Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.Frühling, und die wieder auflebende Natur, die sein Herz sonst immer mit |neuer Wonne angefrischt hatte. Statt der Freude, die der Frühling jeder jugendlichen Seele, auch sogar dem Alter bringt, brachte er ihm nichts als Seufzer, ängstliches Schmachten, und wehmüthige Wiedererinnerung an den verblühten Frühling seines Lebens, und die ehemaligen Freuden und süssen Schmerzen seiner unglücklichen Liebe. Er gieng kalt und fühllos, oder weinend auf beblümten Wiesen und zwischen blü- henden Fruchtbäumen hin; die Nachtigall sang ihm Grablieder; er sah aus den Blüthen Tod hervor- keimen, wenn er ihre kleinen Blätter, vom Wind abgeschüttelt, haufenweise, wie Schnee herabsin- ken sah; er legte sich unter die Kirschbäume, ließ von den Blüthen sich bedecken, und dachte: stürb' ich doch auch mit ihnen! Wenn er auf der Wiese einen Haufen Blumen bey einander stehen sah, so erhub sich ein Sehnen in seiner Brust, unter die Blumen sich zu legen, und zu sterben. Sein Blick war immer mehr zum Himmel gekehrt, als auf die Erde; wenn er hörte, daß ein Mensch gestorben sey, so pries er ihn glücklich, und wünschte sich an seine Stelle. Wenn ihn Pater Anton Abends nicht im Garten antraf, so suchte er ihn aus dem Gottesacker, Fruͤhling, und die wieder auflebende Natur, die ſein Herz ſonſt immer mit |neuer Wonne angefriſcht hatte. Statt der Freude, die der Fruͤhling jeder jugendlichen Seele, auch ſogar dem Alter bringt, brachte er ihm nichts als Seufzer, aͤngſtliches Schmachten, und wehmuͤthige Wiedererinnerung an den verbluͤhten Fruͤhling ſeines Lebens, und die ehemaligen Freuden und ſuͤſſen Schmerzen ſeiner ungluͤcklichen Liebe. Er gieng kalt und fuͤhllos, oder weinend auf bebluͤmten Wieſen und zwiſchen bluͤ- henden Fruchtbaͤumen hin; die Nachtigall ſang ihm Grablieder; er ſah aus den Bluͤthen Tod hervor- keimen, wenn er ihre kleinen Blaͤtter, vom Wind abgeſchuͤttelt, haufenweiſe, wie Schnee herabſin- ken ſah; er legte ſich unter die Kirſchbaͤume, ließ von den Bluͤthen ſich bedecken, und dachte: ſtuͤrb’ ich doch auch mit ihnen! Wenn er auf der Wieſe einen Haufen Blumen bey einander ſtehen ſah, ſo erhub ſich ein Sehnen in ſeiner Bruſt, unter die Blumen ſich zu legen, und zu ſterben. Sein Blick war immer mehr zum Himmel gekehrt, als auf die Erde; wenn er hoͤrte, daß ein Menſch geſtorben ſey, ſo pries er ihn gluͤcklich, und wuͤnſchte ſich an ſeine Stelle. Wenn ihn Pater Anton Abends nicht im Garten antraf, ſo ſuchte er ihn auſ dem Gottesacker, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0622" n="1042"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> Fruͤhling, und die wieder auflebende Natur, die<lb/> ſein Herz ſonſt immer mit |neuer Wonne angefriſcht<lb/> hatte. Statt der Freude, die der Fruͤhling jeder<lb/> jugendlichen Seele, auch ſogar dem Alter bringt,<lb/> brachte er ihm nichts als Seufzer, aͤngſtliches<lb/> Schmachten, und wehmuͤthige Wiedererinnerung<lb/> an den verbluͤhten Fruͤhling ſeines Lebens, und die<lb/> ehemaligen Freuden und ſuͤſſen Schmerzen ſeiner<lb/> ungluͤcklichen Liebe. Er gieng kalt und fuͤhllos, oder<lb/> weinend auf bebluͤmten Wieſen und zwiſchen bluͤ-<lb/> henden Fruchtbaͤumen hin; die Nachtigall ſang ihm<lb/> Grablieder; er ſah aus den Bluͤthen Tod hervor-<lb/> keimen, wenn er ihre kleinen Blaͤtter, vom Wind<lb/> abgeſchuͤttelt, haufenweiſe, wie Schnee herabſin-<lb/> ken ſah; er legte ſich unter die Kirſchbaͤume, ließ<lb/> von den Bluͤthen ſich bedecken, und dachte: ſtuͤrb’<lb/> ich doch auch mit ihnen! Wenn er auf der Wieſe<lb/> einen Haufen Blumen bey einander ſtehen ſah, ſo<lb/> erhub ſich ein Sehnen in ſeiner Bruſt, unter die<lb/> Blumen ſich zu legen, und zu ſterben. Sein Blick<lb/> war immer mehr zum Himmel gekehrt, als auf die<lb/> Erde; wenn er hoͤrte, daß ein Menſch geſtorben ſey,<lb/> ſo pries er ihn gluͤcklich, und wuͤnſchte ſich an ſeine<lb/> Stelle. Wenn ihn Pater Anton Abends nicht im<lb/> Garten antraf, ſo ſuchte er ihn auſ dem Gottesacker,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [1042/0622]
Fruͤhling, und die wieder auflebende Natur, die
ſein Herz ſonſt immer mit |neuer Wonne angefriſcht
hatte. Statt der Freude, die der Fruͤhling jeder
jugendlichen Seele, auch ſogar dem Alter bringt,
brachte er ihm nichts als Seufzer, aͤngſtliches
Schmachten, und wehmuͤthige Wiedererinnerung
an den verbluͤhten Fruͤhling ſeines Lebens, und die
ehemaligen Freuden und ſuͤſſen Schmerzen ſeiner
ungluͤcklichen Liebe. Er gieng kalt und fuͤhllos, oder
weinend auf bebluͤmten Wieſen und zwiſchen bluͤ-
henden Fruchtbaͤumen hin; die Nachtigall ſang ihm
Grablieder; er ſah aus den Bluͤthen Tod hervor-
keimen, wenn er ihre kleinen Blaͤtter, vom Wind
abgeſchuͤttelt, haufenweiſe, wie Schnee herabſin-
ken ſah; er legte ſich unter die Kirſchbaͤume, ließ
von den Bluͤthen ſich bedecken, und dachte: ſtuͤrb’
ich doch auch mit ihnen! Wenn er auf der Wieſe
einen Haufen Blumen bey einander ſtehen ſah, ſo
erhub ſich ein Sehnen in ſeiner Bruſt, unter die
Blumen ſich zu legen, und zu ſterben. Sein Blick
war immer mehr zum Himmel gekehrt, als auf die
Erde; wenn er hoͤrte, daß ein Menſch geſtorben ſey,
ſo pries er ihn gluͤcklich, und wuͤnſchte ſich an ſeine
Stelle. Wenn ihn Pater Anton Abends nicht im
Garten antraf, ſo ſuchte er ihn auſ dem Gottesacker,
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