mächtnis an Theresen. Schreib es ab, und legs in deinen Brief, ohn ein Wort davon zu schrei- ben! Versag mir diese letzte traurige Wohlthat nicht! Siegwart wagte es nicht, seinem Freund zu widersprechen, und schrieb folgendes ab:
Stirb nur, Engel! Jch flehe Gott darum, und folg dir bald nach. Diese Welt ist viel zu klein für Liebende. Wenn ich die Stern' am Himmel funkeln seh, so denk ich: Einer von den Sternen allen wird doch einen Wohnplatz für die Liebe ha- ben. Du Gott, kannst dein Kind, dein herrliches Geschöpf, nicht ganz aus deinem Weltgebäu ver- bannen. Ja, sie lachen mir lieblicher die Sterne. Dieser Stern dort mit dem bläulichen und reinen Lichte winkt mir. ... Stirb nur Engel! sieh, er lacht uns. ... Fall in Staub dahin, du schwa- che Hütte! denn du hast genug geduldet. Hat dich nicht der Sturm des Lebens gnug erschüttert? ... Auf mein Geist! und schüttle deine Thränen ab. Auf zum Stern mit dem bläulichen und reinen Lichte! ... Die Natur ist todt; sie ist gestor- ben. Willst du länger hier im Thal des Todes weilen? -- Ach, Therese, laß uns eilen an den Ort, wo keine Menschen sind! Denn der Mensch ist hart und grausam. ... Weine nicht, du Theu-
maͤchtnis an Thereſen. Schreib es ab, und legs in deinen Brief, ohn ein Wort davon zu ſchrei- ben! Verſag mir dieſe letzte traurige Wohlthat nicht! Siegwart wagte es nicht, ſeinem Freund zu widerſprechen, und ſchrieb folgendes ab:
Stirb nur, Engel! Jch flehe Gott darum, und folg dir bald nach. Dieſe Welt iſt viel zu klein fuͤr Liebende. Wenn ich die Stern’ am Himmel funkeln ſeh, ſo denk ich: Einer von den Sternen allen wird doch einen Wohnplatz fuͤr die Liebe ha- ben. Du Gott, kannſt dein Kind, dein herrliches Geſchoͤpf, nicht ganz aus deinem Weltgebaͤu ver- bannen. Ja, ſie lachen mir lieblicher die Sterne. Dieſer Stern dort mit dem blaͤulichen und reinen Lichte winkt mir. … Stirb nur Engel! ſieh, er lacht uns. … Fall in Staub dahin, du ſchwa- che Huͤtte! denn du haſt genug geduldet. Hat dich nicht der Sturm des Lebens gnug erſchuͤttert? … Auf mein Geiſt! und ſchuͤttle deine Thraͤnen ab. Auf zum Stern mit dem blaͤulichen und reinen Lichte! … Die Natur iſt todt; ſie iſt geſtor- ben. Willſt du laͤnger hier im Thal des Todes weilen? — Ach, Thereſe, laß uns eilen an den Ort, wo keine Menſchen ſind! Denn der Menſch iſt hart und grauſam. … Weine nicht, du Theu-
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maͤchtnis an Thereſen. Schreib es ab, und legs
in deinen Brief, ohn ein Wort davon zu ſchrei-
ben! Verſag mir dieſe letzte traurige Wohlthat
nicht! Siegwart wagte es nicht, ſeinem Freund
zu widerſprechen, und ſchrieb folgendes ab:
Stirb nur, Engel! Jch flehe Gott darum, und
folg dir bald nach. Dieſe Welt iſt viel zu klein
fuͤr Liebende. Wenn ich die Stern’ am Himmel
funkeln ſeh, ſo denk ich: Einer von den Sternen
allen wird doch einen Wohnplatz fuͤr die Liebe ha-
ben. Du Gott, kannſt dein Kind, dein herrliches
Geſchoͤpf, nicht ganz aus deinem Weltgebaͤu ver-
bannen. Ja, ſie lachen mir lieblicher die Sterne.
Dieſer Stern dort mit dem blaͤulichen und reinen
Lichte winkt mir. … Stirb nur Engel! ſieh,
er lacht uns. … Fall in Staub dahin, du ſchwa-
che Huͤtte! denn du haſt genug geduldet. Hat dich
nicht der Sturm des Lebens gnug erſchuͤttert? …
Auf mein Geiſt! und ſchuͤttle deine Thraͤnen ab.
Auf zum Stern mit dem blaͤulichen und reinen
Lichte! … Die Natur iſt todt; ſie iſt geſtor-
ben. Willſt du laͤnger hier im Thal des Todes
weilen? — Ach, Thereſe, laß uns eilen an den
Ort, wo keine Menſchen ſind! Denn der Menſch
iſt hart und grauſam. … Weine nicht, du Theu-
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/47>, abgerufen am 21.11.2024.
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