können wir dann auch sprechen; solltest du mich aber, nach Gottes Willen, schon todt antreffen, so erklär ich mich hiemit, daß nichts dagegen habe, und es gern sehe, wenn du weltlich bleibst, und durch meines Freundes Tochter glücklich wirst. Grüß und versichre sie meiner gänzlichen Zunei- gung! Bleib nur fromm und redlich! Dies ist der beste Segen, den dir dein Vater auf der Welt zurück lassen kann. Komm so bald, als möglich, denn ich bin sehr schwach, und kann nicht weiter schreiben.
Bin dein, auch noch im Tod getreuer Vater
Siegwart. Amtmann.
Das ganze kindliche Herz unsers Siegwarts ward im Jnnersten erschüttert, als er diesen Brief erhielt. Thränen stürzten stromweis auf das Blatt hin. Er wagte es kaum den Brief zum zwey- tenmal zu lesen; und doch hatte er seinen Jnhalt noch nicht halb gefaßt. Die dringende Nothwen- digkeit, sogleich abzureisen, machte ihn noch stär- ker, und gewissermaßen unempfindlicher, als er sonst gewesen wäre. Die Einwilligung seines Va- ters in seine Liebe, war ein Stral, der ihm die tiefe Dunkelheit noch in etwas erhellte. Er lief aus dem Haus, und bestellte ein Pferd. Dann
koͤnnen wir dann auch ſprechen; ſollteſt du mich aber, nach Gottes Willen, ſchon todt antreffen, ſo erklaͤr ich mich hiemit, daß nichts dagegen habe, und es gern ſehe, wenn du weltlich bleibſt, und durch meines Freundes Tochter gluͤcklich wirſt. Gruͤß und verſichre ſie meiner gaͤnzlichen Zunei- gung! Bleib nur fromm und redlich! Dies iſt der beſte Segen, den dir dein Vater auf der Welt zuruͤck laſſen kann. Komm ſo bald, als moͤglich, denn ich bin ſehr ſchwach, und kann nicht weiter ſchreiben.
Bin dein, auch noch im Tod getreuer Vater
Siegwart. Amtmann.
Das ganze kindliche Herz unſers Siegwarts ward im Jnnerſten erſchuͤttert, als er dieſen Brief erhielt. Thraͤnen ſtuͤrzten ſtromweis auf das Blatt hin. Er wagte es kaum den Brief zum zwey- tenmal zu leſen; und doch hatte er ſeinen Jnhalt noch nicht halb gefaßt. Die dringende Nothwen- digkeit, ſogleich abzureiſen, machte ihn noch ſtaͤr- ker, und gewiſſermaßen unempfindlicher, als er ſonſt geweſen waͤre. Die Einwilligung ſeines Va- ters in ſeine Liebe, war ein Stral, der ihm die tiefe Dunkelheit noch in etwas erhellte. Er lief aus dem Haus, und beſtellte ein Pferd. Dann
<TEI><text><body><divn="1"><p><floatingText><body><divtype="letter"><p><pbfacs="#f0451"n="871"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
koͤnnen wir dann auch ſprechen; ſollteſt du mich<lb/>
aber, nach Gottes Willen, ſchon todt antreffen, ſo<lb/>
erklaͤr ich mich hiemit, daß nichts dagegen habe,<lb/>
und es gern ſehe, wenn du weltlich bleibſt, und<lb/>
durch meines Freundes Tochter gluͤcklich wirſt.<lb/>
Gruͤß und verſichre ſie meiner gaͤnzlichen Zunei-<lb/>
gung! Bleib nur fromm und redlich! Dies iſt der<lb/>
beſte Segen, den dir dein Vater auf der Welt<lb/>
zuruͤck laſſen kann. Komm ſo bald, als moͤglich,<lb/>
denn ich bin ſehr ſchwach, und kann nicht weiter<lb/>ſchreiben.</p><closer><salute>Bin dein, auch noch im Tod getreuer<lb/>
Vater</salute><lb/><signed><hirendition="#et">Siegwart. Amtmann.</hi></signed></closer></div></body></floatingText></p><lb/><p>Das ganze kindliche Herz unſers Siegwarts<lb/>
ward im Jnnerſten erſchuͤttert, als er dieſen Brief<lb/>
erhielt. Thraͤnen ſtuͤrzten ſtromweis auf das Blatt<lb/>
hin. Er wagte es kaum den Brief zum zwey-<lb/>
tenmal zu leſen; und doch hatte er ſeinen Jnhalt<lb/>
noch nicht halb gefaßt. Die dringende Nothwen-<lb/>
digkeit, ſogleich abzureiſen, machte ihn noch ſtaͤr-<lb/>
ker, und gewiſſermaßen unempfindlicher, als er<lb/>ſonſt geweſen waͤre. Die Einwilligung ſeines Va-<lb/>
ters in ſeine Liebe, war ein Stral, der ihm die<lb/>
tiefe Dunkelheit noch in etwas erhellte. Er lief<lb/>
aus dem Haus, und beſtellte ein Pferd. Dann<lb/></p></div></body></text></TEI>
[871/0451]
koͤnnen wir dann auch ſprechen; ſollteſt du mich
aber, nach Gottes Willen, ſchon todt antreffen, ſo
erklaͤr ich mich hiemit, daß nichts dagegen habe,
und es gern ſehe, wenn du weltlich bleibſt, und
durch meines Freundes Tochter gluͤcklich wirſt.
Gruͤß und verſichre ſie meiner gaͤnzlichen Zunei-
gung! Bleib nur fromm und redlich! Dies iſt der
beſte Segen, den dir dein Vater auf der Welt
zuruͤck laſſen kann. Komm ſo bald, als moͤglich,
denn ich bin ſehr ſchwach, und kann nicht weiter
ſchreiben.
Bin dein, auch noch im Tod getreuer
Vater
Siegwart. Amtmann.
Das ganze kindliche Herz unſers Siegwarts
ward im Jnnerſten erſchuͤttert, als er dieſen Brief
erhielt. Thraͤnen ſtuͤrzten ſtromweis auf das Blatt
hin. Er wagte es kaum den Brief zum zwey-
tenmal zu leſen; und doch hatte er ſeinen Jnhalt
noch nicht halb gefaßt. Die dringende Nothwen-
digkeit, ſogleich abzureiſen, machte ihn noch ſtaͤr-
ker, und gewiſſermaßen unempfindlicher, als er
ſonſt geweſen waͤre. Die Einwilligung ſeines Va-
ters in ſeine Liebe, war ein Stral, der ihm die
tiefe Dunkelheit noch in etwas erhellte. Er lief
aus dem Haus, und beſtellte ein Pferd. Dann
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 871. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/451>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.