nem Schwager sogleich wieder, meldete ihnen sei- ne jetzige Lage mit Marianen, daß er alle Tage von seinem Vater Antwort erwarte, und diesen Brief so lang zurückbehalten wolle, bis er ihnen zugleich die Antwort mit melden könne.
Zween Tage nachher kam Mariane wieder vom Land zurück. Er sah sie aussteigen, und grüßte sie vom Fenster aus. Den Tag drauf erhielt er endlich den längst so sehnlich erwarteten Brief von seinem Vater: Aber -- Gott! wie erschrak er, als er folgendes las:
Theurer Sohn!
Dein Schreiben habe erhalten, und wollte es schon beantworten, als mich Gott mit einer schwe- ren Krankheit heimsuchte, und dem Tod nahe brachte. Seit ein paar Tagen fühl ich einige Lin- derung, und der Arzt will von Hofnung sagen; aber ich sühle noch Todesschwäche, und schreibe dieses, wie du siehst, mit zitternder Hand. Theu- rer Sohn, du weist, was ich auf dich halte, und wünsche ich daher nichts sehnlicher, als dich vor meinem Ende, welches vielleicht vor der Thür ist, noch einmal zu sehen, und dir meinen väterlichen Segen aufzulegen. Von der bewußten Sache
nem Schwager ſogleich wieder, meldete ihnen ſei- ne jetzige Lage mit Marianen, daß er alle Tage von ſeinem Vater Antwort erwarte, und dieſen Brief ſo lang zuruͤckbehalten wolle, bis er ihnen zugleich die Antwort mit melden koͤnne.
Zween Tage nachher kam Mariane wieder vom Land zuruͤck. Er ſah ſie ausſteigen, und gruͤßte ſie vom Fenſter aus. Den Tag drauf erhielt er endlich den laͤngſt ſo ſehnlich erwarteten Brief von ſeinem Vater: Aber — Gott! wie erſchrak er, als er folgendes las:
Theurer Sohn!
Dein Schreiben habe erhalten, und wollte es ſchon beantworten, als mich Gott mit einer ſchwe- ren Krankheit heimſuchte, und dem Tod nahe brachte. Seit ein paar Tagen fuͤhl ich einige Lin- derung, und der Arzt will von Hofnung ſagen; aber ich ſuͤhle noch Todesſchwaͤche, und ſchreibe dieſes, wie du ſiehſt, mit zitternder Hand. Theu- rer Sohn, du weiſt, was ich auf dich halte, und wuͤnſche ich daher nichts ſehnlicher, als dich vor meinem Ende, welches vielleicht vor der Thuͤr iſt, noch einmal zu ſehen, und dir meinen vaͤterlichen Segen aufzulegen. Von der bewußten Sache
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0450"n="870"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
nem Schwager ſogleich wieder, meldete ihnen ſei-<lb/>
ne jetzige Lage mit Marianen, daß er alle Tage<lb/>
von ſeinem Vater Antwort erwarte, und dieſen<lb/>
Brief ſo lang zuruͤckbehalten wolle, bis er ihnen<lb/>
zugleich die Antwort mit melden koͤnne.</p><lb/><p>Zween Tage nachher kam Mariane wieder vom<lb/>
Land zuruͤck. Er ſah ſie ausſteigen, und gruͤßte<lb/>ſie vom Fenſter aus. Den Tag drauf erhielt er<lb/>
endlich den laͤngſt ſo ſehnlich erwarteten Brief von<lb/>ſeinem Vater: Aber — Gott! wie erſchrak er,<lb/>
als er folgendes las:<lb/><floatingText><body><divtype="letter"><opener><salute><hirendition="#et">Theurer Sohn!</hi></salute></opener><lb/><p>Dein Schreiben habe erhalten, und wollte es<lb/>ſchon beantworten, als mich Gott mit einer ſchwe-<lb/>
ren Krankheit heimſuchte, und dem Tod nahe<lb/>
brachte. Seit ein paar Tagen fuͤhl ich einige Lin-<lb/>
derung, und der Arzt will von Hofnung ſagen;<lb/>
aber ich ſuͤhle noch Todesſchwaͤche, und ſchreibe<lb/>
dieſes, wie du ſiehſt, mit zitternder Hand. Theu-<lb/>
rer Sohn, du weiſt, was ich auf dich halte, und<lb/>
wuͤnſche ich daher nichts ſehnlicher, als dich vor<lb/>
meinem Ende, welches vielleicht vor der Thuͤr iſt,<lb/>
noch einmal zu ſehen, und dir meinen vaͤterlichen<lb/>
Segen aufzulegen. Von der bewußten Sache<lb/></p></div></body></floatingText></p></div></body></text></TEI>
[870/0450]
nem Schwager ſogleich wieder, meldete ihnen ſei-
ne jetzige Lage mit Marianen, daß er alle Tage
von ſeinem Vater Antwort erwarte, und dieſen
Brief ſo lang zuruͤckbehalten wolle, bis er ihnen
zugleich die Antwort mit melden koͤnne.
Zween Tage nachher kam Mariane wieder vom
Land zuruͤck. Er ſah ſie ausſteigen, und gruͤßte
ſie vom Fenſter aus. Den Tag drauf erhielt er
endlich den laͤngſt ſo ſehnlich erwarteten Brief von
ſeinem Vater: Aber — Gott! wie erſchrak er,
als er folgendes las:
Theurer Sohn!
Dein Schreiben habe erhalten, und wollte es
ſchon beantworten, als mich Gott mit einer ſchwe-
ren Krankheit heimſuchte, und dem Tod nahe
brachte. Seit ein paar Tagen fuͤhl ich einige Lin-
derung, und der Arzt will von Hofnung ſagen;
aber ich ſuͤhle noch Todesſchwaͤche, und ſchreibe
dieſes, wie du ſiehſt, mit zitternder Hand. Theu-
rer Sohn, du weiſt, was ich auf dich halte, und
wuͤnſche ich daher nichts ſehnlicher, als dich vor
meinem Ende, welches vielleicht vor der Thuͤr iſt,
noch einmal zu ſehen, und dir meinen vaͤterlichen
Segen aufzulegen. Von der bewußten Sache
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 870. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/450>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.