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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Er ward auch auf die Vermählung des braven
Rothfels mit der Schwester Kronhelms geladen,
aber er kam nicht, und schrieb ihnen:

Laßt mich, lieben Freunde, in der Zelle mei-
ner Leiden! Bittet man den Tod zu Gast beym
Freudenmahl? Soll mein Anblick Euch erinnern
an die Stunde Eurer Trennung, und daß alle
Freuden dieses Lebens nichts sind? Jch will Gott
flehn, daß er Euren Blick nicht dringen lasse in
die Zukunft! Daß ihr nur die Blumen, die der
Frühling darreicht, aufkeimen, und nicht sterben
seht! Flechtet keinen Kranz von Blumen, denn sie
welken, eh der Abend anbricht! Hier schick ich Euch
einen Kranz von Jmmergrün! Er vergeht auch,
aber später, als die Blumen. Wenn es Ruhe
gibt, und Glück, so fleh ichs Euch von Gott
herab. --

Sein Schmerz ward immer düsterer und stum-
mer. Anton wars fast allein, mit dem er sprach.
Sein Leben war eine beständige Andacht, und da-
bey war er am heitersten, denn sein Blick drang
immer schärser in das Leben jenseits des Grabes.
Oft weinte er Freudenthränen, wenn er im zuver-
sichtlichsten Vertrauen sein nahes Ende sah. Er
fühlte die Gegenwart Gottes aufs lebendigste, und



Er ward auch auf die Vermaͤhlung des braven
Rothfels mit der Schweſter Kronhelms geladen,
aber er kam nicht, und ſchrieb ihnen:

Laßt mich, lieben Freunde, in der Zelle mei-
ner Leiden! Bittet man den Tod zu Gaſt beym
Freudenmahl? Soll mein Anblick Euch erinnern
an die Stunde Eurer Trennung, und daß alle
Freuden dieſes Lebens nichts ſind? Jch will Gott
flehn, daß er Euren Blick nicht dringen laſſe in
die Zukunft! Daß ihr nur die Blumen, die der
Fruͤhling darreicht, aufkeimen, und nicht ſterben
ſeht! Flechtet keinen Kranz von Blumen, denn ſie
welken, eh der Abend anbricht! Hier ſchick ich Euch
einen Kranz von Jmmergruͤn! Er vergeht auch,
aber ſpaͤter, als die Blumen. Wenn es Ruhe
gibt, und Gluͤck, ſo fleh ichs Euch von Gott
herab. —

Sein Schmerz ward immer duͤſterer und ſtum-
mer. Anton wars faſt allein, mit dem er ſprach.
Sein Leben war eine beſtaͤndige Andacht, und da-
bey war er am heiterſten, denn ſein Blick drang
immer ſchaͤrſer in das Leben jenſeits des Grabes.
Oft weinte er Freudenthraͤnen, wenn er im zuver-
ſichtlichſten Vertrauen ſein nahes Ende ſah. Er
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[1045/0625] Er ward auch auf die Vermaͤhlung des braven Rothfels mit der Schweſter Kronhelms geladen, aber er kam nicht, und ſchrieb ihnen: Laßt mich, lieben Freunde, in der Zelle mei- ner Leiden! Bittet man den Tod zu Gaſt beym Freudenmahl? Soll mein Anblick Euch erinnern an die Stunde Eurer Trennung, und daß alle Freuden dieſes Lebens nichts ſind? Jch will Gott flehn, daß er Euren Blick nicht dringen laſſe in die Zukunft! Daß ihr nur die Blumen, die der Fruͤhling darreicht, aufkeimen, und nicht ſterben ſeht! Flechtet keinen Kranz von Blumen, denn ſie welken, eh der Abend anbricht! Hier ſchick ich Euch einen Kranz von Jmmergruͤn! Er vergeht auch, aber ſpaͤter, als die Blumen. Wenn es Ruhe gibt, und Gluͤck, ſo fleh ichs Euch von Gott herab. — Sein Schmerz ward immer duͤſterer und ſtum- mer. Anton wars faſt allein, mit dem er ſprach. Sein Leben war eine beſtaͤndige Andacht, und da- bey war er am heiterſten, denn ſein Blick drang immer ſchaͤrſer in das Leben jenſeits des Grabes. Oft weinte er Freudenthraͤnen, wenn er im zuver- ſichtlichſten Vertrauen ſein nahes Ende ſah. Er fuͤhlte die Gegenwart Gottes aufs lebendigſte, und

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 1045. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/625>, abgerufen am 24.11.2024.