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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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und brachten ihm Brandewein, seine Füsse zu
waschen. Als er fragte, ob er wol ein Nachtquar-
tier bey ihnen haben könne? sagten sie willig Ja,
und fügten hinzu: Wenn er nur vorlieb nehmen
wolle, so könn er solang bey ihnen bleiben, bis er
wieder frisch und gesund sey. Aus allem, was er
sah, konnt er schliessen, daß die Leute sehr wohlha-
bend seyn. Es war ein Bauer mit seiner Frau
und vier Kindern, davon das älteste ein Knabe
von zehn Jahren, und das jüngste ein Mädchen
von fünf Jahren war. Auf der Bank herum sas-
sen zween Knechte und drey Mägde. Als Sieg-
wart eine Milchsuppe und ein paar Eyer gegessen
hatte, so gieng er wegen seiner grossen Müdigkeit
zu Bette. Man führte ihn eine Treppe hoch in
eine ganz artige, auf Baurenart schön ausgeputzte
Stube, wo ein reinliches Bette stand.

Wegen der grossen Hitze, und der heftigen Wallung
seines Bluts, die durch seine starke Gemüthsbewe-
gung noch vermehrt wurde, konnte er erst nach Mit-
ternacht einschlafen. Den folgenden Morgen
wachte er erst um neun Uhr auf, und fühlte sich so
matt, daß er mit vieler Mühe kaum allein aufste-
hen konnte. Als ihn die Bäuerin unten hörte,
daß er wach wäre, kam sie herauf, und erkundig-



und brachten ihm Brandewein, ſeine Fuͤſſe zu
waſchen. Als er fragte, ob er wol ein Nachtquar-
tier bey ihnen haben koͤnne? ſagten ſie willig Ja,
und fuͤgten hinzu: Wenn er nur vorlieb nehmen
wolle, ſo koͤnn er ſolang bey ihnen bleiben, bis er
wieder friſch und geſund ſey. Aus allem, was er
ſah, konnt er ſchlieſſen, daß die Leute ſehr wohlha-
bend ſeyn. Es war ein Bauer mit ſeiner Frau
und vier Kindern, davon das aͤlteſte ein Knabe
von zehn Jahren, und das juͤngſte ein Maͤdchen
von fuͤnf Jahren war. Auf der Bank herum ſaſ-
ſen zween Knechte und drey Maͤgde. Als Sieg-
wart eine Milchſuppe und ein paar Eyer gegeſſen
hatte, ſo gieng er wegen ſeiner groſſen Muͤdigkeit
zu Bette. Man fuͤhrte ihn eine Treppe hoch in
eine ganz artige, auf Baurenart ſchoͤn ausgeputzte
Stube, wo ein reinliches Bette ſtand.

Wegen der groſſen Hitze, und der heftigen Wallung
ſeines Bluts, die durch ſeine ſtarke Gemuͤthsbewe-
gung noch vermehrt wurde, konnte er erſt nach Mit-
ternacht einſchlafen. Den folgenden Morgen
wachte er erſt um neun Uhr auf, und fuͤhlte ſich ſo
matt, daß er mit vieler Muͤhe kaum allein aufſte-
hen konnte. Als ihn die Baͤuerin unten hoͤrte,
daß er wach waͤre, kam ſie herauf, und erkundig-

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[929/0509] und brachten ihm Brandewein, ſeine Fuͤſſe zu waſchen. Als er fragte, ob er wol ein Nachtquar- tier bey ihnen haben koͤnne? ſagten ſie willig Ja, und fuͤgten hinzu: Wenn er nur vorlieb nehmen wolle, ſo koͤnn er ſolang bey ihnen bleiben, bis er wieder friſch und geſund ſey. Aus allem, was er ſah, konnt er ſchlieſſen, daß die Leute ſehr wohlha- bend ſeyn. Es war ein Bauer mit ſeiner Frau und vier Kindern, davon das aͤlteſte ein Knabe von zehn Jahren, und das juͤngſte ein Maͤdchen von fuͤnf Jahren war. Auf der Bank herum ſaſ- ſen zween Knechte und drey Maͤgde. Als Sieg- wart eine Milchſuppe und ein paar Eyer gegeſſen hatte, ſo gieng er wegen ſeiner groſſen Muͤdigkeit zu Bette. Man fuͤhrte ihn eine Treppe hoch in eine ganz artige, auf Baurenart ſchoͤn ausgeputzte Stube, wo ein reinliches Bette ſtand. Wegen der groſſen Hitze, und der heftigen Wallung ſeines Bluts, die durch ſeine ſtarke Gemuͤthsbewe- gung noch vermehrt wurde, konnte er erſt nach Mit- ternacht einſchlafen. Den folgenden Morgen wachte er erſt um neun Uhr auf, und fuͤhlte ſich ſo matt, daß er mit vieler Muͤhe kaum allein aufſte- hen konnte. Als ihn die Baͤuerin unten hoͤrte, daß er wach waͤre, kam ſie herauf, und erkundig-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 929. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/509>, abgerufen am 25.11.2024.