uns vors Thor hinaus, sagte er, ich muß Luft krie- gen! Siegwart gieng mit ihm, ob es gleich stark schneyte. Kronhelm wälzte sich im Schnee, und wollte da bleiben. Aber Siegwart riß ihn mit Gewalt auf. Endlich fieng er an bitterlich zu weinen. Siegwart sprach kein Wort, und weinte mit. Nun ist mir wohl, sagte Kronhelm, herzlich wohl. Jch dachte, ich könne nicht mehr weinen... Bruder, Bruder! Jn mir tobt mehr, als Höllen- qual. Therese ist hin für mich. Weist dus schon! -- Ja, sie hat mirs geschrieben, sagte Siegwart. -- Hat sie das? Mir hat sies auch geschrieben. O, der Engel ist verloren! Aber meynst du, daß das lange währen soll? Jch kann auch sterben, Bruder! Bey Gott! ich kanns auch! -- Jhr seyd rechte Tröster, du und Philipp! Aber, ich brauch ja kei- nen Trost! Der Tod hat so viel Trost; wird mir auch wohl welchen geben! O, der Engel ist verlo- ren! -- So sprach er immerfort, ohne daß Sieg- wart ihm ein Wort antworten konnte, als daß er ihn zuweilen mit Thränen und einsylbichten Wör- tern bedauerte. Sie giengen wieder nach Haus. Siegwart bat in der Stille den P. Philipp auf sein Zimmer, weil er sich zu schwach fühlte, jetzt bey sei- nem Freund allein zu seyn. Philipp wußte ihm
uns vors Thor hinaus, ſagte er, ich muß Luft krie- gen! Siegwart gieng mit ihm, ob es gleich ſtark ſchneyte. Kronhelm waͤlzte ſich im Schnee, und wollte da bleiben. Aber Siegwart riß ihn mit Gewalt auf. Endlich fieng er an bitterlich zu weinen. Siegwart ſprach kein Wort, und weinte mit. Nun iſt mir wohl, ſagte Kronhelm, herzlich wohl. Jch dachte, ich koͤnne nicht mehr weinen… Bruder, Bruder! Jn mir tobt mehr, als Hoͤllen- qual. Thereſe iſt hin fuͤr mich. Weiſt dus ſchon! — Ja, ſie hat mirs geſchrieben, ſagte Siegwart. — Hat ſie das? Mir hat ſies auch geſchrieben. O, der Engel iſt verloren! Aber meynſt du, daß das lange waͤhren ſoll? Jch kann auch ſterben, Bruder! Bey Gott! ich kanns auch! — Jhr ſeyd rechte Troͤſter, du und Philipp! Aber, ich brauch ja kei- nen Troſt! Der Tod hat ſo viel Troſt; wird mir auch wohl welchen geben! O, der Engel iſt verlo- ren! — So ſprach er immerfort, ohne daß Sieg- wart ihm ein Wort antworten konnte, als daß er ihn zuweilen mit Thraͤnen und einſylbichten Woͤr- tern bedauerte. Sie giengen wieder nach Haus. Siegwart bat in der Stille den P. Philipp auf ſein Zimmer, weil er ſich zu ſchwach fuͤhlte, jetzt bey ſei- nem Freund allein zu ſeyn. Philipp wußte ihm
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uns vors Thor hinaus, ſagte er, ich muß Luft krie-
gen! Siegwart gieng mit ihm, ob es gleich ſtark
ſchneyte. Kronhelm waͤlzte ſich im Schnee, und
wollte da bleiben. Aber Siegwart riß ihn mit
Gewalt auf. Endlich fieng er an bitterlich zu
weinen. Siegwart ſprach kein Wort, und weinte
mit. Nun iſt mir wohl, ſagte Kronhelm, herzlich
wohl. Jch dachte, ich koͤnne nicht mehr weinen…
Bruder, Bruder! Jn mir tobt mehr, als Hoͤllen-
qual. Thereſe iſt hin fuͤr mich. Weiſt dus ſchon!
— Ja, ſie hat mirs geſchrieben, ſagte Siegwart.
— Hat ſie das? Mir hat ſies auch geſchrieben. O,
der Engel iſt verloren! Aber meynſt du, daß das
lange waͤhren ſoll? Jch kann auch ſterben, Bruder!
Bey Gott! ich kanns auch! — Jhr ſeyd rechte
Troͤſter, du und Philipp! Aber, ich brauch ja kei-
nen Troſt! Der Tod hat ſo viel Troſt; wird mir
auch wohl welchen geben! O, der Engel iſt verlo-
ren! — So ſprach er immerfort, ohne daß Sieg-
wart ihm ein Wort antworten konnte, als daß er
ihn zuweilen mit Thraͤnen und einſylbichten Woͤr-
tern bedauerte. Sie giengen wieder nach Haus.
Siegwart bat in der Stille den P. Philipp auf
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/45>, abgerufen am 16.02.2025.
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