Siegwart freute sich mit Rothfels über den guten Erfolg seines Unternehmens, und am dritten Tage kam P. Klemens wieder, mit der Nachricht, die Aebtissin zu Marienfeld wolle den Gärtner Georg sprechen, und werde ihn vermuthlich in Dienst nehmen. Siegwart reiste mit der freudig- sten Hofnung ab, und kam noch denselben Nach- mittag zu Marienfeld an. Die Aebtissin ließ ihn ans Sprachzimmer kommen; er gefiel ihr, und ward auf P. Klemens Zeugniß mit einem ansehn- lichen Lohn zum Obergärtner angenommen. Sieg- wart hätte sich vor übermäßiger Freude fast selbst verrathen, und seine Rolle vergessen. Er dank- te der Aebtissin aufs feurigste, sein Herz schlug ihm sichtbar, und er sprang mehr, als er gieng, an seine Arbeit.
Wenn er im Garten arbeitete, so sah er sich wol tausendmal um, ob er seine Mariane nicht er- blicke? Wenn er oben an den Klosterfenstern, die mit hölzernen Jalousieladen vermacht waren, sich etwas bewegen sah, so blickte er unbeweglich hin, weil er glaubte, seine Mariane stehe dran. Sei- ne Brust war den ganzen Tag von einem unruhi- gen Sehnen belebt; es war ihm zu Muth, wie einem Neuverliebten; bald war er heiter, bald
Siegwart freute ſich mit Rothfels uͤber den guten Erfolg ſeines Unternehmens, und am dritten Tage kam P. Klemens wieder, mit der Nachricht, die Aebtiſſin zu Marienfeld wolle den Gaͤrtner Georg ſprechen, und werde ihn vermuthlich in Dienſt nehmen. Siegwart reiſte mit der freudig- ſten Hofnung ab, und kam noch denſelben Nach- mittag zu Marienfeld an. Die Aebtiſſin ließ ihn ans Sprachzimmer kommen; er gefiel ihr, und ward auf P. Klemens Zeugniß mit einem anſehn- lichen Lohn zum Obergaͤrtner angenommen. Sieg- wart haͤtte ſich vor uͤbermaͤßiger Freude faſt ſelbſt verrathen, und ſeine Rolle vergeſſen. Er dank- te der Aebtiſſin aufs feurigſte, ſein Herz ſchlug ihm ſichtbar, und er ſprang mehr, als er gieng, an ſeine Arbeit.
Wenn er im Garten arbeitete, ſo ſah er ſich wol tauſendmal um, ob er ſeine Mariane nicht er- blicke? Wenn er oben an den Kloſterfenſtern, die mit hoͤlzernen Jalouſieladen vermacht waren, ſich etwas bewegen ſah, ſo blickte er unbeweglich hin, weil er glaubte, ſeine Mariane ſtehe dran. Sei- ne Bruſt war den ganzen Tag von einem unruhi- gen Sehnen belebt; es war ihm zu Muth, wie einem Neuverliebten; bald war er heiter, bald
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0580"n="1000"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p><hirendition="#fr">Siegwart</hi> freute ſich mit Rothfels uͤber den<lb/>
guten Erfolg ſeines Unternehmens, und am dritten<lb/>
Tage kam P. Klemens wieder, mit der Nachricht,<lb/>
die Aebtiſſin zu Marienfeld wolle den Gaͤrtner<lb/>
Georg ſprechen, und werde ihn vermuthlich in<lb/>
Dienſt nehmen. Siegwart reiſte mit der freudig-<lb/>ſten Hofnung ab, und kam noch denſelben Nach-<lb/>
mittag zu Marienfeld an. Die Aebtiſſin ließ ihn<lb/>
ans Sprachzimmer kommen; er gefiel ihr, und<lb/>
ward auf P. Klemens Zeugniß mit einem anſehn-<lb/>
lichen Lohn zum Obergaͤrtner angenommen. Sieg-<lb/>
wart haͤtte ſich vor uͤbermaͤßiger Freude faſt ſelbſt<lb/>
verrathen, und ſeine Rolle vergeſſen. Er dank-<lb/>
te der Aebtiſſin aufs feurigſte, ſein Herz ſchlug<lb/>
ihm ſichtbar, und er ſprang mehr, als er gieng,<lb/>
an ſeine Arbeit.</p><lb/><p>Wenn er im Garten arbeitete, ſo ſah er ſich wol<lb/>
tauſendmal um, ob er ſeine Mariane nicht er-<lb/>
blicke? Wenn er oben an den Kloſterfenſtern, die<lb/>
mit hoͤlzernen Jalouſieladen vermacht waren, ſich<lb/>
etwas bewegen ſah, ſo blickte er unbeweglich hin,<lb/>
weil er glaubte, ſeine Mariane ſtehe dran. Sei-<lb/>
ne Bruſt war den ganzen Tag von einem unruhi-<lb/>
gen Sehnen belebt; es war ihm zu Muth, wie<lb/>
einem Neuverliebten; bald war er heiter, bald<lb/></p></div></body></text></TEI>
[1000/0580]
Siegwart freute ſich mit Rothfels uͤber den
guten Erfolg ſeines Unternehmens, und am dritten
Tage kam P. Klemens wieder, mit der Nachricht,
die Aebtiſſin zu Marienfeld wolle den Gaͤrtner
Georg ſprechen, und werde ihn vermuthlich in
Dienſt nehmen. Siegwart reiſte mit der freudig-
ſten Hofnung ab, und kam noch denſelben Nach-
mittag zu Marienfeld an. Die Aebtiſſin ließ ihn
ans Sprachzimmer kommen; er gefiel ihr, und
ward auf P. Klemens Zeugniß mit einem anſehn-
lichen Lohn zum Obergaͤrtner angenommen. Sieg-
wart haͤtte ſich vor uͤbermaͤßiger Freude faſt ſelbſt
verrathen, und ſeine Rolle vergeſſen. Er dank-
te der Aebtiſſin aufs feurigſte, ſein Herz ſchlug
ihm ſichtbar, und er ſprang mehr, als er gieng,
an ſeine Arbeit.
Wenn er im Garten arbeitete, ſo ſah er ſich wol
tauſendmal um, ob er ſeine Mariane nicht er-
blicke? Wenn er oben an den Kloſterfenſtern, die
mit hoͤlzernen Jalouſieladen vermacht waren, ſich
etwas bewegen ſah, ſo blickte er unbeweglich hin,
weil er glaubte, ſeine Mariane ſtehe dran. Sei-
ne Bruſt war den ganzen Tag von einem unruhi-
gen Sehnen belebt; es war ihm zu Muth, wie
einem Neuverliebten; bald war er heiter, bald
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 1000. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/580>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.