Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.neigte sich über die beyden Kinder her, und wein- te. Das Mädchen spielte mit Marianens Ring an seinem Finger. Sie sah ihn an, als sie fragen wollte, ob sie ihn abziehen dürfte? Nein, den must du mir lassen, gutes Kind, sagte er, das ist alles, was ich habe. Bald darauf kam die Mutter auf die Kammer. Der Knabe sprang auf sie zu, und sagte: Sieh, Mutter, er weint. Frag ihn, was ihm fehlt? Wir haben ihm gewiß nichts gethan; ich und Liese nicht. Laß nur seyn! antwortete die Mutter, ich weiß schon, was dem Herrn fehlt. -- Es ist Jhnen doch wieder besser, Herr? Siegwart versicherte sie, daß er nun wieder ganz gesund sey, und morgen weiter wolle. Nur zu Fuß? fiel die Frau ein. Siegwart antwortete mit Ja; weil er nicht mehr weit wolle, und wol wisse, daß die Bauren in der Erndte ihre Pferde besser brauchen. Drauf gieng er mit ihr hinunter in die Stube, wo auch Kaspar war. Auf den Nachmittag lud er unsern Siegwart aufs Freyschiessen ein, der endlich, um ihn zu beruhigen, wider Willen Ja sagen muste. Kaspar aß heut, nebst seiner Frau, mit Siegwart, weil er gestern, wie er sagte, sei- nen Haber so gut an Mann gebracht habe. Sie tranken miteinander die andere Bouteille Wein, die neigte ſich uͤber die beyden Kinder her, und wein- te. Das Maͤdchen ſpielte mit Marianens Ring an ſeinem Finger. Sie ſah ihn an, als ſie fragen wollte, ob ſie ihn abziehen duͤrfte? Nein, den muſt du mir laſſen, gutes Kind, ſagte er, das iſt alles, was ich habe. Bald darauf kam die Mutter auf die Kammer. Der Knabe ſprang auf ſie zu, und ſagte: Sieh, Mutter, er weint. Frag ihn, was ihm fehlt? Wir haben ihm gewiß nichts gethan; ich und Lieſe nicht. Laß nur ſeyn! antwortete die Mutter, ich weiß ſchon, was dem Herrn fehlt. — Es iſt Jhnen doch wieder beſſer, Herr? Siegwart verſicherte ſie, daß er nun wieder ganz geſund ſey, und morgen weiter wolle. Nur zu Fuß? fiel die Frau ein. Siegwart antwortete mit Ja; weil er nicht mehr weit wolle, und wol wiſſe, daß die Bauren in der Erndte ihre Pferde beſſer brauchen. Drauf gieng er mit ihr hinunter in die Stube, wo auch Kaspar war. Auf den Nachmittag lud er unſern Siegwart aufs Freyſchieſſen ein, der endlich, um ihn zu beruhigen, wider Willen Ja ſagen muſte. Kaspar aß heut, nebſt ſeiner Frau, mit Siegwart, weil er geſtern, wie er ſagte, ſei- nen Haber ſo gut an Mann gebracht habe. Sie tranken miteinander die andere Bouteille Wein, die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0516" n="936"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> neigte ſich uͤber die beyden Kinder her, und wein-<lb/> te. Das Maͤdchen ſpielte mit Marianens Ring<lb/> an ſeinem Finger. Sie ſah ihn an, als ſie fragen<lb/> wollte, ob ſie ihn abziehen duͤrfte? Nein, den muſt<lb/> du mir laſſen, gutes Kind, ſagte er, das iſt alles,<lb/> was ich habe. Bald darauf kam die Mutter auf<lb/> die Kammer. Der Knabe ſprang auf ſie zu, und<lb/> ſagte: Sieh, Mutter, er weint. Frag ihn, was<lb/> ihm fehlt? Wir haben ihm gewiß nichts gethan;<lb/> ich und Lieſe nicht. Laß nur ſeyn! antwortete die<lb/> Mutter, ich weiß ſchon, was dem Herrn fehlt. —<lb/> Es iſt Jhnen doch wieder beſſer, Herr? Siegwart<lb/> verſicherte ſie, daß er nun wieder ganz geſund ſey,<lb/> und morgen weiter wolle. Nur zu Fuß? fiel die<lb/> Frau ein. Siegwart antwortete mit Ja; weil er<lb/> nicht mehr weit wolle, und wol wiſſe, daß die<lb/> Bauren in der Erndte ihre Pferde beſſer brauchen.<lb/> Drauf gieng er mit ihr hinunter in die Stube, wo<lb/> auch Kaspar war. Auf den Nachmittag lud er<lb/> unſern Siegwart aufs Freyſchieſſen ein, der<lb/> endlich, um ihn zu beruhigen, wider Willen Ja<lb/> ſagen muſte. Kaspar aß heut, nebſt ſeiner Frau,<lb/> mit Siegwart, weil er geſtern, wie er ſagte, ſei-<lb/> nen Haber ſo gut an Mann gebracht habe. Sie<lb/> tranken miteinander die andere Bouteille Wein, die<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [936/0516]
neigte ſich uͤber die beyden Kinder her, und wein-
te. Das Maͤdchen ſpielte mit Marianens Ring
an ſeinem Finger. Sie ſah ihn an, als ſie fragen
wollte, ob ſie ihn abziehen duͤrfte? Nein, den muſt
du mir laſſen, gutes Kind, ſagte er, das iſt alles,
was ich habe. Bald darauf kam die Mutter auf
die Kammer. Der Knabe ſprang auf ſie zu, und
ſagte: Sieh, Mutter, er weint. Frag ihn, was
ihm fehlt? Wir haben ihm gewiß nichts gethan;
ich und Lieſe nicht. Laß nur ſeyn! antwortete die
Mutter, ich weiß ſchon, was dem Herrn fehlt. —
Es iſt Jhnen doch wieder beſſer, Herr? Siegwart
verſicherte ſie, daß er nun wieder ganz geſund ſey,
und morgen weiter wolle. Nur zu Fuß? fiel die
Frau ein. Siegwart antwortete mit Ja; weil er
nicht mehr weit wolle, und wol wiſſe, daß die
Bauren in der Erndte ihre Pferde beſſer brauchen.
Drauf gieng er mit ihr hinunter in die Stube, wo
auch Kaspar war. Auf den Nachmittag lud er
unſern Siegwart aufs Freyſchieſſen ein, der
endlich, um ihn zu beruhigen, wider Willen Ja
ſagen muſte. Kaspar aß heut, nebſt ſeiner Frau,
mit Siegwart, weil er geſtern, wie er ſagte, ſei-
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