te dieses wohl; weil er aber sich seiner Unschuld bewußt war, so blieb er darüber ruhig, und ver- galt seinen Brüdern ihre boshaften Künste mit Freundschaft und ungeheuchelter Liebe.
Der zweyte Winter und der Frühling waren ihm nun auch dahin geschlichen. Seine Traurig- keit um Marianen war nun eine stille Melancho- lie geworden, die ihn zwar nie verließ, die aber doch unmerklicher geworden war, und seltner in laute Klagen ausbrach. Er trug den Tod in sei- nem Busen, wo er, wie der Wurm in einer Ro- se, immer weiter um sich fraß. Seine Kräfte nahmen allmählich ab; nur seine strenge Diät, und die, immer einförmige Lebensart erhielten noch den Körper aufrecht, daß er nicht auf Ein- mal hinsank. Noch ein paarmal war er bey sei- nem Kronhelm und bey seiner Therese gewesen. Die beyden lieben Seelen waren ausserordentlich glücklich. Therese hatte ihrem Kronhelm nun auch noch ein Mädchen, das ihr Ebenbild war, und auch Therese hieß, gebohren. Der kleine Wilhelm fieng schon an, Worte zu stammeln, und machte durch seine Liebkosungen, und durch seine unschuldige Fragen seinen Eltern tausend Freude. Kronhelm und Therese liebten sich noch wie am er-
te dieſes wohl; weil er aber ſich ſeiner Unſchuld bewußt war, ſo blieb er daruͤber ruhig, und ver- galt ſeinen Bruͤdern ihre boshaften Kuͤnſte mit Freundſchaft und ungeheuchelter Liebe.
Der zweyte Winter und der Fruͤhling waren ihm nun auch dahin geſchlichen. Seine Traurig- keit um Marianen war nun eine ſtille Melancho- lie geworden, die ihn zwar nie verließ, die aber doch unmerklicher geworden war, und ſeltner in laute Klagen ausbrach. Er trug den Tod in ſei- nem Buſen, wo er, wie der Wurm in einer Ro- ſe, immer weiter um ſich fraß. Seine Kraͤfte nahmen allmaͤhlich ab; nur ſeine ſtrenge Diaͤt, und die, immer einfoͤrmige Lebensart erhielten noch den Koͤrper aufrecht, daß er nicht auf Ein- mal hinſank. Noch ein paarmal war er bey ſei- nem Kronhelm und bey ſeiner Thereſe geweſen. Die beyden lieben Seelen waren auſſerordentlich gluͤcklich. Thereſe hatte ihrem Kronhelm nun auch noch ein Maͤdchen, das ihr Ebenbild war, und auch Thereſe hieß, gebohren. Der kleine Wilhelm fieng ſchon an, Worte zu ſtammeln, und machte durch ſeine Liebkoſungen, und durch ſeine unſchuldige Fragen ſeinen Eltern tauſend Freude. Kronhelm und Thereſe liebten ſich noch wie am er-
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te dieſes wohl; weil er aber ſich ſeiner Unſchuld
bewußt war, ſo blieb er daruͤber ruhig, und ver-
galt ſeinen Bruͤdern ihre boshaften Kuͤnſte mit
Freundſchaft und ungeheuchelter Liebe.
Der zweyte Winter und der Fruͤhling waren
ihm nun auch dahin geſchlichen. Seine Traurig-
keit um Marianen war nun eine ſtille Melancho-
lie geworden, die ihn zwar nie verließ, die aber
doch unmerklicher geworden war, und ſeltner in
laute Klagen ausbrach. Er trug den Tod in ſei-
nem Buſen, wo er, wie der Wurm in einer Ro-
ſe, immer weiter um ſich fraß. Seine Kraͤfte
nahmen allmaͤhlich ab; nur ſeine ſtrenge Diaͤt,
und die, immer einfoͤrmige Lebensart erhielten
noch den Koͤrper aufrecht, daß er nicht auf Ein-
mal hinſank. Noch ein paarmal war er bey ſei-
nem Kronhelm und bey ſeiner Thereſe geweſen.
Die beyden lieben Seelen waren auſſerordentlich
gluͤcklich. Thereſe hatte ihrem Kronhelm nun
auch noch ein Maͤdchen, das ihr Ebenbild war,
und auch Thereſe hieß, gebohren. Der kleine
Wilhelm fieng ſchon an, Worte zu ſtammeln, und
machte durch ſeine Liebkoſungen, und durch ſeine
unſchuldige Fragen ſeinen Eltern tauſend Freude.
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 1055. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/635>, abgerufen am 28.11.2024.
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