutfleck von ſeiner Wunde. Sie ſchlug ihr<lb/> mattes Aug auf, und ſah ihn an. Er ließ die Lam-<lb/> pe fallen, und ſtuͤrzte wieder uͤber ſie her. — —<lb/> Man hat dich getaͤuſcht, ſagte ſie, in Marien-<lb/> feld — — ich war nicht geſtorben — — —<lb/> hier lies! .. (Jndem ſie aus ihrem Buſen etlich<lb/> verſiegelte Blaͤtter langte, und ihm gab.) …<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [1062/0642]
herum ſtanden. Als man der Kranken ſagte, der
Beichtvater ſey da, ſo verlangte ſie zu beichten;
die anderu Nonnen giengen alſo weg, nachdem ſie
erſt eine duͤſtre Lampe auf den in der Ecke der Zelle
ſtehenden Tiſch geſetzt hatten. Siegwart ſetzte ſich
zu ihr ans Bette, um die Beichte zu hoͤren. Der
Ton ihrer Stimme ſchien ihm bekannt zu ſeyn. —
Gott im Himmel! Es war Marianens Stimme!
Mariane war die Nonne! — Mit einem lauten
Schrey, und dann ſprachlos ſtuͤrzte er uͤber ſie her,
und hielt ſie feſt in ſeinen Armen. — Erſt nach
einer Viertelſtunde kam er wieder zu ſich ſelber.
Biſt dus? Biſt dus? rief er. — Mit gebroche-
ner Stimme ſagte ſie: Siegwart! Jch bin Ma-
riane… Lebſt du noch? — — Er taumelte
auf, nahm die Lampe, hielt ſie ihr vors Geſicht.
Es war Mariane, todtenbleich, und abgezehrt.
Auf ihrer Bruſt lag das weiſſe Schnupftuch, mit
dem Blutfleck von ſeiner Wunde. Sie ſchlug ihr
mattes Aug auf, und ſah ihn an. Er ließ die Lam-
pe fallen, und ſtuͤrzte wieder uͤber ſie her. — —
Man hat dich getaͤuſcht, ſagte ſie, in Marien-
feld — — ich war nicht geſtorben — — —
hier lies! .. (Jndem ſie aus ihrem Buſen etlich
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Zitationshilfe: | Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 1062. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/642>, abgerufen am 17.07.2024. |