wagte es nicht, ein Wort zu sagen, um ihn von seinem Entschluß abzubringen, und sagte: Ja, ich habe Briefe vom Pater Guardian; man erwar- tet dich. Hier ist auch ein Brief vom Pater An- ton. Siegwart brach ihn auf, las ihn hastig durch, weinte heftig, und drückte ihn mit den Worten an den Mund: O du Heiliger, wie bin ich solcher Liebe werth? -- Nach einer Pause wen- dete er sich zu Kronhelm: Willst du mir morgen deinen Wagen nach dem Kloster leihen? -- Schon so früh? fragte Kronhelm. Ach Geliebter, war die Antwort; hab ich doch genug in dieser Welt gelebt. --
Kronhelm sagte Theresen, daß ihr Bruder mor- gen schon ins Kloster wollte. Sie weinte, aber sie wagte es auch nicht, ihrem Bruder abzura- then. Also machte man die traurige Anstalt zu seiner Abreise. Siegwart bat sich von Kronhelm als die letzte Gabe die Trauerkleider aus, die er hatte. Kronhelm konnte ihm vor Thränen nicht antworten. Er, seine Frau, ihr Bruder, und Rothfels sassen den letzten traurigen Abend beysam- men. Keines konnte sprechen; endlich fieng Sieg- wart, sehr gerührt, selber also an: Meine Lieben! Weinet nicht zu sehr! Bald hats ein Ende. Kron-
wagte es nicht, ein Wort zu ſagen, um ihn von ſeinem Entſchluß abzubringen, und ſagte: Ja, ich habe Briefe vom Pater Guardian; man erwar- tet dich. Hier iſt auch ein Brief vom Pater An- ton. Siegwart brach ihn auf, las ihn haſtig durch, weinte heftig, und druͤckte ihn mit den Worten an den Mund: O du Heiliger, wie bin ich ſolcher Liebe werth? — Nach einer Pauſe wen- dete er ſich zu Kronhelm: Willſt du mir morgen deinen Wagen nach dem Kloſter leihen? — Schon ſo fruͤh? fragte Kronhelm. Ach Geliebter, war die Antwort; hab ich doch genug in dieſer Welt gelebt. —
Kronhelm ſagte Thereſen, daß ihr Bruder mor- gen ſchon ins Kloſter wollte. Sie weinte, aber ſie wagte es auch nicht, ihrem Bruder abzura- then. Alſo machte man die traurige Anſtalt zu ſeiner Abreiſe. Siegwart bat ſich von Kronhelm als die letzte Gabe die Trauerkleider aus, die er hatte. Kronhelm konnte ihm vor Thraͤnen nicht antworten. Er, ſeine Frau, ihr Bruder, und Rothfels ſaſſen den letzten traurigen Abend beyſam- men. Keines konnte ſprechen; endlich fieng Sieg- wart, ſehr geruͤhrt, ſelber alſo an: Meine Lieben! Weinet nicht zu ſehr! Bald hats ein Ende. Kron-
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[1021/0601]
wagte es nicht, ein Wort zu ſagen, um ihn von
ſeinem Entſchluß abzubringen, und ſagte: Ja, ich
habe Briefe vom Pater Guardian; man erwar-
tet dich. Hier iſt auch ein Brief vom Pater An-
ton. Siegwart brach ihn auf, las ihn haſtig
durch, weinte heftig, und druͤckte ihn mit den
Worten an den Mund: O du Heiliger, wie bin
ich ſolcher Liebe werth? — Nach einer Pauſe wen-
dete er ſich zu Kronhelm: Willſt du mir morgen
deinen Wagen nach dem Kloſter leihen? — Schon
ſo fruͤh? fragte Kronhelm. Ach Geliebter, war
die Antwort; hab ich doch genug in dieſer Welt
gelebt. —
Kronhelm ſagte Thereſen, daß ihr Bruder mor-
gen ſchon ins Kloſter wollte. Sie weinte, aber
ſie wagte es auch nicht, ihrem Bruder abzura-
then. Alſo machte man die traurige Anſtalt zu
ſeiner Abreiſe. Siegwart bat ſich von Kronhelm
als die letzte Gabe die Trauerkleider aus, die er
hatte. Kronhelm konnte ihm vor Thraͤnen nicht
antworten. Er, ſeine Frau, ihr Bruder, und
Rothfels ſaſſen den letzten traurigen Abend beyſam-
men. Keines konnte ſprechen; endlich fieng Sieg-
wart, ſehr geruͤhrt, ſelber alſo an: Meine Lieben!
Weinet nicht zu ſehr! Bald hats ein Ende. Kron-
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 1021. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/601>, abgerufen am 25.11.2024.
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