ward fast bis zum Anschauen überzeugt, daß Gott den Menschen nur eine Zeitlang für die Leiden, nach diesen aber für ein ewig glückliches und ruhi- ges Leben geschaffen habe. Und dann dankte er Gott für sein Daseyn, auch sogar für seine Leiden. Aber freylich sind diese Stunden der heitersten und zuverläßigsten Gewißheit bey dem Menschen, dem sein Körper alle Augenblicke dran erinnert, daß er noch auf der Welt ist, selten. Oft konnte er ganze Tage lang nichts denken, als die Trennung von seiner Mariane, ohne die Wonne des Wiederse- hens, und der Wiedervereinigung zu fühlen, und diese Tage waren ihm die traurigsten und bäng- sten. --
Sein Andenken an Marianen und der damit verbundne Schmerz wachte wieder neu auf, als man bey folgender Veranlassung einige Tage lang im Kloster von nichts als von Nonnen sprach. Man hatte nehmlich etlich Nächte vorher am Him- mel eine starke Röthe, als das Zeichen einer grossen Feuersbrunst, wahrgenommen. Zwey Tage drauf kam die Nachricht, daß in Adlingen, einem acht Stunden weit entfernten Nonnenkloster, ein hefti- ges Feuer ausgebrochen sey, daß das ganze Gebäude in die Asche gelegt habe. Die Nonnen flüchteten
ward faſt bis zum Anſchauen uͤberzeugt, daß Gott den Menſchen nur eine Zeitlang fuͤr die Leiden, nach dieſen aber fuͤr ein ewig gluͤckliches und ruhi- ges Leben geſchaffen habe. Und dann dankte er Gott fuͤr ſein Daſeyn, auch ſogar fuͤr ſeine Leiden. Aber freylich ſind dieſe Stunden der heiterſten und zuverlaͤßigſten Gewißheit bey dem Menſchen, dem ſein Koͤrper alle Augenblicke dran erinnert, daß er noch auf der Welt iſt, ſelten. Oft konnte er ganze Tage lang nichts denken, als die Trennung von ſeiner Mariane, ohne die Wonne des Wiederſe- hens, und der Wiedervereinigung zu fuͤhlen, und dieſe Tage waren ihm die traurigſten und baͤng- ſten. —
Sein Andenken an Marianen und der damit verbundne Schmerz wachte wieder neu auf, als man bey folgender Veranlaſſung einige Tage lang im Kloſter von nichts als von Nonnen ſprach. Man hatte nehmlich etlich Naͤchte vorher am Him- mel eine ſtarke Roͤthe, als das Zeichen einer groſſen Feuersbrunſt, wahrgenommen. Zwey Tage drauf kam die Nachricht, daß in Adlingen, einem acht Stunden weit entfernten Nonnenkloſter, ein hefti- ges Feuer ausgebrochen ſey, daß das ganze Gebaͤude in die Aſche gelegt habe. Die Nonnen fluͤchteten
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den Menſchen nur eine Zeitlang fuͤr die Leiden,
nach dieſen aber fuͤr ein ewig gluͤckliches und ruhi-
ges Leben geſchaffen habe. Und dann dankte er
Gott fuͤr ſein Daſeyn, auch ſogar fuͤr ſeine Leiden.
Aber freylich ſind dieſe Stunden der heiterſten und
zuverlaͤßigſten Gewißheit bey dem Menſchen, dem
ſein Koͤrper alle Augenblicke dran erinnert, daß
er noch auf der Welt iſt, ſelten. Oft konnte er
ganze Tage lang nichts denken, als die Trennung
von ſeiner Mariane, ohne die Wonne des Wiederſe-
hens, und der Wiedervereinigung zu fuͤhlen, und
dieſe Tage waren ihm die traurigſten und baͤng-
ſten. —
Sein Andenken an Marianen und der damit
verbundne Schmerz wachte wieder neu auf, als
man bey folgender Veranlaſſung einige Tage lang
im Kloſter von nichts als von Nonnen ſprach.
Man hatte nehmlich etlich Naͤchte vorher am Him-
mel eine ſtarke Roͤthe, als das Zeichen einer groſſen
Feuersbrunſt, wahrgenommen. Zwey Tage drauf
kam die Nachricht, daß in Adlingen, einem acht
Stunden weit entfernten Nonnenkloſter, ein hefti-
ges Feuer ausgebrochen ſey, daß das ganze Gebaͤude
in die Aſche gelegt habe. Die Nonnen fluͤchteten
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 1046. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/626>, abgerufen am 24.11.2024.
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