chen; Anton, vor grosser Freude, weil er seinen lie- ben jungen Freund wieder sah; Kronhelm, weil er seinen Schwager, seinen innigsten und treusten Freund, hier in seinem trostlosen Jammer allein zurücklassen sollte.
Kronhelm kam den andern Morgen zu seinem Siegwart, um Abschied von ihm zu nehmen. Lange stund er bey ihm, und konnte doch kein Wort sagen. Oft wollte er anfangen, aber die Worte starben ihm auf der Zunge. Endlich fieng Sieg- wart selber an: Unsre Therese wird wohl auf dich warten. Gib ihr diesen Kuß in meinem Namen! Bruder, du bedaurst mich; aber komm ich doch dem Grabe immer näher. Jst doch schon das Klo- ster ein Grab auf der Welt für die Lebendigen ... Leb wohl, hab Dank für alle Liebe! ... Hier er- stickten Thränen seine Reden. Kronhelm fiel ihm um den Hals. Leb ewig wohl! sagte er, besuch uns! Gott stärke dich! ... Er riß sich von ihm los, und wollte allein wegeilen. Aber Siegwart folgte ihm nach bis an den Kutschenschlag. Sie umarmten sich; Kronhelm stieg ein, zog das Kut- schenglas auf, und fuhr weg.
Nun eilte Siegwart auf die Zelle seines lieben Pater Anton, und ließ seinem Schmerz und | seinen
chen; Anton, vor groſſer Freude, weil er ſeinen lie- ben jungen Freund wieder ſah; Kronhelm, weil er ſeinen Schwager, ſeinen innigſten und treuſten Freund, hier in ſeinem troſtloſen Jammer allein zuruͤcklaſſen ſollte.
Kronhelm kam den andern Morgen zu ſeinem Siegwart, um Abſchied von ihm zu nehmen. Lange ſtund er bey ihm, und konnte doch kein Wort ſagen. Oft wollte er anfangen, aber die Worte ſtarben ihm auf der Zunge. Endlich fieng Sieg- wart ſelber an: Unſre Thereſe wird wohl auf dich warten. Gib ihr dieſen Kuß in meinem Namen! Bruder, du bedaurſt mich; aber komm ich doch dem Grabe immer naͤher. Jſt doch ſchon das Klo- ſter ein Grab auf der Welt fuͤr die Lebendigen … Leb wohl, hab Dank fuͤr alle Liebe! … Hier er- ſtickten Thraͤnen ſeine Reden. Kronhelm fiel ihm um den Hals. Leb ewig wohl! ſagte er, beſuch uns! Gott ſtaͤrke dich! … Er riß ſich von ihm los, und wollte allein wegeilen. Aber Siegwart folgte ihm nach bis an den Kutſchenſchlag. Sie umarmten ſich; Kronhelm ſtieg ein, zog das Kut- ſchenglas auf, und fuhr weg.
Nun eilte Siegwart auf die Zelle ſeines lieben Pater Anton, und ließ ſeinem Schmerz und | ſeinen
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chen; Anton, vor groſſer Freude, weil er ſeinen lie-
ben jungen Freund wieder ſah; Kronhelm, weil er
ſeinen Schwager, ſeinen innigſten und treuſten
Freund, hier in ſeinem troſtloſen Jammer allein
zuruͤcklaſſen ſollte.
Kronhelm kam den andern Morgen zu ſeinem
Siegwart, um Abſchied von ihm zu nehmen.
Lange ſtund er bey ihm, und konnte doch kein Wort
ſagen. Oft wollte er anfangen, aber die Worte
ſtarben ihm auf der Zunge. Endlich fieng Sieg-
wart ſelber an: Unſre Thereſe wird wohl auf dich
warten. Gib ihr dieſen Kuß in meinem Namen!
Bruder, du bedaurſt mich; aber komm ich doch
dem Grabe immer naͤher. Jſt doch ſchon das Klo-
ſter ein Grab auf der Welt fuͤr die Lebendigen …
Leb wohl, hab Dank fuͤr alle Liebe! … Hier er-
ſtickten Thraͤnen ſeine Reden. Kronhelm fiel ihm
um den Hals. Leb ewig wohl! ſagte er, beſuch
uns! Gott ſtaͤrke dich! … Er riß ſich von ihm
los, und wollte allein wegeilen. Aber Siegwart
folgte ihm nach bis an den Kutſchenſchlag. Sie
umarmten ſich; Kronhelm ſtieg ein, zog das Kut-
ſchenglas auf, und fuhr weg.
Nun eilte Siegwart auf die Zelle ſeines lieben
Pater Anton, und ließ ſeinem Schmerz und | ſeinen
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 1027. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/607>, abgerufen am 27.11.2024.
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