Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



begängnisse ihres Vaters, welches auf den folgen-
den Tag angesetzt wurde. Karl und Salome er-
zählten ihm verschiedenes von der Krankheit, und
den Reden seines Vaters auf dem Krankenbette,
von seiner Geduld und Gelassenheit, und von
seiner Freudigkeit zu sterben, die ihm blos durch
den Gedanken verbittert wurde, daß er seine Kin-
der verlassen müste. Sie erzählten ihm, wie oft
er von ihm gesprochen, und wie sehr er sich dar-
nach gesehnt habe, ihn |noch einmal zu sehen.
Siegwart zerfloß bey dieser Erzählung fast in Thrä-
nen. Sie sagten ihm auch den Wunsch ihres Va-
ters, daß man ihn bey ihrer seligen Mutter be-
graben, und ihnen einen gemeinschaftlichen Grab-
stein setzen möchte.

Er gieng in den Garten hinunter, um seinem
bangen Herzen etwas Luft zu schaffen. Dann
gieng er wieder auf sein Zimmer, und schrieb mit
Hastigkeit folgendes an Marianen:

Liebste, Beste!

Er ist todt! Jch habe seinen Segen. -- Sein
letztes Wort war: Leb mit Marianen. ... Das:
glücklich starb auf seinen Lippen. -- Morgen be-
graben wir ihn. -- -- O Mariane, o Geliebteste!



begaͤngniſſe ihres Vaters, welches auf den folgen-
den Tag angeſetzt wurde. Karl und Salome er-
zaͤhlten ihm verſchiedenes von der Krankheit, und
den Reden ſeines Vaters auf dem Krankenbette,
von ſeiner Geduld und Gelaſſenheit, und von
ſeiner Freudigkeit zu ſterben, die ihm blos durch
den Gedanken verbittert wurde, daß er ſeine Kin-
der verlaſſen muͤſte. Sie erzaͤhlten ihm, wie oft
er von ihm geſprochen, und wie ſehr er ſich dar-
nach geſehnt habe, ihn |noch einmal zu ſehen.
Siegwart zerfloß bey dieſer Erzaͤhlung faſt in Thraͤ-
nen. Sie ſagten ihm auch den Wunſch ihres Va-
ters, daß man ihn bey ihrer ſeligen Mutter be-
graben, und ihnen einen gemeinſchaftlichen Grab-
ſtein ſetzen moͤchte.

Er gieng in den Garten hinunter, um ſeinem
bangen Herzen etwas Luft zu ſchaffen. Dann
gieng er wieder auf ſein Zimmer, und ſchrieb mit
Haſtigkeit folgendes an Marianen:

Liebſte, Beſte!

Er iſt todt! Jch habe ſeinen Segen. — Sein
letztes Wort war: Leb mit Marianen. … Das:
gluͤcklich ſtarb auf ſeinen Lippen. — Morgen be-
graben wir ihn. — — O Mariane, o Geliebteſte!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0456" n="876"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
bega&#x0364;ngni&#x017F;&#x017F;e ihres Vaters, welches auf den folgen-<lb/>
den Tag ange&#x017F;etzt wurde. Karl und Salome er-<lb/>
za&#x0364;hlten ihm ver&#x017F;chiedenes von der Krankheit, und<lb/>
den Reden &#x017F;eines Vaters auf dem Krankenbette,<lb/>
von &#x017F;einer Geduld und Gela&#x017F;&#x017F;enheit, und von<lb/>
&#x017F;einer Freudigkeit zu &#x017F;terben, die ihm blos durch<lb/>
den Gedanken verbittert wurde, daß er &#x017F;eine Kin-<lb/>
der verla&#x017F;&#x017F;en mu&#x0364;&#x017F;te. Sie erza&#x0364;hlten ihm, wie oft<lb/>
er von ihm ge&#x017F;prochen, und wie &#x017F;ehr er &#x017F;ich dar-<lb/>
nach ge&#x017F;ehnt habe, ihn |noch einmal zu &#x017F;ehen.<lb/>
Siegwart zerfloß bey die&#x017F;er Erza&#x0364;hlung fa&#x017F;t in Thra&#x0364;-<lb/>
nen. Sie &#x017F;agten ihm auch den Wun&#x017F;ch ihres Va-<lb/>
ters, daß man ihn bey ihrer &#x017F;eligen Mutter be-<lb/>
graben, und ihnen einen gemein&#x017F;chaftlichen Grab-<lb/>
&#x017F;tein &#x017F;etzen mo&#x0364;chte.</p><lb/>
        <p>Er gieng in den Garten hinunter, um &#x017F;einem<lb/>
bangen Herzen etwas Luft zu &#x017F;chaffen. Dann<lb/>
gieng er wieder auf &#x017F;ein Zimmer, und &#x017F;chrieb mit<lb/>
Ha&#x017F;tigkeit folgendes an Marianen:<lb/><floatingText><body><div type="letter"><opener><salute><hi rendition="#et">Lieb&#x017F;te, Be&#x017F;te!</hi></salute></opener><lb/><p>Er i&#x017F;t todt! Jch habe &#x017F;einen Segen. &#x2014; Sein<lb/>
letztes Wort war: Leb mit Marianen. &#x2026; Das:<lb/><hi rendition="#fr">glu&#x0364;cklich</hi> &#x017F;tarb auf &#x017F;einen Lippen. &#x2014; Morgen be-<lb/>
graben wir ihn. &#x2014; &#x2014; O Mariane, o Geliebte&#x017F;te!<lb/></p></div></body></floatingText></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[876/0456] begaͤngniſſe ihres Vaters, welches auf den folgen- den Tag angeſetzt wurde. Karl und Salome er- zaͤhlten ihm verſchiedenes von der Krankheit, und den Reden ſeines Vaters auf dem Krankenbette, von ſeiner Geduld und Gelaſſenheit, und von ſeiner Freudigkeit zu ſterben, die ihm blos durch den Gedanken verbittert wurde, daß er ſeine Kin- der verlaſſen muͤſte. Sie erzaͤhlten ihm, wie oft er von ihm geſprochen, und wie ſehr er ſich dar- nach geſehnt habe, ihn |noch einmal zu ſehen. Siegwart zerfloß bey dieſer Erzaͤhlung faſt in Thraͤ- nen. Sie ſagten ihm auch den Wunſch ihres Va- ters, daß man ihn bey ihrer ſeligen Mutter be- graben, und ihnen einen gemeinſchaftlichen Grab- ſtein ſetzen moͤchte. Er gieng in den Garten hinunter, um ſeinem bangen Herzen etwas Luft zu ſchaffen. Dann gieng er wieder auf ſein Zimmer, und ſchrieb mit Haſtigkeit folgendes an Marianen: Liebſte, Beſte! Er iſt todt! Jch habe ſeinen Segen. — Sein letztes Wort war: Leb mit Marianen. … Das: gluͤcklich ſtarb auf ſeinen Lippen. — Morgen be- graben wir ihn. — — O Mariane, o Geliebteſte!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/456
Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 876. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/456>, abgerufen am 22.11.2024.