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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Es ist wahr, es gieng mir nah, den guten Kerl
zu verlieren. Anfangs war mir die gänzliche Ein-
samkeit fast unerträglich. Nach und nach gewöhnt'
ich mich daran. Es war noch kein Vierteljahr ver-
flossen, da kam er eines Morgens zu mir. Herr,
sagte er, ich komme wieder; aber nicht nur auf
einen Besuch. Sie müssen mich bey sich behalten;
Sie mögen nun wollen, oder nicht! Jch kanns in
der vertrackten Welt nicht länger aushalten. Das
sind mir Menschen! Man kommt schlechterdings
auf keinen grünen Zweig, wenn man nicht ein
Spitzbube werden will. Ueberall ist nichts, als
Lug und Trug. Man muß entweder sich betrügen
lassen oder elbst betrügen. Keins von beyden mag ich!
Warum sollt ich mich alle Tage halb zu Tod ärgern?
Da hatt ich mir mit dem Geld, das Sie mir gege-
ben hatten, eine Dorfschenke gekauft. Fürs erste
must ich schon weit mehr dafür bezahlen, als sie
werth war, und dann hatt ich nichts, als täglich
Aerger und Verdruß. Das Saufen und Lärmen
nahm kein Ende; täglich must ich die ärgerlichsten
Dinge mit ansehen, und mit anhören. Beym
Spiel sah ich immer einen den andern betrügen;
beym Trunk gabs nichts als Händel; kurz, einer
ist immer gegen den andern. Da verkauft ich



Es iſt wahr, es gieng mir nah, den guten Kerl
zu verlieren. Anfangs war mir die gaͤnzliche Ein-
ſamkeit faſt unertraͤglich. Nach und nach gewoͤhnt’
ich mich daran. Es war noch kein Vierteljahr ver-
floſſen, da kam er eines Morgens zu mir. Herr,
ſagte er, ich komme wieder; aber nicht nur auf
einen Beſuch. Sie muͤſſen mich bey ſich behalten;
Sie moͤgen nun wollen, oder nicht! Jch kanns in
der vertrackten Welt nicht laͤnger aushalten. Das
ſind mir Menſchen! Man kommt ſchlechterdings
auf keinen gruͤnen Zweig, wenn man nicht ein
Spitzbube werden will. Ueberall iſt nichts, als
Lug und Trug. Man muß entweder ſich betruͤgen
laſſen oder elbſt betruͤgen. Keins von beyden mag ich!
Warum ſollt ich mich alle Tage halb zu Tod aͤrgern?
Da hatt ich mir mit dem Geld, das Sie mir gege-
ben hatten, eine Dorfſchenke gekauft. Fuͤrs erſte
muſt ich ſchon weit mehr dafuͤr bezahlen, als ſie
werth war, und dann hatt ich nichts, als taͤglich
Aerger und Verdruß. Das Saufen und Laͤrmen
nahm kein Ende; taͤglich muſt ich die aͤrgerlichſten
Dinge mit anſehen, und mit anhoͤren. Beym
Spiel ſah ich immer einen den andern betruͤgen;
beym Trunk gabs nichts als Haͤndel; kurz, einer
iſt immer gegen den andern. Da verkauft ich

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[958/0538] Es iſt wahr, es gieng mir nah, den guten Kerl zu verlieren. Anfangs war mir die gaͤnzliche Ein- ſamkeit faſt unertraͤglich. Nach und nach gewoͤhnt’ ich mich daran. Es war noch kein Vierteljahr ver- floſſen, da kam er eines Morgens zu mir. Herr, ſagte er, ich komme wieder; aber nicht nur auf einen Beſuch. Sie muͤſſen mich bey ſich behalten; Sie moͤgen nun wollen, oder nicht! Jch kanns in der vertrackten Welt nicht laͤnger aushalten. Das ſind mir Menſchen! Man kommt ſchlechterdings auf keinen gruͤnen Zweig, wenn man nicht ein Spitzbube werden will. Ueberall iſt nichts, als Lug und Trug. Man muß entweder ſich betruͤgen laſſen oder elbſt betruͤgen. Keins von beyden mag ich! Warum ſollt ich mich alle Tage halb zu Tod aͤrgern? Da hatt ich mir mit dem Geld, das Sie mir gege- ben hatten, eine Dorfſchenke gekauft. Fuͤrs erſte muſt ich ſchon weit mehr dafuͤr bezahlen, als ſie werth war, und dann hatt ich nichts, als taͤglich Aerger und Verdruß. Das Saufen und Laͤrmen nahm kein Ende; taͤglich muſt ich die aͤrgerlichſten Dinge mit anſehen, und mit anhoͤren. Beym Spiel ſah ich immer einen den andern betruͤgen; beym Trunk gabs nichts als Haͤndel; kurz, einer iſt immer gegen den andern. Da verkauft ich

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 958. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/538>, abgerufen am 22.11.2024.