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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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hergekommen sey? Ein altes Mütterchen gab ihm
endlich Auskunft, und wies ihn auf das nächste
Dorf rechter Hand. Hier ließ er sich, weil er
ganz abgemattet war, von einer Bäuerin schwar-
zes Brod und frische Milch geben; erkundigte sich
wieder nach dem Wagen, und erfuhr das nächste
Dorf, wo er seinen Weg her genommen hatte. Alle
Aussagen, und Beschreibungen der Personen, die
beym Wagen gewesen waren, stimmten überein;
und liessen ihn gar nicht mehr zweifeln, daß es der
Wagen mit Marianen gewesen sey. Nachdem er
sich wieder etwas erholt hatte, gieng er in der grö-
sten Mittagshitze weiter. Er achtete sie aber nicht,
auch nicht, daß er sich die Füsse schon ganz wund
gelaufen hatte. Seine Seele war auf Einen Punkt
geheftet, und ließ ihn alle äussere Eindrücke und Em-
pfindungen vergessen. Er kam noch durch etlich Dör-
fer, wo er immer Nachricht vom Wagen bekam, und
weiter gewiesen wurde. Gegen Abend fühlte er
endlich seine äusserste Entkräftung, und die Wunden
an den Fußsohlen. Er sehnte sich nach dem nächsten
Dorf, und konnte es kaum vor Mattigkeit erreichen.
Bey der nächsten Hütte klopfte er an. Die Leute
drinnen machten ihm auf, thaten sehr dienstfertig
und mitleidig, als sie ihn so abgemattet sahen,



hergekommen ſey? Ein altes Muͤtterchen gab ihm
endlich Auskunft, und wies ihn auf das naͤchſte
Dorf rechter Hand. Hier ließ er ſich, weil er
ganz abgemattet war, von einer Baͤuerin ſchwar-
zes Brod und friſche Milch geben; erkundigte ſich
wieder nach dem Wagen, und erfuhr das naͤchſte
Dorf, wo er ſeinen Weg her genommen hatte. Alle
Ausſagen, und Beſchreibungen der Perſonen, die
beym Wagen geweſen waren, ſtimmten uͤberein;
und lieſſen ihn gar nicht mehr zweifeln, daß es der
Wagen mit Marianen geweſen ſey. Nachdem er
ſich wieder etwas erholt hatte, gieng er in der groͤ-
ſten Mittagshitze weiter. Er achtete ſie aber nicht,
auch nicht, daß er ſich die Fuͤſſe ſchon ganz wund
gelaufen hatte. Seine Seele war auf Einen Punkt
geheftet, und ließ ihn alle aͤuſſere Eindruͤcke und Em-
pfindungen vergeſſen. Er kam noch durch etlich Doͤr-
fer, wo er immer Nachricht vom Wagen bekam, und
weiter gewieſen wurde. Gegen Abend fuͤhlte er
endlich ſeine aͤuſſerſte Entkraͤftung, und die Wunden
an den Fußſohlen. Er ſehnte ſich nach dem naͤchſten
Dorf, und konnte es kaum vor Mattigkeit erreichen.
Bey der naͤchſten Huͤtte klopfte er an. Die Leute
drinnen machten ihm auf, thaten ſehr dienſtfertig
und mitleidig, als ſie ihn ſo abgemattet ſahen,

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[928/0508] hergekommen ſey? Ein altes Muͤtterchen gab ihm endlich Auskunft, und wies ihn auf das naͤchſte Dorf rechter Hand. Hier ließ er ſich, weil er ganz abgemattet war, von einer Baͤuerin ſchwar- zes Brod und friſche Milch geben; erkundigte ſich wieder nach dem Wagen, und erfuhr das naͤchſte Dorf, wo er ſeinen Weg her genommen hatte. Alle Ausſagen, und Beſchreibungen der Perſonen, die beym Wagen geweſen waren, ſtimmten uͤberein; und lieſſen ihn gar nicht mehr zweifeln, daß es der Wagen mit Marianen geweſen ſey. Nachdem er ſich wieder etwas erholt hatte, gieng er in der groͤ- ſten Mittagshitze weiter. Er achtete ſie aber nicht, auch nicht, daß er ſich die Fuͤſſe ſchon ganz wund gelaufen hatte. Seine Seele war auf Einen Punkt geheftet, und ließ ihn alle aͤuſſere Eindruͤcke und Em- pfindungen vergeſſen. Er kam noch durch etlich Doͤr- fer, wo er immer Nachricht vom Wagen bekam, und weiter gewieſen wurde. Gegen Abend fuͤhlte er endlich ſeine aͤuſſerſte Entkraͤftung, und die Wunden an den Fußſohlen. Er ſehnte ſich nach dem naͤchſten Dorf, und konnte es kaum vor Mattigkeit erreichen. Bey der naͤchſten Huͤtte klopfte er an. Die Leute drinnen machten ihm auf, thaten ſehr dienſtfertig und mitleidig, als ſie ihn ſo abgemattet ſahen,

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 928. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/508>, abgerufen am 25.11.2024.